06|| the boy with the gummies

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Am nächsten Tag in der Schule in Wirtschaftskunde bekomme ich immer wieder verwirrte Blicke von Emilio zugeworfen.

Ich kenne Emilio quasi schon so lange, wie ich Guilia kenne.
In der Grundschule haben wir immer zusammen mit einer großen Gruppe aus unserer Klasse Räuber und Gendarm gespielt und er hat mich immer aus dem Gefängnis laufen lassen, wenn ich ihn mit Gummibärchen bestochen habe, die ich deswegen immer extra mitgenommen habe.

Eigentlich hatten wir immer ein ziemlich gutes Verhältnis, aber jetzt, wo er einen ganz anderen Freundeskreis hat, als ich und fast nie zuhause ist, wenn ich bei Giulia bin, haben wir uns aus den Augen verloren.
Anfangs habe ich ihn auf dem Flur gegrüßt, wenn wir aneinander vorbeigelaufen sind, aber er hat es nicht erwidert, also hab ich es dann irgendwann einfach gelassen.

Jedenfalls wirft er mir verwirrte Blicke zu und in der fünf Minuten Pause, in der Mr Fenna immer das Klassenzimmer verlässt um sich vermutlich jetzt seinen dritten Kaffee Heute zu holen, gehe ich zu Emilio herüber.

„Warum guckst du mich so an?", frage ich den Jungen.
„Wie gucke ich dich denn an?", faucht er und fährt sich durch die Haare, die er hellbraun gefärbt hat.
Manchen Mädchen gefällt das richtig gut und es würde mehr italienisch aussehen, als seine dunkelbraunen Haare (was irgendwie gar nicht stimmt), aber für mich ist er nicht mehr der kleine italienische Junge mit der Gummibärchensucht.
Erst bin ich verschreckt von der Empörung in seiner Stimme, dann fasse ich mich aber wieder und ziehe missbilligend die Augenbrauen hoch.

„Du guckst immer so verwirrt in meine Richtung und das lenkt mich ab."
„Dann achte halt nicht drauf, Venus. Ganz ehrlich, denk' nicht immer es würde nur um dich gehen. Jeder guckt dich an und jeder wählt dich zur Ballkönigin."
„Das hab ich weder gesagt, noch gedacht. Du hast zu mir geguckt, ich bin doch nicht blind oder schwer von Begriff. Was ist eigentlich dein Problem?!"
Emilio verzieht sein finsteres Badboy- Gesicht zu einem missbilligenden Grinsen.

„Wir sind keine Freunde mehr, wie früher in der Grundschule, okay? Also lass mich in Ruhe, ehrlich. Nur weil einer meiner Freunde dir einen beschissenen Brief geschrieben hat, heißt es nicht, dass du jetzt verkrampft herausfinden musst, wer es war. Du bist genauso nervtötend wie Samuel."

„Oh- kay... dann ist ja gut. Ich dachte es wäre mindestens noch ein kleiner Funken von dem Gummibärchensüchtigen, kleinen Jungen in dir, mit dem ich mal befreundet war.", sage ich und versuche eine gelassenes Gesicht aufzusetzen.
„Du musst ja selbst sehen wie du dich verhältst und wo du hinguckst.", ich werfe mir die langen, dunkelbraunen Haare über die Schulter, lächele ihn zuckersüß an und gehe.

-

„Was war das da grade?", fragt Giulia, als ich mich wieder neben sie, aus meinen Platz gesetzt habe.
„Dein Bruder hasst mich und ich bezweifle, dass er, wenn er sich so verhält einen derartigen Brief schreiben kann."
„A- aber er hasst dich doch nicht, Vee.", lacht Giulia.
„Er ist in einer Trotzphase der Pubertät."

Ich lache leise auf und schüttele den Kopf.
„Er hasst mich, Giules. Und den Brief hat er auch nicht geschrieben."
„Du hast keinen Beweis, Venus. Wir belassen es nicht dabei, ich rede mit ihm."

Ich wende mich wieder meinem Buch zu und schweife wieder zu Gestern Abend ab.
Samuel ist gar nicht mal so ein typischer Footballspieler wie die in den Büchern und Filmen.
Er hat Humor und ist irgendwie trotzdem charmant.
Wobei das eigentlich auch egal ist, denn das einzige was grade wichtig ist, ist herauszufinden, wer diesen beschissenen Brief geschrieben hat.

-

Im Kunstunterricht sollen wir Menschen aufzeichnen und dann mit Acrylfarbe anmalen.
Eugene, an der Staffelei rechts von mir ist schon fast mit dem perfekten Ausmalen seines Bildes fertig und Lory links von mir hat erst zwei Striche mit Bleistift auf die Leinwand gebracht.
Ich starre meine Zeichnung an und dann meine Planskizze.

„Warum kann ich nicht so malen wie du?", frage ich Eugene, der grinst und seinen Pinsel diskret über seine Leinwand tanzen lässt.
Es ist perfekt.
Die gerade Stupsnase, die glänzenden Augen, dessen Farbe nicht wirklich definierbar ist, weil sie ein Mischmasch aus grau, grün, blau und gelb ist, der Mund, mit den dünnen, aber doch vollen Lippen und sogar das Muttermal am Hals ist perfekt angepasst und gezeichnet.
Die Pinselstriche sind alle an der richtigen Stelle gesetzt worden und der Pinsel wurde mit einer unglaublich ruhigen Hand geführt.

„Das ist perfekt, Eugene. Wer ist das?", ich werde fassungslos von rechts und links angestarrt.
„Das bist du, du Idiotin!", sagt Lory und Eugene sieht mich traurig an, enttäuscht darüber, dass ich das Mädchen auf seinem Bild nicht direkt erkannt habe.
„Aber sie ist perfekt und ich nicht, also-" „Ach, Vee. Wenn Menschen perfekt wären, würde es keinen Spaß machen sie zu malen.", sagt er plötzlich lächelnd und holt seine Mappe hervor.

Er holt mein absolutes Lieblingbild von ihm heraus, auf dem ein kleines Mädchen, so um die vier oder fünf Jahre alt, abgebildet ist, welches über eine Blumenwiese läuft.
Sie hat kein einziges Haar auf dem Kopf, ist aber wunderschön.
Ihr zartes Gesicht, mit den großen, dunkelblauen Augen bringt einen fast zum weinen, so zerbrechlich und wertvoll sieht das kleine Mädchen aus.

„Sie dir das an, sie ist nicht perfekt, aber dennoch schön. Und das bist du auch."
Ich umarme Eugene und seufze.
„Du bist so... gutherzig. Warum können nicht alle Leute so sein wie du?", frage ich eine ziemlich rhetorische Frage.
Dann sehe ich zu Lory, die langsam Struktur in ihre Zeichnung einbringt.
Es ist eindeutig ein Paar. Ein Junge und ein Mädchen, die vermutlich tanzen. Sie zeichnet vorsichtig die lange Stoffbahn des Kleids des Mädchens nach und sieht zu mir auf.

„Was malst du?", fragt sie und ich sehe auf mein Bild.
Ich habe eine Skizze gemacht. Eine Skizze von einem Jungen mit lockigen Haaren und einem niedlichen Gesicht.
„Meinen Cousin, Leo. Er ist herzallerliebst."
„Naww. Ich frag mich was die sort vorne zeichnen.", Lory deutet auf Emilio und Ramsey, die beide in unserem Kunstkurs sind.

Ich grinse und stehe auf, um ein bisschen Müll aus meiner Federmappe in den Mülleimer zu schmeißen und gleichzeitig- natürlich ganz unauffällig- bei ihnen vorbei zu schauen.
Ramsey zeichnet etwas, was ich nicht richtig definieren kann und Emilio hat etwas skizziert.
Einen kleinen Jungen mit dunklen Haaren und großen Augen.
Er hält eine Tüte in der Hand, auf der groß HARIBO steht.

Ich muss lächeln und Emilio dreht sich plötzlich zu mir um.
Er verzieht sein Gesicht zu einem neutralen Ausdruck und seufzt dann genervt.
Ich schenke ihm nur ein breites Grinsen und gehe weiter zum Mülleimer.

- 1080 Wörter

AN
Ugh das ist voll kurz haha. Sorry, Leute.
Im übernächsten Kapitel wird wieder etwas spannendes passieren, also stay tuned <3

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