22|| alyiah.

1.8K 126 26
                                    

Am Dienstag Morgen stehe ich mit meinem Fake- Freund in der Eingangshalle.
Wir unterhalten uns ganz normal über alles mögliche, als seien wir nur Bekannte, die Smalltalk halten würden. In Wirklichkeit lugt Samuel immer wieder zu Madison herüber, deren Blicke ich in meinem Rücken spüre.

Und diese Blicke fühlen sich nicht normal an. Es ist, als würde Madison all ihre Verachtung und Eifersucht in ihren Blick legen.
„Ähh, Samuel. Mein Rücken fängt gleich an zu brennen wenn sie ihn weiter anstarrt.", flüstere ich und Samuel grinst.

Auf einmal nimmt er meine Hände und schiebt sie in die vordere Bauchtasche seines Hoodies, dann dreht er uns einmal um 180 grad, so dass er an der Stelle steht, wo ich gestanden habe und ich an der Stelle wo er gestanden hat. Dann schiebt er seine Hände zu meinen in die Tasche und ich trete einen Schritt näher an ihn heran.

Gekonnt ignoriere ich den Gedanken, dass meine Hände und seine Bauchmuskeln nur der Stoff seines Pullis trennt.
Seine Finger verschränken sich mit meinen und ich sehe mit hochrotem Kopf zu seiner Hoodie- Tasche herunter, in der unsere Hände verweilen.

„Besser so?", fragt er leise in mein Ohr.
Wir sind uns ziemlich nah. Sobald er seinen Kopf zurückzieht trennt nur noch ein Abstand von zehn Zentimetern meine Stirn und sein Kinn.
„Ja. Viel besser. Ich hab das Gefühl ich hab nen Loch in meinem Pulli."

„Hey, ihr!", ruft Lorys Stimme durch die gesamte Eingangshalle und rennt auf uns zu.
„Alyiah ist grade zusammengebrochen. Sie meint sie schafft alles nicht und dass sie fertig ist mit allem.", verbreitet sie den neuesten Klatsch.
Ich löse meine Hände von Samuels und ziehe sie aus der Tasche.

„Was ist denn vorher passiert?!" „Nichts. Absolut gar nichts.", Lory wirft ihre roten Haare nach hinten und blickt mitleidig drein.
„Sie tut mir schon irgendwie leid."
„Mir auch. Wollen wir zu ihr gehen?"

Als ich Samuel einen Blick zuwerfe reißt er entsetzt die Augen auf. „Erstens: es ist Alyiah. Zweitens: wenn du mich hier lässt dann bin ich Frischfleisch für die Blondinen dort vorne.", er grinst, auch wenn nur ich die wahre Bedeutung dieses Satzes kenne lacht Lory leise.

Ich verdrehe die Augen und schubse ihn.
Selbst beim Schubsen kann ich die Muskeln seines Oberkörpers fühlen.
„Du Idiot. Wenn sie Hilfe braucht soll sie die bekommen. Alyiah ist auch nur ein Mensch."
Er nickt und kommt meinem Gesicht plötzlich sehr nah. Erst denke ich, er will mich auf den Mund küssen, um nächsten Moment küsst er mich auf die Wange.

Sobald seine weichen Lippen meine Haut auch nur streifen erstarre ich äußerlich und innerlich wirbelt alles durcheinander vor Schreck.
„Wir sehen uns, babe.", flüstert er leise und ich reiße die Augen auf.
Es ist genau wie in der Situation, in der er mich von hinten umarmt hat, nur dass ich jetzt komplett aus der Bahn geworfen bin.

„Aww.", haucht Lory neben mir und blickt ihm nach. „Ich hab euch noch nie küssen sehen. Also auf den Mund. Das habt ihr aber schon getan, oder?"
Ich nicke heftig mit dem Kopf.
„Sicher. Er kennt auch meine Eltern schon und meine Granny. Es läuft alles."

„Okay, Vee.", Lory bleibt ruckartig stehen. Wir befinden uns in einem leeren Flur an dessen Ende sich das Krankenzimmer befindet.
„Sag mir jetzt die Wahrheit. Du verheimlichst etwas. Du lügst oder spielst irgendetwas vor! Ich will die Wahrheit wis-"
Dem Herrn sei Dank, öffnet sich in diesem Moment die Tür des Krankenzimmers und Alyiah stürmt auf den Flur.

„Alyiah?!" sie rennt an mir vorbei. Ihre Wangen gerötet, die Schminke verschmiert.
Schnell laufen wir ihr nach, bis sie vor dem Spiegel bei den Mädchenklos stehen bleibt.

Alyiah blickt in den Spiegel und als sie uns sieht seufzt sie. Die Blondine wäscht ihr Gesicht mit Wasser ab und sieht- wegen ihres noch verschmierteren Make- Ups- noch schlimmer aus als vorher.

„Alyiah?", frage ich vorsichtig und lege ihr eine Hand auf die Schulter.
Zu meiner Überraschung schüttelt sie diese nicht ab, sondern blickt mich durch den Spiegel an.
„Was ist los?"
Sie seufzt, nimmt sich ein paar Papiertücher aus dem Spender rechts von ihr und wischt sich das Gesicht ab.

„Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mit ansehen wie Lewis und du diesen Scheiß gewinnt und ich überall heruntergestuft werde. Meine Eltern werden mich umbringen, aber die sind ja eh nie da."
Entsetzt darüber, dass Alyiah mir antwortet, frage ich: „Was meinst du?"
„SIE SIND NICHT DA, VENUS. Du verstehst das nicht. Wenn ich ihnen am Ende des Monats nicht erzähle: Mom, Dad. Ich bin Ballkönigin geworden und dazu auch noch die Beliebteste der Schule. Meine Noten sind perfekt und ich habe einen Freund! dann sind sie nicht stolz auf mich..."

Sie macht eine Pause. „Ich muss sie stolz machen. Wenn sie etwas von mir hören, dann nur positives. Aber wenn etwas negatives passiert, dann rasten sie aus. Ich kann mir mein Studium abschminken, wenn ich mich nicht anstrenge. Aber ich strenge mich so sehr an."

Irritiert tue ich etwas, was ich nie von mir erwartet hätte, und ich später bestimmt bereuen werde.
Ich drehe Alyiah und umarme sie.
Sie ist locker einen Kopf kleiner als ich, und ich bin für normale Verhältnisse schon klein.
„Es tut mir leid.", schluchzt sie plötzlich.
„Ich war immer scheiße zu dir und jetzt heul' ich dir den Pulli voll."
Sie löst sich von mir und wischt die Tränen weg. Ich trete einen Schritt zurück, so nahe will ich ihr nun auch wieder nicht sein, wenn ich sie nicht grade aus purem Mitleid umarme.

Auf einmal sieht sie sehr aufgebracht aus.
„Was mach' ich eigentlich hier?!"
„Alyiah, vielleicht solltest du dir nen Therapeuten suchen.", behauptet Lory auf einmal und ich versuche mein Grinsen zu unterdrücken.
„Du hast recht, Alora.", stimmt Aliyah zu meiner Überraschung zu.
„Ich bin ein hoffnungsloser Fall."
„Vielleicht können wir ja mal reden oder so?", frage ich sie langsam und sie vergrößert den Abstand zwischen uns um weitere achtzig Zentimeter, greift nach ihrer Tasche und sagt dann: „Ja. Ich schreib dir wenn ich reden will."

Meine Erzfeindin rempelt mich an und verlässt die Mädchentoiletten.
Lory starrt mich fassungslos an.
„Du willst ihr helfen?!"
Ich zucke mit den Schultern und seufze.
„Ich kann sie nicht einfach leiden lassen. Sie scheint wirklich schon die ganze Zeit diese Scheiße durchzumachen, Lory."

Lory nickt langsam.
„Du hast recht."

love lettersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt