Alles hat einen Anfang

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Rugge

Ich schlendere mit meinem besten Freund Agus zu unserem Klassenraum. "Weißt du schon, was du am Abschlusskonzert spielen wirst? Bestimmt wieder einen Solosong, oder?", fragt er schmunzelnd und gibt mir einen brüderlichen Hüftstoß. "Natürlich. Du sprichst mit Ruggero Pasquarelli, der beste Musiker im ganzen Studio "One Beat". Klarerweise werde ich da einen Soloauftritt haben.", erwidere ich angeberisch und klopfe meinem Kumpel auf die Schulter. Dieser lächelt nun etwas gequält. "Und du willst sicher nicht mit mir zusammen singen?" "Bro, es tut mir leid, aber ich kann mit anderen Leuten nicht zusammenarbeiten." Ich würde gerne mit meinem besten Kumpel zusammen singen, aber ich kann nicht.
Ich will nicht, dass das gleiche wie in der Aufführung, im ersten Halbjahr passiert. Das schaffe ich kein zweites Mal. Niemals.

Total in meinen Gedanken, bemerke ich nicht, wie ich direkt auf ein Mädchen zusteuere. Erst als ihre Bücher mit einem lauten Knall zu Boden fallen, komme ich in die Wirklichkeit zurück. Ich bücke mich gleichzeitig mit ihr hin und will ihr beim Aufheben, ihrer Schulsachen helfen, doch sie hat in Sekunden wieder alles aufgesammelt. "Tut mir leid." Ich versuche Blickkontakt mit der Unbekannten aufzunehmen, was aber durch mehrere Haarsträhnen, welche vor ihr Gesicht gefallen sind, erschwert wird. Das Mädchen blickt schüchtern durch ihren Haarvorhang zu mir, aber als sie meinen Blick bemerkt, starrt sie schnell wieder auf ihre Sachen. Ihre aufgehellten, beinahe blonden Haare fallen nun noch mehr vor ihr Gesicht und bedecken es beinahe vollkommen.  Dann stehen wir auf und kurz sieht sie mich noch einmal an, bevor sie anschließend starr auf ihre Bücher in ihren Händen starrt und schnellen Schrittes an mir vorbeigeht. Ich folge ihr mit meinem Blick und dabei fällt mir ihr leicht roter Kopf auf. "Ist sie neu hier?", wende ich mich an Agus, da ich mich nicht erinnern kann, sie schon mal gesehen zu haben. "Wahrscheinlich. Sehr schüchtern, meines Erachtens, aber dir scheint sie zu gefallen, oder?" Belustigt hebt er seine Augenbrauen kurz an. "Nein, ich wundere mich nur, dass sie gar nichts gesagt hat." Agus grinst und erwidert theatralisch: "Man stößt ja nicht jeden Tag mit dem weltberühmten Ruggero zusammen." "Hahaha.", erwidere ich ironisch darauf. "Was habe ich da eben gesehen?", hören wir plötzlich die Stimme unseres Lehrers Beto. Er ist ziemlich zerstreut und leicht verrückt, aber dennoch ein lieber Lehrer. "Zwei Seelen, die füreinander bestimmt sind.", seufzt er und legt seine Hände auf seine Brust. Meint er mich und dieses Mädchen? "Entschuldigen Sie, aber es war nur ein unvorhersehbarer Zusammenstoß. Außerdem kenne ich das Mädchen nicht." "Ich erkenne aber immer, wenn zwei Stimmen perfekt harmonieren werden und bei euch beiden ist das der Fall." Agus muss sich mittlerweile das breite Grinsen verkneifen, während ich die Augen verdrehe. "Sie wissen doch gar nicht, wie wir zusammenklingen." "Aber ich fühle es. Ihr zwei seid...perfekt!" Dabei macht er eine so große Armbewegung, dass seine Hefte, die er eben noch in der Achsel eingezwickt hatte, herunterfallen. "Perfekt für was?" Beto holt sich seine Sachen vom Boden und wedelt mit ein paar Zetteln vor meiner Nase. "Für das da!" "Für Zettel?", frage ich verwirrt. "Nein. Für einen Song." Beto sieht mich mittlerweile an, als könnte er nicht begreifen, wie man so begriffsstutzig sein kann. Ich schüttle den Kopf. "Vergessen Sie es. Ich singe mit niemand anderen. Das wissen Sie genau." "Dinge können sich ändern, genauso wie...Essen." Verträumt sieht unser Lehrer in die Luft. "Hä?", entfährt es Agus, während ich zu ihm blicke, verwirrt meine Arme anwinkle und meine Hände nach oben hebe. Wir sehen uns gegenseitig an und müssen uns beherrschen, nicht loszulachen. "Ja. Essen. Wo habe ich nur meine Jause hingelegt?" Beto sieht sich suchend um und rauscht plötzlich um die nächste Ecke. "Manchmal frage ich mich, was in seinem Gehirn los ist.", meint Agus lachend und schüttelt seinen Kopf. "Ja. Er und seine komischen Ideen. Aber er spinnt immer ein wenig." Ich deute Agus einen Vogel. Anschließend betreten wir grinsend unseren Klassenraum und vergessen Beto mit seinen Weisheiten.

Am Nachmittag sitze ich, wie immer, in einem leeren Raum, auf einer kleinen Bühne, am Bühnenrand, lasse meine Beine über den Rand baumeln, lausche leiser Inspirationsmusik über einen Kopfhörer, den ich mir nur in ein Ohr gesteckt habe und probiere dabei Akkorde auf meiner Gitarre aus. Vor mir liegen Zettel und ein Stift, sodass ich meine Ideen sofort aufschreiben kann. Ich denke an den Zusammenstoß vor der ersten Stunde und grinse breit. Zwei Seelen, die füreinander bestimmt sind. Ich verdrehe die Augen. Völlig durchgeknallt. Aber bei den Gedanken an das Mädchen kommt mir eine Melodie plus Text in den Sinn. Sofort beginne ich die Gitarre zu spielen und dabei zu singen.

Quiero verte sonreír. Quiero verte junto a mi. No puedo ya no quiero. No es fácil ocultar mis miedos.

Da öffnet sich die Tür und ein aufgeregter Beto mit...der Unbekannten von heute Morgen, kommt herein. "Hier ist er. Der talentierteste Musiker des Studios. Er wird dir helfen, damit du einen grandiosen Song auf die Beine stellst." Dann dreht er sich mir zu. "Ruggero, das ist Karol. Sie ist in der ersten Klasse und ich sehe in ihr viel Potenzial. Darum werdet ihr zusammen einen Song für das Abschlusskonzert schreiben." Sofort rufe ich:" Das geht nicht!" Bei den Worten zuckt das Mädchen zusammen und blickt zu Boden. "Oh doch. Sie braucht noch ein wenig Hilfe, von jemanden der Erfahrung hat, wie du." Empört lege ich die Gitarre neben mich. "Wieso ich? Warum nicht Agus?" Beto geht ein paar Schritte auf mich zu und stolpert über eine Trommel, die am Boden steht. "Weil ihr beide Schwächen und Stärken habt, die sich untereinander ausgleichen. Voneinander könnt ihr noch viel lernen." Erstaunt sehe ich unseren Lehrer an. Noch nie hat er etwas so ernst gesagt. Doch bevor ich weiter darüber verwirrt sein kann, ist er wieder in seiner alten Rolle. "Ach, unser Direktor bat mich noch zu sagen, dass euer Song ein Liiiiebeslied wird.", meint er entzückt, wobei er bei "Liebe" mit seiner Stimme sehr in die Höhe geht. Beto formt seine Lippen zu einem Kussmund und macht so Kussgeräusche, bevor er langsam rückwärts zur Türe geht und dabei in weitere Instrumente stolpert. "Ich lass euch dann Mal allein, damit ihr alles klären könnt." Verzweifelt versuche ich zu erklären, wie unüberwindbar diese Aufgabe ist, vor der er mich gestellt hat. "Beto, Sie wissen doch genau, dass ich..." Doch er lässt mich nicht ausreden. "Ich weiß, aber darum geht es hierbei auch." Dann verschwindet er aus der Türe. Seufzend verhake ich meine Beine zu einem Schneidersitz, stütze meine Ellbogen auf meine Oberschenkel auf und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich kann mit keinem anderen Menschen zusammenarbeiten. Ich muss mit den Lehrern sprechen. Vorsichtig blicke ich zu Karol, die noch immer ihre Zehen bewundert. Ich seufze. Das kann Beto doch nicht ernsthaft verlangen? Er weiß doch selbst, was damals passiert ist. Mich plagt der Vorfall seitdem immer wieder. Einmal im Monat habe ich diesen furchtbaren Albtraum, wo ich zusammenbreche und nur die ängstlichen Schreie um mich herum hören kann. Ich schüttle die Gedanken schnell ab und versuche mich auf das Mädchen vor mir zu konzentrieren.
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Ich weiß nicht warum, aber ich habe noch eine Geschichte veröffentlicht. Diese werde ich aber nicht sooft updaten. Wollt ihr weiterlesen?

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