Kapitel 6

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Viviens POV

Als ich die Augen öffnete, war es draußen bereits dunkel. Die vierzehn Stunden verlorenen Schlaf aufzuholen, war gar nicht schlecht. Die Digitaluhr auf dem Nachtschrank zeigte kurz vor halb fünf – nachmittags. Seufzend, aber ausgeruht öffnete ich den Schrank und holte dunkle Sportklamotten heraus. Im Bad flechtete ich die Haare – soweit es möglich war – zu Zöpfen.

Die Trainingshalle lag unweit der Schlafzimmer. Kaum fünf Minuten später kam ich an und trat ein. Die Degen hatte ich am meisten vermisst, weswegen ich zuerst auf diese zusteuerte. Glücklich nahm ich einen aus der Halterung und begann damit herumzufuchteln. Mein Blick huschte in Richtung der in den Boden eingebauten Dummys. Schnellen Schrittes ging ich auf einen zu und malträtierte die Verkleidung mit dem Degen. Als das nach einer gefühlten Stunde zu einseitig wurde, warf ich die Waffe zurück in die Halterung und beschäftigte mich lieber mit Pfeil und Bogen. Die Zielscheiben waren in der Halle verteilt. Eine hing über dem Eingang, während eine andere knapp hinter dem äußersten Dummy hing und eine weitere war an der Zuschauerscheibe befestigt. Ich grinste und spannte den Bogen. Das erste Ziel war der Eingang.

Mitte getroffen.

Ich legte den nächsten Pfeil an die Sehne und spannte den Bogen. Vor dem Schuss in Richtung des Dummys atmete ich aus.

Mitte getroffen.

Die Zuschauerscheibe war mein Lieblingsziel. Mit Schwung holte ich den letzten Pfeil hervor. Ich spannte ihn ein und schoss.

Mitte getroffen.

Während des Schusses hätte ich schwören können, eine Bewegung in dem unbeleuchteten Raum gesehen zu haben. Ich schüttelte es ab.

Aus dem Augenwinkel sah ich einen Gegenstand auf mich zufliegen. Ich duckte mich und rollte zur Seite, sodass ich den Eingang sehen konnte. Ich erhob mich und fuhr mir über das Gesicht. "Echt jetzt? Musste das sein?" Neben mir in der Wand steckte ein Wurfstern.

Silas stand grinsend an den Türrahmen gelehnt, während die Auszubildenden ihre Augen aufgerissen hatten. "Und genau so greift man aus dem Hinterhalt an. Nur hat man keine Chance, wenn die zu attackierende Person Vivien Lehmann ist." Ich lief auf die Gruppe zu. "Wie wäre es jetzt mit einem Übungskampf, Silas?"

"Gern", sagte er nickend und bedeutete der Gruppe, ihm zu folgen. "Jetzt seht ihr die Unbesiegbare mal in Aktion."

"Halt die Klappe und fang lieber an", entgegnete ich genervt. Er stellte sich auf der Nahkampfmatte mir gegenüber und zog seine Handschuhe über. "Warum so ungeduldig?" Anstatt zu antworten rannte ich auf ihn zu und machte eine Beinschere. Ich drehte meinen Körper einmal um seinen und sprang ab, bevor er auf dem Boden landete, dann ging ich wieder auf Distanz. Ich hüpfte locker auf und ab. Silas kämpfte sich hoch und nickte anerkennend. "Bei dem Move, hat man schon verschissen."

"Weißt du ja am besten." Ich schmunzelte frech und hob die Fäuste. Langsam schritt ich auf ihn zu und wich schnell einem Kinnhaken aus, um dann in seine Magengrube zu boxen, woraufhin er taumelte. Die Auszubildenden beobachteten anscheinend mit Genugtuung, wie ihr Vorgesetzter verprügelt wurde.

Ich trat nach Silas Kopf – oder wollte es zumindest. Er ergriff meinen Fuß und grinste triumphierend. Ich grinste ebenfalls. Mit dem anderen Bein hob ich vom Boden ab und drehte mich um dreihundertsechzig Grad, wobei ich Silas ins Gesicht kickte. Es ließ mich los, hielt sich die Wange und wackelte mit seinem Untergebiss. "Kann es sein, dass du mir den Kiefer ausgerenkt hast?"

"Glaube ich kaum", entgegnete ich lächelnd und legte die Handschuhe ab. "Ich glaube, dass das genug Verletzungen für dich für einen Tag waren, Silas." Winkend verließ ich die Halle und kehrte ins Zimmer zurück. Nach einer schönen Dusche und einem mehr als nötigen Kleiderwechsel, schaute ich erneut auf die Uhr. 18:13. Abendessen.

The Real WidowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt