Kapitel 9

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Viviens POV

"Arschloch", murmelte ich in ständiger Wiederholung bei dem Gedanken an die Tatsache, dass Nikki mich wahrscheinlich freiwillig an SHIELD verraten hatte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell meine Adoptivschwester aufsuchen, um an mich heranzukommen. Woher sollten sie auch wissen, dass ich sie besuche? Weiblicher Instinkt?

Ich knallte den Autoschlüssel von Leon und meine Handtasche auf die Kommode im Schlafzimmer und fuhr mir wütend durch mein Haar. Ich habe Nikki vorher nicht einmal angeschrieben, geschweige denn angerufen. Wie denn auch, wenn ich nicht mal mehr ihre Nummer hab?

Gedankenverloren schritt ich durch das Zimmer und überlegte mir jedes mögliche Szenario, wie sie es geschafft hatten mich ausfindig zu machen. Voraussetzung: Sie wussten, dass ich zurück in Deutschland bin. Es gab aber keinerlei Anzeichen, dass ich sie besuchen wollte. Variante 1: Shield will Nikki, weil sie meine Adoptivschwester ist und ich irgendwann Kontakt aufnehmen würde und sie mich so fassen könnten. Variante 2: Nikki wurde aufgrund ihres beendeten Biologiestudiums, das sie -überraschenderweise- als eine der drei besten abgeschlossen hat, rekrutiert und mich in die Falle zu locken ist nur ein kleiner Gefallen, den sie ihnen tut. Variante 3: Nikki geht durch Erzählungen davon aus, dass Shield die Guten sind und ich die Böse, weswegen sie ihnen hilft . . . Schön und gut, aber wie zur Hölle hätten sie mich finden sollen? Ich habe jeden Kontakt zu Bekannten abgebrochen, als ich zu Hydra kam. Keiner wusste, wo ich bin . . . Moment mal! Woher sollten sie überhaupt wissen, dass ich in Berlin bin, verdammt? Mein Blick flog zur Handtasche. Ich riss sie vom Schrank und kramte nach dem Handy, als ich es nicht sofort fand, drehte ich die Tasche um, sodass der Inhalt dumpf auf dem Boden landete und herumrollte. Als ich das Smartphone erkannte und die Hülle abmachte, entdeckte ich einen kleinen Chip, der rot blinkte. Ich Idiot . . . Natürlich, die haben mich geortet! Darauf hätte ich auch eher kommen können!

Ich war kurz davor den Chip zu entfernen, als mir in den Sinn kam, dass das wahrscheinlich jemand mitbekommen würde und dann viele SHIELD-Agenten hier hineinspazieren würden. Ich werde sicher nicht Hydras Untergang bedeuten! Die Frage ist, was SHIELD daran hindert hier einzumarschieren. . . Warum fallen sie nicht über uns her wie die Wahnis und metzeln jeden treuen Hydra-Anhänger nieder? . . . Achso, ich vergaß: Sie sind die Guten . . . Ich rollte genervt mit den Augen und steckte das Handy wieder in die Hülle. Wie werde ich diesen verdammten Chip los?

"Ich brauche deine Hilfe." Simone blinzelte ungläubig, als ich ihr Büro betrat. Sie deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch und rollte leicht weg vom Arbeitsplatz, nachdem sie ihren PC gesperrt hatte.

"Wobei?" fragte sie knapp und zog eine Braue nach oben. Als ich mich setzte, begann sie mit einem Stift zu spielen, der auf dem Tisch gelegen hatte. "Wenn du jemanden um Hilfe bittest, gehe ich stark davon aus, dass es ernst ist. Du bittest nämlich nicht gern darum."

"Wie gut du mich doch kennst", begann ich und knallte ihr mein Handy auf den Tisch. Sie zuckte kurz zusammen und ließ den Stift auf das Holz plumpsen. Sie musterte die Hülle und schaute dann fragend zu mir. "Klär mich auf."

"Ich war vor einer Weile in New York. Ich bin mir fast sicher, dass er mir dort untergejubelt wurde. Meine Schwester wollte mich anscheinend im Blick haben", begann ich und beobachtete Simones interessierten Blick. "Bekommst du den Peilsender vom dem Handy auf das, ohne den Kontakt abzubrechen?"

"Ich bin Hackerin und keine Hexe", sagte sie und pustete die Luft aus ihren Lungen. Sie legte mein Smartphone auf dem Tisch nieder und griff nach dem, das ich ihr entgegenhielt. "Du willst, dass ich den Chip auf das Einweg-Telefon übersetze?"

"Ohne den Kontakt abzubrechen, exakt", erwiderte ich erwartungsvoll. "Sollte es aufhören zu blinken ist der Kreislauf durchtrennt und wir haben ein großes Problem: Stark – von dem ich ausgehe, dass er es war – wird alarmiert und SHIELD überrennt uns."

"Das sind verdammt beschissene Bedingungen, Vivien." Die talentierte Hackerin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. "Wie lange trägst du es schon mit dir herum?"

"Vielleicht eine Woche", gab ich zu und fuhr mir übers Gesicht. "Mach' bitte einfach nur den Chip da weg, ohne dass es jemand mitbekommt."

"Ich kann's versuchen", sagte Simone letztendlich und erhob sich vom Drehstuhl.

Seit gefühlten Stunden tigerte ich bereits vor der Tür ihres Büros umher. Anfangs war ich bei ihr, doch sie sagte, ich mache sie unruhig und hatte mich deshalb rausgeschickt. Die Tatsache, dass sie Hydras Untergang sein könnte, machte sie fertig, trotzdem hatte sie die Aufgabe angenommen. Ich wusste, dass sie es schaffen konnte. Simones Fähigkeit einen kühlen Kopf zu bewahren und ihre Ausdauer hatte ich bereits bei unserer ersten Mission bewundert. Als ich damals im Pentagon war, war der anfängliche Fluchtweg versperrt, weswegen sie mich ohne Plan durch die Gänge manövrierte – dachte ich zumindest. Wie sie mir danach sagte, hatte sie sich alle erdenklichen Wege notiert, auf denen sie mich hätte unbeschadet hinaus bekommen können.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich ihre Bürotür öffnete. Simone stand im Rahmen und winkte mich zu sich. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, ließ sie sich mir gegenüber nieder.

"Und?" fragte ich hoffnungsvoll und zog meine Augenbrauen hoch. Simone atmete laut aus und zuckte mit den Schultern. "Ich warte schon seit genau sechzig Minuten, dass hier jemand von SHIELD auftaucht, aber-"

"Was?" unterbrach ich sie irritiert und kniff die Augen zusammen. "Du meinst, ich habe draußen umsonst so lange stehen müssen?"

"Ich war mir nicht sicher, ob es funktioniert hat. Ich wollte dir nicht unnötig Hoffnungen machen, deswegen musstest du warten."

"Also hat es funktioniert?"

"Ich gehe stark davon aus", sagte sie und überreichte mir die Handys. Sie verschränkte schmunzelnd ihre Arme. "Du schuldest mir was."

"Ich lade dich mal auf einen Drink ein", scherzte ich grinsend. Simone legte ihren Kopf schief. "Nur einen?" Wir begannen beide zu lachen. Sie sah zu, wie ich mich aufstellte und die Smartphones in meiner Jackentasche verschwanden. Sie räusperte sich. "Wie kommt es, dass SHIELD uns nicht angegriffen hat?"

"Das wüsste ich auch gern", gab ich zu und stützte mich auf den Schreibtisch. "Du weißt: Strengste Geheimhaltung. Keiner erfährt etwas . . . auch nicht Daniel." Simone schaute verwirrt zu mir auf und zog ihre Brauen zusammen. "Warum sollte er etwas erfahren?"

"Ich weiß es", sagte ich lächelnd. Ihre Wangen wurden automatisch etwas rot und sie löste die verschränkten Arme, nur um sie dann im Schoß zu falten. "Woher? Hat er es dir gesagt?"

"Ich kann gut sehen. Außerdem habe ich genug Erfahrung von Missionen, bei denen ich Paare beschatten sollte. Die Blicke, die Mimik und Gestik, ich weiß wie wahre Liebe aussieht. Ihr verratet euch selbst", lachte ich und drehte mich zur Tür. "Beschützt euch und haltet aneinander."

The Real WidowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt