Natashas POV
Ungeduldig tippte ich auf dem Smartphone herum. Es war immer noch keine Nachricht eingegangen, obwohl der Flieger vor einer Stunde gestartet war. Barton hätte sich längst melden sollen. Dank Meier Junior wusste ich immerhin, dass sie mit Sicherheit im Flieger saß, aber Barton entdeckt hatte. Ich fuhr mir übers Gesicht. Eigentlich hätte ich jemanden schickten sollen, den sie nicht kannte. Mit Wanda hätte ich mir alle Scherereien ersparen können. Sie hätte einfach ihre hübschen Gedankenkontrollkräfte anwenden und Gaia so gefügig machen können, aber nein, ich musste mich ja von Clint überreden lassen, ihn die Sache klären zu lassen.
Langsam ließ ich mich auf einem Stuhl nieder und legte das Handy auf den hölzernen Schreibtisch. Nachdem ich mich heute Morgen mit ein paar Shield-Agenten, wie auch Wanda und Stark auf den Weg nach Russland gemacht hatte, war Meiers Nachricht des Eintreffens am Flughafen angekommen. Danach sprachen wir über den Plan. Als er im Flugzeug saß, hatten wir die Residenz des amerikanischen Botschafters erreicht, der uns mit offenen Armen empfangen hatte und seit unserer Ankunft mit Stark redete.
"Natasha?" Wanda stand im Türrahmen und musterte mich. Ihre Mundwinkel zuckten etwas, als sie den Raum betrat und sich auf den Stuhl mir gegenüber setzte. "Stark und der Botschafter kommen nicht mehr voneinander los und Shield hat sich notdürftig eingerichtet, so wie vorgesehen. Ich hingegen habe keine Beschäftigung, also wofür hast du mich mitgenommen? Ich hätte mich nämlich auch in Washington hervorragend langweilen können."
Plötzlich vibrierte das Telefon auf dem Tisch. Ich hob ab und drückte die Lautsprechertaste. "Was ist los?"
"Wir landen in fünfunddreißig Minuten. Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde", entgegnete Meier Junior und atmete entspannt aus. "Gaia ist verdammt sauer. Du solltest wahrscheinlich so etwas wie ein Leckerli mitbringen, um sie zu beruhigen."
"Ich habe ein Leckerli", sagte ich und schaute zu Wanda, die mich mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete. Der Deutsche verabschiedete sich und legte auf. Ich steckte das Handy ein und packte Wandas Handgelenk. "Lass uns losfahren, Leckerli."
"Wie jetzt?" Wanda entzog mir ihre Hand und sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Ich ergriff wieder ihre Hand. "Gedankenkontrolle."
Knappe fünfzehn Minuten später kamen wir an und gingen sofort in Position. Die Shield-Agenten sicherten unerkannt die Umgebung, während Wanda und ich den Empfang machten. In den Pistolen, die die Agenten bei sich trugen, waren nur Betäubungspfeile.
"Wir sind gelandet", gab Barton durch sein Kommunikationsgerät durch. "Und deine Schwester ist immer noch wütend, Natasha." In seiner Stimme schwang ein wenig Belustigung mit.
"Sechs Agenten in Zivil bleiben in eurer Nähe", versicherte ich und schaute zur Maximoff, die mit einem Kaffee in der Hand auf dem Boden saß und ihre Nachrichten im Handy checkte. Sie schaute auf, als sie meinen Blick auf sich zu spüren schien und prostete mir grinsend zu. Sie stand auf und kam zu mir. Dann übergab sie mir den Kaffee. "Ich kann sie sehen."
"Nur, wenn sie nicht spurt, Wanda", stellte ich streng klar. Die gebürtige Serbin sah mich kurz an und griff dann wieder nach dem Getränk. "Ich bin da hinten, wenn du mich brauchst."
"Hundert Meter Entfernung", sagte ein Agent und stellte sich neben mich. Ich nickte. Gaia tauchte in meinem Blickfeld auf, um sie herum acht Männer, um sie in Schach zu halten und sie grinste schelmisch vor sich hin. Wahrscheinlich würde ich Wanda doch eher brauchen, als gedacht. Meine Schwester war definitiv in der Lage, alle der Männer fertig zu machen und so wie sie aussah, würde es nicht mehr lange dauern, bevor sie angriff. Ein Lächeln von ihr ließ mich in Alarmbereitschaft gehen. "Gaia könnte jeden Moment-" Der Beginn einer Prügelei zwischen ihr und dem Agenten rechts daneben, unterbrach meine Durchsage. Ich sprintete sofort los, musste aber mit ansehen, wie sie einen nach dem anderen Agenten niederrang. Bevor ich ankam, lagen bereits fünf am Boden. Ich zog eine Pistole aus den Halfter eines am Boden liegenden und richtete diese auf Gaia. Weil meine Schwester aber noch im Kampf mit einem Agenten war, konnte ich den Abzug nicht betätigen. Egal, wie lange ich zielte, ich würde nicht treffen, sie bewegte sich zu schnell. Barton hielt sie kurz fest, doch im nächsten Moment befreite sie sich und warf ihn zu Boden. Als ihr Blick auf mich fiel, duckte sie sich ab und rannte auf den Ausgang zu. So viel Sprint hatte ich nicht mal in meiner Zeit beim KGB. Ich folgte ihr und steckte die Waffe ins Halfter an meinem Oberschenkel.
"Wanda", sagte ich und drückte meine Hand ans Ohr. Als ich keine Antwort bekam, gab ich es auf und rannte ihr einfach hinterher. Kaum, dass ich den Flughafen verlassen hatte, kam mir Wanda entgegen, Gaia folgte ihr willenlos. Die Slawin nippte unbeschwert an ihrem Kaffee und deutete auf meine Schwester. "Lass sie uns ins Spaso Haus bringen."
"Und jetzt?" Ich und Meier, wie auch Barton und Stark hatten uns in einem kleinen Konferenzraum einquartiert, um weiteres Vorgehen zu besprechen.
"Wir sollten in die Staaten fliegen, um ihr diesen Chip zu entfernen", meinte Stark und lehnte sich zurück. Meier schüttelte den Kopf. "Mein Vater denkt, dass wir in Russland Urlaub machen. Wenn sie jetzt in die Staaten gebracht wird, macht mir das unsagbare Schwierigkeiten, weil sie geortet werden kann."
"Ganz vergessen", gab Stark zu und fuhr sich übers Gesicht. "Das Problem ist, dass ich meine Geräte zur Entfernung des Chips in New York sind."
"Moment", sagte Meier auf einmal, als hätte er es bei erster Erwähnung überhört und hob die Hände. "Ihr wollt ihr den Chip entfernen?"
"Was schlägst du denn vor?" fragte Stark angepisst. Meier rollte mit den Augen. "Das ist eine gute Idee, nur . . . wie wollen Sie es entfernen?"
"Ich habe eine Methode entwickelt, bei der die Verbindung zwischen Gehirn und Chip freiwillig gekappt wird. Man muss sich das vorstellen, als würde man einen USB-Stick an den PC anstecken – das ist der derzeitige Zustand. Normalerweise wirft man den Stick mit einem Befehl aus. In dem Fall wird das fremde Laufwerk automatisch ausgeworfen – ohne Risiken."
"Klingt logisch", sagte Meier und kratzte sich am Kinn. "Man könnte den Chip aber auch einfach kurzschließen und so den Tod von Gaia vortäuschen. Ich kehre zurück nach Deutschland und überbringe dem Director die Nachricht, dass Gaia getötet worden sei."
"Willst du sie umbringen?" entgegnete Stark und riss die Augen auf.
"Wieso umbringen", fragte Meier verwirrt und zog seine Brauen zusammen.
"Du willst einen Ausschalter kurzschließen? Dann stirbt sie definitiv." Stark schob ihm einen Ordner mit Papieren zu, den er durchschaute. Als er ihn schloss, grinste er und schob ihn zurück. "Der Chip ist kein Ausschalter, Sie Genie. Es ist lediglich ein Mittel um sie gefügig zu machen."
"Langsam", fuhr ich dazwischen. "Also ist der Chip kein Ausschalter, sondern kontrolliert sie?" Barton lachte. "Ich hatte Recht. Sie handelt nicht allein."
"Sie macht alles aus freien Stücken", versicherte Meier und beugte sich nach vorn. "Der Chip ist nur eine Blockade."
"Wie muss ich mir das vorstellen?" erkundigte sich Stark. Meier schaute zur Stirnseite. "Es gibt psychische und physische Blockaden. Der Unterschied liegt in der Vorgehensweise. Während bei psychischen Blockaden die Erinnerungen stückweise wiederkommen – wenn man Glück hat –, kann die Erinnerungszufuhr bei einer physischen Blockade ganz verschlossen werden. So ist es bei Gaia. Ihr wurden Teils schlechte und falsche Erinnerungen an dich eingepflanzt, Natasha. Deswegen ist sie so, wie sie ist."
"Warum?" erwiderte ich fragend und hob meinen Kopf. Der Deutsche zuckte mit den Schultern. "Man will nichts mit den Menschen zu tun haben, die einen nicht lieben. Aus Hass zu dir hat sie gegen Shield gearbeitet. Und das kam meinem Vater zugute."
"Wieso hat er das gemacht?" Ich schloss einen Augenblick die Augen und sah dann zum Hydra-Agenten. "Warum hat er meiner Schwester falsche und schlechte Erinnerungen eingepflanzt?"
"Das ist eine lange Geschichte", meinte er erschöpft und schaute auf die Uhr. "Wir sollten-"
"Vergiss es", fuhr ich drohend dazwischen und erhob mich. "Ich will jetzt endlich wissen, wie Gaia zu Hydra kam."
"Na schön, sagte Meier Junior und setzte sich gerade. Als er den Mund öffnete, stürmte plötzlich ein verletzter Agent in den Raum. "Gaia ist geflohen . . . Schon wieder."
"Das darf doch nicht wahr sein", fluchte ich leise und verließ schnell das Zimmer.
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The Real Widow
FanfictionJede Geschichte hat ihren Anfang und ihr Ende . . . Es heißt, das Leben sei die Leinwand und das Schicksal das Gemälde. Mit unseren Entscheidungen ändern wir lediglich die Farbe, zu mehr sind wir nicht in der Lage. Das Schicksal gibt den Weg vor und...