Kapitel 16

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Viviens POV

Ich konnte meine Augen kaum noch offen halten, als ich die Tasche auf den Rücksitz knallte und dann vorn einstieg. Leon saß bereits am Steuer und trommelte mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum. Er hatte darauf bestanden selbst zum Flughafen zu fahren, schließlich wolle er heil dort ankommen.

"Bist du so weit?" Er schaute zu rüber und startete nach einem Nicken meinerseits das Auto. Ich schloss entspannt meine Augen und lächelte. Die Flugtickets hatte Leon gleich darauf gebucht, aber im Gegensatz zu mir freute er sich nicht im Mindesten auf das Reiseziel. Er hielt nicht viel von meinem Geburtsland – warum, hatte er nicht verraten wollen.

Leon seufzte und fuhr seinen dunklen BMW durch den Berufsverkehr Berlins. "Warum Russland?" Ich setzte mich gerade und beobachtet, wie Leon alles im Umfeld in Blick behielt. Er blieb an einer roten Ampel stehen und blickte zu mir. Ich rollte meine Augen. "Das hatten wir schon, Leon."

"Na schön", sagte er dann und bog links ab. "Und du bist dir hundertprozentig sicher, dass du dort hin willst?" Ich stöhnte entnervt auf, was Leon zum Schmunzeln brachte. "Ich höre das lieber in einem anderen Zusammenhang."

"Mensch, Meier", sagte ich und schlug ihm gegen den Oberarm. "Ich bin mir sicher, dass ich in mein Ursprungsland will. Jetzt lass deine unnötigen Fragen . . . Du klingst schon wie dein Vater."

"Danke", entgegnete er und legte seine Hand auf die Gangschaltung. Ich schaute aus dem Fenster . "Leon, dürfte ich bitte noch schnell in die Drogerie? Ich habe die Ta-"

"Ich will es gar nicht wissen", wehrte er ab und stellte sich in eine Parklücke, woraufhin ich ausstieg.

In weniger als zwanzig Minuten hatten wir den Flughafen erreicht. Während Leon eincheckte, saß ich auf einer Bank in der Nähe und beobachtete Menschen, die mit ihrem Gepäck durch die Gegend liefen, gestresste Geschäftsleute, die sich das Telefon ans Ohr pressten und schreiende Kleinkinder. Letzteres ging mir am meisten auf die Nerven. Ich hatte Kinder noch nie gemocht und würde sie wahrscheinlich auch nie mögen, trotzdem war es schön, sie so unbeschwert zu sehen. Liebevolle Eltern zu haben war ein Geschenk. Nikkis Eltern waren zwar auch gut zu mir gewesen und hatten mich wie ihr eigenes Kind aufgezogen, aber sie würden nie ein Ersatz meiner biologischen Eltern darstellen, egal, wie viel Mühe sie sich gaben. Nachdem ich von meiner wahren Identität erfahren hatte, war mir klar, dass ich mit meinen Eltern erst im Jenseits vereint sein würde.

"Alles klar?" fragte mein Begleiter und übergab mir die Tickets. "Ich müsste noch schnell telefonieren."

"Ist ok", entgegnete ich entspannt und schloss erneut meine Augen, um in einen leichten Schlaf zu fallen.

"Du weißt es", schrie die Frau wütend und schellte das Mädchen. Du weißt es!

"Was weiß ich?" fragte das Mädchen gefasst.

"Du weißt wo sie ist!" schrie sie wieder und schlug mit der Faust zu. "Sag es mir!"

"Wo ist wer?" entgegnete das Mädchen irritiert und spuckte Blut aus. "Um wen geht es denn?"

"Um deine Schwester", rief die Frau und klatschte dem Mädchen erneut ins Gesicht. Ihr Kopf flog kurz zurück, sie lachte wie eine Irre. "Sie müssen schon mehr machen, um irgendwas aus mir heraus zu bekommen, Morosova."

"Das lässt sich regeln, Romanova", entgegnete die Leiterin des KGB herzlich lächelnd und zuckte mit den Schultern. "Und sollte ich deine Schwester finden, kannst du sich darauf verlassen, dass ich sie nicht dem Black-Widow-Programm unterziehen werde." Natalia schaute auf. In ihren Augen spiegelte sich Hoffnung wieder. Doch Morosova zerstörte diese. "Ich werde sie töten."

"Nein", hauchte das Mädchen und begann sich heftig gegen die Fesseln zu wehren. "Lassen Sie meine Schwester aus dem Spiel, Morosova!"

"Würde ich gern, aber deine Blutlinie ist besonders bedeutend für mich. Du musst wissen, dass dein Stammbaum in eine Zeit zurückreicht, in der die Familie Romanow das wichtigste Kampfesgeschlecht war." Natalia blinzelte verwirrt. "Warum wollen Sie meine Schwester dann töten, wenn sie so bedeutend ist?"

"Das Serum, das den Teilnehmern des Programms injiziert wird, um sie gefügig zu machen, hat bei dir nicht lang gewirkt, was ich auf dein Blut schiebe. Gaia hat dieselben Gene . . . Eine Romanow kann nicht viel ausrichten, aber zwei sind gefährlich."

"Vivien?" Ich saß sofort aufrecht, als mich Leons Stimme in die Realität zurückholte. Er packte sein Telefon in die Jackentasche und schmunzelte. Ich erwiderte es und rieb mir über die Augen. "Mit wem hast du telefoniert?"

"Mit meinem Vater", sagte er gleichgültig und hob die Reisetasche vom Sitz neben mir. Ich nickte nur und folgte ihm mit meinem Koffer zum Gate. Wir zeigten die Tickets und setzten uns im Flugzeug auf die vorgeschriebenen Plätze – ich am Fenster, Leon im Gang. Während er die Reisetasche verstaute, öffnete ich meine kleine Handtasche und holte Handy und Kopfhörer hervor. Der Typ hinter mir tippte mir auf die Schulter. "Verzeihen Sie, aber die Geräte müssen beim Start ausgeschaltet sein." Ich drehte mich genervt um und blickte in seine Augen. Sofort zuckte ich zusammen und erhob mich. Leon knallte den Stauraum zu und drängte mich auf den Sitz. Er warf dem Mann böse Blicke zu. "Ging das nicht auffälliger, Barton?" Dieser grinste nur vor sich hin und schlug seine Zeitung auf. Ich verzog wütend das Gesicht. "Du hast mich ausgeliefert?" Leon schüttelte den Kopf. "Ich habe lediglich eine Vereinbarung mit Natasha."

"Wieso hast du mich dann nicht einfach auf dem Helicarrier gelassen", fragte ich irritiert und verschränkte meine Arme. Barton meldete sich zu Wort: "Das gehört alles zum Plan, Süße."

"Welcher Plan?" Ich zog meine Brauen nach oben und blickte vorwurfsvoll zum Bogenschützen, der sich wortlos anschnallte.

"Du hast nicht mit Meier telefoniert", stellte ich trocken fest und schaute zu Leon, "sondern mit Natasha."

The Real WidowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt