Kapitel 18

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Viviens/Gaias POV

Die Straßen Moskaus waren für diese Zeit ziemlich voll. Ich zog die Jeansjacke enger um mich und rückte die Kapuze zurecht. Es war eine Weile her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war – um genau zu sein zweiundzwanzig Jahre.

Der Klang der Regentropfen, die in Strömen niederprasselten, ließ mich entspannen. Ich überquerte die Straße, öffnete die dunkle Tür und trat in die nach Moos und Schimmel riechende Lagerhalle.

"Jurij", sagte ich und schlich zwischen den Containern und Kisten durch. Die Beschriftungen waren in kyrilischen Buchstaben angebracht.

"Vivien, was verschafft mir die Ehre", fragte er höflich und kam strahlend auf mich zu. Ich schloss ihn in die Arme und löste mich dann von ihm. "Ich sollte wieder die Haarfarbe ändern."

"Kein Problem", meinte Jurij und klatsche kurz in die Hände, danach verschwand er hinter einem Vorhang. Ich folgte ihm und zog die Jacke aus. "Gab es einen Grund für deine Rückkehr nach Russland?"

"Oh, nein, ich bin nicht zurückgekehrt", sagte er lachend und deutete auf einen Stuhl. "Ich besuche lediglich meine Schwester. Sie heiratet in drei Tagen . . . Wieso bist du hier?"

"Erzwungener Urlaub", entgegnete ich sofort und legte die Jacke über die Lehne, dann setzte ich mich. Er stellte sich hinter mich und fuhr mir durchs Haar. "Was wünscht du?"

"Etwas, das zu mir passt", antwortete ich und sah wie er schmunzelte, er erwiderte aber nichts und machte sich konzentriert an die Arbeit.

Als ich auf das Handydisplay schaute, zeigte die Uhr halb eins. Dank des kleinen Nickerchens, das Scarlet Witch mir geschenkt hatte, nachdem sie mich willenlos gemacht hatte und ich auf der Couch zusammengesunken war, war ich hellwach und fokussiert wie nie zuvor.

Die kleine Kneipe war nicht weit von der Lagerhalle entfernt und Alkohol war eine fantastische Abwechslung zum Alltag, den ich mit wenig Schlaf und gejagt von Shield und den Avengers überstand. Das sollte sich endlich ändern, und wenn ich meinen Tod vortäuschen musste, ich brauchte unbedingt Abstand von der Sache. Leon hatte Recht.

Frustriert kippte ich den Short und kniff kurz die Augen zusammen. "Widerlich", nuschelte ich und knallte das leere Glas auf die Theke. "Noch einen", sagte ich auf russisch und schob dem Barkeeper das Glas zu, das er wortlos füllte und mir zurückgab. "Danke." Ich trank es.

"Wie wäre es, schöne Frau? Darf ich Sie auf einen Drink einladen", fragte ein junger Russe und musterte mich gierig, was ich aus dem Augenwinkel sah. Ich gab dem Typ hinter der Theke das Schnapsglas und wiederholte mich. Er schob mir das volle Glas zu. Ich schaute eine Sekunde auf und antwortete in seiner Muttersprache: "Ich trinke nur allein." Dann schüttete ich die brennende Flüssigkeit in meinen Mund, schluckte und knallte das Glas auf den Tresen. "Noch einen."

"Eine so schöne Frau wie Sie sollten hier nicht so allein sitzen", versuchte er es weiter und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Mein Blick wanderte ganz langsam vom Short, zu seiner Hand, zu seinem Gesicht. Er grinste und wanderte mit seiner Hand höher. Ich blieb ruhig und umfasste sein Gelenk, als er meiner Intimzone zu nahe kam. Vor meinen Augen spielten sich viele mögliche Szenarien ab, bei denen ich ihn umbrachte. Eine Leiche war allerdings nicht unbedingt ein Anfang fürs Untertauchen, also beherrschte ich mich und grinste. Ich näherte mich vorsichtig seinem Gesicht und fuhr mit meinen Lippen über seine Wange. Ich hielt an seinem Ohr. "Finger weg, sonst sind sie weg", flüsterte ich und lehnte mich ein wenig zurück. Das Knacken seines Nasenbeins, als mein Kopf vorschnellte, brachte mich zum Lächeln. Ich kippte die Flüssigkeit runter, bezahlte und stellte mich auf. Als ich vom Hocker rutschte und mir die Jacke überzog, schaute ich zu seinen Freunden. Sie beobachteten entgeistert den jungen Russen, der bewusstlos auf dem Holzboden lag. Das Blut quoll immer noch aus seiner Nase. Ich schnalzte mit der Zunge. "Er gehört in ein Krankenhaus." Ich drückte die Tür auf und wurde sofort von der milden Nässe umhüllt. Ich strich mir die Haare hinter mein Ohr und lief den schmalen Bürgersteig einer Nebengasse entlang. Abrupt blieb ich stehen und hob meinen Blick. 'Jelena Pietrovna Kozlova Baletnaya Shkola' stand in großen kyrillischen Lettern drüber. Ich lief weiter auf das Gebäude zu. "Die Ballettschule des Horrors", nuschelte ich und je näher ich kam, desto mehr tat mein Kopf weh. Am Eingang stutzte ich. Ein kaum sichtbares Schild ragte rechts neben der Tür. Die Schule war geschlossen worden. Vor acht Jahren. "Das müsste die Zeit sein, in der Natalia ihr letztes Ausbildungsjahr absolviert hat", murmelte ich geistesabwesend. Eine plötzliche Bewegung hinter mir, ließ mich meinen Kopf heben.

The Real WidowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt