Kapitel 24

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Viviens/Gaias POV

"Es ist ruhig. Keinerlei Aktivitäten", verkündete Rogers mir gegenübersitzend und blickte zu Fury. "Sehr gut", meinte dieser monoton und nickte Cap zu, bevor er sich erhob und der Angewohnheit nachging, seine Hände hinter dem Rücken zu verschränken. "Treffen Sie die letzten Vorbereitungen. Punkt null-zweihundert begeben Sie sich in Position." Sein Blick schweifte über die versammelte Mannschaft, danach drehte er sich zum Fenster und schaute auf die Landschaft nieder. Das war seine Art zu verdeutlichen, dass die Sitzung beendet war.

Wilson und ich waren die letzten, die eine Minute vor zwei auf dem Landeplatz ankamen und in den Jet stiegen. Clint schloss die Rampe und flog los. Bevor ich mich setzen und anschnallen konnte, ging er in den Sturzflug über; hätte Rogers nicht meine Taille umgriffen, um mich an Ort und Stelle zu halten, wäre ich mit Sicherheit durch die Frontscheibe gebrochen.

"Danke", sagte ich leicht verstört und atmete auf, als ich mir mit zitternden Händen den Gurt anlegte. Er nickte mit einem kleinen Lächeln. "Kein Problem."

Nach einem rund zehnminütigen Flug, verließen wir den Jet und gingen zu Fuß weiter durch die dichte Tundra. Himmel sei Dank, hatte Stark für die Einsätze in den kalten Gegenden Thermoanzüge entwickelt, die sich der Umgebungs- und Körperwärme anpassten; normalerweise wäre ich bei minus vierzig Grad ein Eisklotz gewesen, momentan brauchte ich nicht einmal eine Jacke. Meine rechte Hand ruhte auf der Pistole im Oberschenkelhalfter, während meine Augen die Umgebung musterten; hohe, dunkelgrüne Nadelbäume, die über und über mit Schnee bedeckt waren. Man merkte deutlich, dass der Winter Einzug hielt.

"Das Gelände liegt fünfhundert Meter vor uns. Seid vorsichtig", ertönte Rogers Stimme im Kommunikationsgerät. Ich atmete tief durch und kontrollierte mein Repertoire an Waffen. Vorne zwei Pistolen, beide geladen und entsichert, im Gürtel sind zehn Wurfsterne und eine kleine Adrenalin-Spritze – für alle Fälle.

"Zweihundert Meter noch", gab Cap durch und fügte die Positionen der einzelnen Teilnehmer an: "Iron Man und Falcon übernehmen das Dach, Black Widow und Scarlet Witch zum Vordereingang und Gaia zum Belüftungsschacht. Hawkeye und ich nehmen den Hintereingang. Zugriff auf mein Zeichen." Warum muss ich mich immer durch den Schacht quetschen? Ich seufzte und ließ mich von Stark zur Belüftung bringen, der sich dann unweit von mir platzierte. Kurze Zeit herrschte absolute Ruhe, dann gab Rogers das Zeichen zum stillen Angriff. Ich begab mich in den Schacht und lauschte den Durchsagen: "Sind drin." "Wir auch." "Alles sauber." "Keine Menschenseele." "Cap, es ist viel zu ruhig." "Ich weiß." Als der Schacht endete, trat ich die Platte mit Kraft durch, sprang heraus, rollte mich ab und zog die Pistole, um auf mögliche Gegner vorbereitet zu sein. Keine Sau.

"Ich habe ein ungutes Gefühl", meinte ich skeptisch und öffnete die Tür zum Flur, nachdem ich das Schloss durchgeschossen hatte. "Was wollen wir hier eigentlich?"

"Das ist eine von Hydras wichtigsten Basen. Angeblich befinden sich hier Informationen zu verdeckt ermittelnden Agenten, weiteren Standorten und Unterlagen über jegliche jemals entwickelte oder in Planung stehende Erfindungen", antwortete Rogers. Ich nahm es an und schritt weiter durch das Gebäude. Im hintersten Zimmer des östlichen Flures war ein Büro eingerichtet. Die Regale waren gefüllt mit Büchern und Ordnern. Ich krallte mir einen und setzte mich an den Schreibtisch, um ihn zu öffnen. Überrascht stellte ich fest, dass die Papiere zwar aus dem Jahr neunzehnhundertvierundvierzig stammten, aber nicht zeitgetreu aussahen; weder gelblich, noch abgenutzt oder fleckig. Ich schlug den Ordner zu, stellte ihn zurück und dachte nach. Selbst wenn man solche Papiere mit Vorsicht behandelt, kann man eine Gelbfärbung nicht verhindern. Ich lehnte mich gegen den Schrank und schaute auf die Uhr, die zwei Minuten vor zwölf zeigte. Falsche Zeit . . . Die Uhr tickt nicht im Takt.

"Mist", fluchte ich und rannte schnell aus dem Raum. "Alle verlassen sofort das Gebäude. Hier gibt es eine Bombe, die wahrscheinlich in", ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, "einer Minute explodieren wird."

"Wieso-?"

"Vertrau' mir einfach, Rogers", meinte ich etwas erschöpft und sprintete die Treppe herunter, ohne mich auf die Schnauze zu legen. Als ich im ellenlangen Eingangsbereich ankam, wäre ich beinahe in Clint hineingelaufen, der neben mir aus dem Gang kam, Natalia hinter ihm. Gemeinsam bewegten wir uns auf den Ausgang zu. Dann spürte ich eine enorme Erschütterung, die von weiteren begleitet wurde. Also waren alle Uhren Bomben . . . Plötzlich wurde ich von einer Säule niedergestreckt und begraben.

Mein Rücken tat weh. Als ich versuchte mich aufzusetzen, durchzuckte mich ein starkes Pochen im Kopf. Stöhnend legte ich mich zurück. Nachdem der plötzliche Schmerz verklungen war, rollte ich mich auf den Bauch. Unter Ächzen und Keuchen richtete ich mich auf und schaute mich um. Das Gebäude, das vor einigen Minuten noch gestanden hatte, war jetzt ein großer Haufen Schutt und Asche – ich mittendrin. Das Geröllfeld war übersäht von Staub, der immer noch in der Luft lag. Ich musste husten und hielt meine linke Hand vor Nase und Mund. Ich bewegte mich vorwärts, langsam und bedacht. Einzelne Stellen konnten stärker von der Explosion betroffen sein und einstürzen, sobald ich meinen Fuß auf einen falschen Ort setzte. Meine Augen musterten die Umgebung, auf der Suche nach einem Lebenszeichen.

"Hallo?" begann ich während einer Pause des Reizhustens und blickte mich genau um. Ich habe das alles schon mal gesehen. Ich entfernte den Gürtel und holte die Adrenalin-Spritze hervor, krempelte das Oberteil und den Thermoanzug hoch und steckte die Nadel unter lautem Ein- und Ausatmen in meinen Unterarm.

"Gaia?" Rogers' Stimme war wenige Meter entfernt. Als er mich sah, griff er sich ans Ohr. "Ich habe Gaia gefunden."

"Wo sind die anderen", fragte ich die Spritze wegwerfend und wische mir die Haare aus dem Gesicht.

"In Sicherheit", sagte er knapp und führte mich durch die Trümmer. "Stark, suchen Sie die Umgebung weiter ab."

"Wer fehlt?" erkundigte ich mich stutzig und schaute zu ihm auf. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, er schwieg. Ich blieb stehen und stützte meine rechte Hand auf die Hüfte. Er bemerkte, dass ich nicht mehr neben ihm lief und drehte sich um. Ich blickte in sein verdrecktes Gesicht und wiederholte meine Frage. "Antworte!" brüllte ich, als er wieder still blieb.

"Natasha", entgegnete er ruhig und sah mich emotionslos an – oder versuchte es zumindest, denn in seinen Augen spiegelte sich pure Besorgnis wieder.

"Wie lange schon?" Ich verschränkte meine Arme und ging auf ihn zu. "Rogers, ich werde dich das nicht noch einmal fragen."

"Seit der Explosion", erwiderte er ruhig und seufzte: "Sie wollte dich retten." Fassungslos stampfte ich an ihm vorbei und rief nach meiner Schwester. Er ergriff meinen Arm. "Glaubst du, das hätten wir nicht bereits versucht? Stark scannt seitdem die gesamte Umgebung nach einem Lebenszeichen ab. So haben wir dich gefunden."

"Wenn du mir jetzt sagen willst, dass sie wahrscheinlich tot ist, dann halt die Klappe", drohte ich streng und ging weiter. "Ich will es nicht hören!"

"Gaia, wir nutzen alle verfügbaren Mittel, um sie wiederzufinden", meinte er beschwichtigend und legte mir eine Hand auf den Rücken.

Der Quinjet hundert Meter entfernt, die Laderampe war geöffnet. Schon von weitem erkannte ich Wilson und Clint, die sich unterhielten, Banner, der nervös auf- und ablief und Stark, der mithilfe eines Headsets seinen Anzug durch die Gegend manövrierte. Als Cap seine Hand von meinem Rücken nahm, brach ich zusammen und spürte, wie meine Wange von einer Träne berührt wurde.

Der Traum ist Wirklichkeit geworden . . .

The Real WidowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt