Kapitel 4

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Lucy führt mich zu dem Bug des Schiffes. Vor der Reling bleibt sie stehen. Währenddessen bleibe ich wenige Schritte davon entfernt, da mir das Wasser immer noch Angst macht. Sehnsüchtig sehe ich zu wie die Sonne auf den Rand des Horizonts zusteuert und im Meer untergehen wird. 

,,Wieso hattest du vorher so viel Angst, als wir im Wasser waren? Kannst du nicht schwimmen?", fragt Lucy neugierig, während auch sie das Meer mustert. 

,,Ich kann tatsächlich schwimmen, aber ich-ich hatte Panik, weil-", fange ich an und suche eine Ausrede, da ich außer Eustachius niemandem von meinem Vater erzählt habe, ,,ich so erschrocken war, da ich mich auf einmal auf der anderen Seite eines Gemäldes befunden habe." 

Luca sieht mich neugierig an, doch an ihrem Blick erkannte ich sofort, dass sie mir nicht glaubte. Mein Vater hat mir immer beigebracht, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Was natürlich folglich bedeutet, dass ich so miserabel im Lügen bin, wie Eustachius schlecht in Mathe ist. Also ziemlich schlecht.

,,Du hast Angst vorm Wasser?", fragt sie und blickt mich besorgt an, worauf ich stumm nicke. ,,Warum? Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen."

,,Ich würde es dir gerne sagen. Du scheinst sehr vertrauenswürdig, aber ich will zuerst wissen, was hier vor sich geht. Reepicheep hat vorhin etwas von Hochkönig Edmund und Königin Lucy erzählt. Das bedeutet ihr wart schon einmal hier. Wie kann das sein? Ihr seid so jung!", rufe ich verwirrt aus, während ich immer noch hoffe in einem Traum gefangen zu sein. Doch Lucy lacht nur herzlich und legt ihre Hand auf meine Schulter. 

,,Das erzähle ich dir jetzt. Vor wenigen Jahren sind wir schon einmal hier gewesen. Du musst wissen, dass die Zeit hier in Narnia anders vergeht als bei uns Zuhause in der wirklichen Welt. Wenn du im Bett gelegen bist und eine Stunde lang ein Buch gelesen hättest, sind in Narnia schon viele hunderte Jahre vergangen.", erzählt sie grinsend. 

,,Wie kann das sein? Es gibt keine Zeitzon-", frage ich, doch Lucy unterbricht mich lachend.

,,Du bist ein kluges Mädchen. Glaubst du an Magie? An Zauberei? Denn wenn nicht ist das hier der Beweis, dass es Magie gibt. Man muss nur daran glauben. Siehst du? Da unten!", erklärt sie glücklich und deutet plötzlich auf die Meeresoberfläche. Ohne auf meine Angst zu achten, zieht sie mich zu sich an die Reling. Ich versuche krampfhaft etwas zu erkennen, als ich plötzlich zwei Frauen unter Wasser sehen kann, die uns fröhlich zuwinken. Geschockt winke ich zurück. Eine der Frauen zwinkert mir noch einmal zu bevor sie verschwindet und ich frage mich, ob sie es war, die mich gerettet hatte. 

,,Das sind Nymphen.", antworte ich sprachlos. 

,,Und in Narnia gibt es noch Faune, Minotauren und viele weitere sprechende Tiere.", erzählt sie und wartet gespannt auf meine Reaktion. 

,,Ich glaube dir. Das kann alles kein Traum sein. Aber wieso bin ich hier?", frage ich erneut. 

,,Das wissen wir nicht. Aslan, ein mächtiger Löwe, der über Narnia herrscht, hat sicher seinen Grund, genauso wie er auch einen Grund gehabt hat, meine Geschwister und mich hier her zu bringen."

Es überraschte mich auch nicht mehr, dass ein Löwe in Narnia regiert. Als Lucy seinen Namen erwähnt, wird mir warm ums Herz und die frische Salzwasser Luft scheint nicht mehr so schlimm wie sie es vor wenigen Momenten noch gewesen ist. 

,,Wenn Aslan euer König ist, wieso seid du und Edmund Hochkönig bzw. Königin? Warum ist dann Kaspian König?" Ich wundere mich warum Lucy nicht schon von meiner ewigen Fragerei genervt war wie meine Mutter es sonst immer war, doch sie sieht mich geduldig an. 

,,Eine Prophezeiung hat besagt, wenn zwei Adamssöhne und zwei Evastöchter die Throne von Cair Paravel besteigen würden, dass dann aus ganz Narnia das Böse vertrieben sei. Zufälligerweise kamen Peter, Susan, Edmund und Ich zum ersten Mal nach Narnia, als die böse Eiskönigin Jadis Narnia regierte. Wir haben sie bei einer großen Schlacht mit Aslans Hilfe besiegt. Danach wurden wir zu den Königen und Königinnen von Cair Paravel gekrönt. Aslan ist nicht immer in Narnia. Er streift durch die Länder, aber wenn Narnia ihn braucht, wird er für uns da sein.", erzählt sie und macht eine Pause, als sie sich an den Moment ihrer Krönung zurückerinnert.

,,Wo sind deine anderen beiden Geschwister? Sind sie schon hier?", frage ich neugierig. Je mehr sie von Aslan erzählt, desto weniger verunsichert fühle ich mich. Traurig lächelt Lucy mich an. 

,,Leider nicht. Als wir zum zweiten Mal nach Narnia kamen, sind die Narnianen von den Telmarern vertrieben worden und nur wenige sind übrig geblieben. Vor drei Jahren in der narnianischen Zeit hat Lord Miraz regiert. Er war Kaspians Onkel. Mithilfe von Kaspian konnten wir ihn stürzen und den Narnianen ihr Land wieder geben. Aslan sagte, dass Peter und Susan schon alles gelernt hätten, was sie in Narnia lernen könnten. Das bedeutete aber leider auch, dass sie nicht mehr hier her kommen konnten.", erzählt sie weiter. Verblüfft versuche ich die ganzen Informationen zu verarbeiten. 

,,Bei eurem ersten Mal hier musstet ihr Narnia von Jadis befreien. Beim zweiten Mal von Lord Miraz. Wieso sind wir dann jetzt hier? Ich dachte unter Kaspians Regierung geht es Narnia besser."

Die Sonne hat mittlerweile den Meeresspiegel erreicht und eine leichte Brise weht in die Segel des wunderschönen Schiffes. Das Meer ist so klar, sodass man problemlos den Boden sehen kann. Unzählige Fische tummeln sich im Wasser.

,,Narnia geht es wirklich besser, seit dem letzten Besuch von uns. Lord Miraz hat die sieben Lords auf die einsamen Inseln zu unrecht verbannt. Kaspian will sie wieder zurückholen, um die Gerechtigkeit wieder herzustellen. Deswegen segeln wir nach Osten."

Eine Weile lang sehen wir dem Untergehen der Sonne zu, bis Lucy sich wieder zu mir wendet. 

,,Der heutige Tag war ziemlich anstrengend. Falls du noch irgendwelche Fragen hast, kannst du sie mir gerne stellen. Aber um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich müde. Wenn du nicht bei den Kajüten in den Hängematten schlafen willst, kannst du gerne in meinem Zimmer schlafen. Alleine ist es langweilig und ein Mädchen bei mir zu haben wäre etwas neues. Noch dazu finde ich es ungerecht, dass ich in einem  bequemeren Bett schlafen soll, da ich ja Königin bin.",fragt sie und sieht mich begeistert an. 

,,Gerne. Danke!", antworte ich verblüfft und gemeinsam machen wir uns langsam auf den Weg in ihr Zimmer. 

Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt