Kapitel 28

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Edmund

Nachdem Kaspian mir das Schwert meines Bruders gegeben hat, fühle ich mich stärker. Wichtiger. Ungläubig drehe ich das wunderschöne Schwert von Peter in meinen Händen und betrachte die Gravur. Ehrfürchtig lege ich es auf Kaspians Schreibtisch ab. Nachdem er es mir gegeben hat, ging er wieder nach oben, um die bevorstehende Schlacht zu planen. Als ich gerade meine Schlaufen an der Rüstung fester zurre, ertönt ein zaghaftes Klopfen an der Tür.

Wenig später wird sie geöffnet und Evan erscheint in der Tür. Als sie mich erblickt, färben sich ihre Wangen leicht rot. Trotzdem sieht sie wunderschön aus, es macht sie sogar noch schöner, als alle Mädchen auf der Welt. Jedenfalls für mich. Sie tritt ein und schließt langsam die Tür hinter sich. Obwohl wir einige Meter voneinander stehen, ist die Spannung zwischen uns direkt zu spüren. Als sie einige Schritte näher geht, fühle ich mich, als würde die Zeit stehen bleiben. Mir wird erst bewusst, dass ich sie wohl angestarrt haben muss, als sie sich lachend räuspert. Verlegen kratze ich mich am Hinterkopf. 

,,Wieso bist du hier? Nicht, dass ich mich nicht freuen-", beginne ich stammelnd, doch werde von ihr unterbrochen. 

,,Könntest du mir helfen, eine Rüstung für mich zu finden? Und auch eventuell mit dem anlegen?", fragt sie schief grinsend. Erst jetzt wird mir schlagartig bewusst, dass auch sie im Kampf verwickelt sein wird. Fast bleiben mir die Worte in der Kehle stecken. Aus irgendeinem Grund habe ich nicht daran gedacht, dass sie auch kämpfen wird.  

Schnell hole ich eine der kleinsten Rüstungen, die ich finden kann und stehe direkt vor Evangeline, die mich neugierig mit ihren großen braunen Augen ansieht. Nervös unter ihrem Blick wäre mir fast die Rüstung aus den Händen gefallen. 

,,Was ist?", fragt sie plötzlich schmunzelnd und beugt sich vor, sodass ihre Haare ihr ins Gesicht fallen. Ohne zu wissen, was ich tue, hebe ich meine Hand und streiche sie hinter ihr Ohr zurück. 

,,Du bist schön, weißt du das?", sage ich und meine es ernst. Ich sehe wie sie rot wird. Als wäre nichts gewesen, halte ich die Rüstung hoch, obwohl mein Herz mir fast aus der Brust springt. Evangeline schlüpft in die Rüstung, die ihr immer noch ein bisschen zu groß ist. Sie will schon zu den Schlaufen greifen, um sie fest zu zurren, doch ich halte sie auf. Wortlos beobachtet sie mich wie ich ihr die Schlaufen zubinde, sodass ihr die Rüstung einigermaßen passt. Ich spüre wie sie nur stoßweise atmet, als ich mit meinen Fingerspitzen ihre Haut berühre und jede meiner Bewegungen genau beobachtet. Vielleicht habe ich auch absichtlich etwas länger gebraucht. Als ich mich wieder gerade aufrichte, sieht sie mich wieder an. 

,,Am Liebsten würde ich dich hier einschließen, damit ich weiß, dass du in Sicherheit bist.", sage ich ehrlich und ziehe sie zu mir ran, sodass wir nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind. Ich lege meine Hände an ihre Taille, während sie ihre um meinen Hals legt. 

,,Das wäre ziemlich egoistisch von dir, Ed. Du weißt aber auch ganz genau, dass ich nicht einfach rumsitzen kann, während ihr dort draußen Narnia rettet.", widerspricht sie mir grinsend und ich wiege uns ein wenig hin und her. 

,,Ich kann dich ja sowieso nicht davon abhalten.", lache ich. ,,Hätten wir jetzt Musik, könnte man perfekt tanzen."  Evangeline kichert kurz. Von ihrer anfänglichen Nervosität ist jetzt nichts mehr zu sehen.

,,Man braucht keine Musik, um zu tanzen.", flüstert sie leise. Grinsend fangen wir an zu tanzen. Es ist zwar ziemlich komisch, wenn man uns als Außenstehender betrachten würde, doch das ist mir jetzt egal. Es könnten unsere letzten Momente zusammen sein, doch ich will gar nicht daran denken. Sie wird nicht sterben. Das darf sie nicht. Obwohl wir uns nur wenige Wochen kennen, weiß ich, dass diese junge Frau mein Leben prägt. Ich will sie immer an meiner Seite haben. Ich weiß, dass ich sie liebe. Ich will es ihr sagen, ihr zeigen, dass sie mir wichtiger als alles andere auf der Welt ist, dass ich für sie bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen würde, wenn es nötig wäre, doch als ich ihren süßlichen Duft rieche und ihre zarten Hände an meinen Schultern, weiß ich für einen Moment nicht mehr, was ich sagen will. 

Gerade als ich meinen Mund öffnen will, werden wir durch eine Klingel unterbrochen. Sie schellt durch den ganzen Schiffsbauch. Zerstreut lasse ich von Evangeline los und sehe verlegen auf den Boden. 

,,Sie brauchen uns.", sage ich überflüssigerweise. 

,,Ja. Das Böse lässt wohl nicht auf sich warten. Wenn wir noch einmal so tanzen können, wenn das vorbei ist, dann bitte mit Musik. Du hast ein grausames Taktgefühl.", lacht sie schelmisch und sieht mich provozierend an. Grinsend gehe ich nahe auf sie zu, sodass sie zu mir aufsehen muss, da sie kleiner ist als ich.

,,Ich würde mich nicht übernehmen, Evan.", lache ich unbeeindruckt. Als sie mich jedoch mit auf das Schiffsdeck zieht, bereue ich es sofort, ihr nicht meine Gefühle gestanden zu haben, als mein Blick auf den grünen Nebel liegt, der vor uns aufgetaucht war. Die sogenannte dunkle Insel liegt nun unmittelbar vor uns. Sofort spüre ich wie Evangelines Lächeln gefriert und sie nervös die voll bewaffneten Männer ansieht. Schweigen liegt auf dem Schiff und niemand wagt es die Stille zu unterbrechen. Eustachius' Flügelschläge hören sich gefährlich in dieser Stille an, obwohl er noch meilenweit entfernt ist.

,,Ganz gleich, was jetzt geschieht. Jeder, der vor mir steht, hat sich seinen Platz in der Mannschaft der Morgenröte verdient. Gemeinsam sind wir weit gereist, Gemeinsam standen wir Herausforderungen bevor und gemeinsam schaffen wir das auch noch einmal. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt der Angst nachzugeben. Bleibt stark! Gebt niemals auf! Unsere Welt, die Zukunft von Narnia hängt davon ab. Denkt an die Seelen die zu retten wir hier sind. Denkt an Aslan. Denkt an Narnia." Kaspians laute Stimme hallt über dem Schiff hinweg. 

Die Männer sehen einander bestärkt an. Nach wenigen Augenblicken brechen sie in Schlachtrufe für Narnia aus und halten die Fäuste in die Luft. Auch mich hat diese Rede bestärkt, doch aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Evan nachdenklich an ihrem Medaillon herumspielt, das um ihren Nacken hängt. Obwohl sie nicht oft über ihren Vater spricht und nicht preisgibt, was sie gerade fühlt, weiß ich, dass sie die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem Vater noch nicht aufgegeben hat. 

Innerlich verspreche ich mir selbst, alles zu tun, um ihren Vater zu retten und, dass sie nicht verletzt wird. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht mehr vorstellen. Und als sie mich ermutigend anlächelt, als sie bemerkt, dass ich sie ansehe weiß ich, dass ich das auch gar nicht will.  


Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt