Kapitel 20

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Edmunds starke Hände greifen um meine Taille, als ich die Steinwand mit dem Seil hinunterklettere. Mit einem vorsichtigen Lächeln lasse ich mich von ihm zu Boden heben. Er nickt mir kurz ermutigend zu und wartet dann auf seine Schwester, um auch ihr zu helfen. Kaspian hingegen kommt problemlos herunter. Währenddessen sehe ich mich in der Höhle um. Es sieht aus wie eine Tropfsteinhöhle. Sie ist groß und viele kleine Einbuchtungen befinden sich in den Wänden. Ein unterirdischer See ist auch in der Höhle. 

,,Was ist das hier?", höre ich Lucy hinter mir erstaunt fragen. Langsam gehe ich hinter Kaspian her, der weiter in die Höhle hinein geht. 

,,Lord Restimar.", stößt er überrascht aus. Suchend stelle ich mich neben ihn. Doch er deutet nur auf das Wasser. Eine goldene Statue liegt im See. Der Gesichtsausdruck des Lords ist erschrocken. Nur wenige Meter neben ihm liegt sein Schild und sein Schwert. Obwohl der See anscheinend alles in Gold verwandelt, ist das Schwert unversehrt. 

,,Wieso ist es nicht golden?", frage ich laut, während die Jungs das Schwert aus dem See fischen. 

,,Es ist magisch.", antwortet Lucy, doch ihr Blick ist ängstlich, als spürte sie etwas. Auch ich fühle, dass etwas an dieser Höhle nicht stimmt. Die Höhle wirkt mit dem Moment, in dem die Jungs die Schwerter in den Händen halten, bedrohlich und als würde sie uns einengen. 

Edmund geht zu dem See und hält eine Muschel, die auf dem Boden gelegen ist, in das Wasser. Nur wenige Augenblicke später zieht er sie wieder heraus und sie verwandelt sich in Gold. Mit großen Augen sieht er zu seiner Schwester. Doch in seinen Augen liegt nicht die vertraute Geborgenheit, sondern eine Gier, die ich noch nie gesehen habe. Sie macht mir Angst, um ehrlich zu sein. 

,,Weißt du, was wir damit anstellen könnten?", fragt er, wartet aber nicht auf Lucys Antwort, ,,Jeder der Zugang zu diesem See hat, kann unendlichen Reichtum erlangen. Wir müssten nicht mehr bei Eustachius leben. Die anderen würden keine Macht mehr über uns haben." 

,,Edmund. Du darfst nichts aus Narnia mitnehmen.", antwortet Kaspian stattdessen. Seine Stimme klingt kalt und fremd, als er antwortet. Edmund steht auf und richtet sich gegen Kaspian. 

,,Wer sagt das?", fragt er bedrohlich. Seine Hand hält er an seinen Schwertknauf. 

,,Ich." Dieses Wort klingt wie eine Kriegserklärung. Ich kann erkennen, wie in Edmunds Augen die Wut lodert. Obwohl ich Angst habe, trete ich zu den Beiden. Sie nehmen mich gar nicht mehr wahr, sondern nur noch einander. Plötzlich ziehen beide ihre Schwerter. Im Hintergrund höre ich Lucy aufschreien. 

Mit einem Stoß werde ich nach hinten geschlagen und schlage hart auf dem Kopf auf. Sofort verschlechtert sich meine Sicht und Tränen treten in meine Augen. Mein Kopf wird schwerer. Nein, meine Haare werden schwerer. Meine Augen fallen zu. Nur am Rande meines Bewusstseins höre ich Lucys Schrei, worauf die Schwertgeräusche aufhören. 

Nur wenig später spüre ich Druck an meinem Kopf, doch kurze Zeit danach komme ich wieder zu Sinnen. Ich atme laut aus und das Rauschen in meinen Ohren verstummt. Blinzelnd öffne ich meine Augen und fühle mich immer noch benommen. Lucy stützt meinen Oberkörper nach oben, sodass ich nicht umkippe. Fragend sehe ich in die geschockten Augen der anderen. Das einzige, das mir auffällt ist, dass Edmund und Kaspian beide unversehrt sind. 

,,Was ist passiert?", frage ich benommen, doch auf meiner Zunge fühle ich den metallenen Geschmack in meinem Mund. Während meines ,Anfalls' habe ich mir so stark auf die Innenseite meiner Wange gebissen, dass sie zu bluten angefangen hat. Lucy sieht mich etwas schuldbewusst an.

,,Als du zurückgefallen bist, sind deine Haare in den See gefallen. Ich musste sie abschneiden, sonst-", versucht sie zu erklären, doch ich unterbreche sie, indem ich meine Hand hebe.

,,Danke.", sage ich ehrlich, ,,Sie waren ohnehin zu lang." Lucy entlocke ich ein ersticktes Lachen. Mit Hilfe der anderen kann ich aufstehen. Mit zitternden Händen fahre ich durch meine Haare. Ein sauberer Schnitt von Lucys Dolch. Sie sind gerade noch auf Kinnlänge. Ich lasse sie einfach offen und stecke sie mir hinter die Ohren. Die anderen sind derweil schon auf dem Weg nach oben. Mit schlotternden Knien und noch immer schwächelnd kralle ich mich an den Steinen fest und ziehe mich nach oben. Als ich oben angekommen bin, zieht Kaspian mich nach oben, worauf ich zitternd zusammenbreche. Kaspian legt meinen Arm um meine Schulter, worauf ich mich an ihn stütze. 

Währenddessen geht Edmund ein Stück vor uns und dreht sich kein einziges Mal um. Ein Teil in mir wünscht sich, dass er sich umdreht und mir hilft. Ein anderer ist enttäuscht, weil er mir nicht hilft. 

,,Wie geht es dir?", fragt Kaspian, als wir den Hang hinunterlaufen. Lucy ist zu ihrem Bruder gegangen, um nach ihm zu sehen. 

,,Ich bin mir nicht sicher. Es zählt aber nur, dass wir die Schwerter finden. Wie viele haben wir bereits?", beantworte ich seine Frage mit einer Gegenfrage.   

,,Bis jetzt? Nur zwei. Wieso ist dir das so wichtig? Hat es etwas mit deinem Vater zu tun?", fragt er erneut. 

,,Ja. Wenn wir das Böse besiegen können, finden wir vielleicht auch meinen Vater."

,,Was ist mit ihm passiert?", fragt Kaspian vorsichtig weiter und verstärkt seinen Griff um meine Schultern.

,,Er ist in meiner Welt mit seinem U-Boot ertrunken. Sie sind in Narnia wieder aufgetaucht. Lord Bern hat sie gefunden und gepflegt, aber sie wurden dem Nebel zum Fraß vorgeworfen-"

,,Wir finden ihn.", unterbricht mich Kaspian, zuversichtlich lächelnd. Den Rest des Weges laufen wir schweigend nebeneinander her. Erst jetzt fällt mir auf wie sehr ich Kaspian vertrauen kann. Deshalb ist er wahrscheinlich auch so ein guter König. Wir kommen an den Booten an und die Morgenröte liegt friedlich wenige hundert Meter vor dem Ufer.    

,,Wo ist Eustachius?", frage ich besorgt, weil ich meinen besten Freund nirgendwo finden kann. Suchend halte ich Ausschau nach ihm, doch er bleibt verschwunden. 

,,Wir suchen nach ihm. Warte hier.", sagt Kaspian sofort und setzt mich auf dem Boot ab. Ich will protestieren, doch Kaspian und Edmund machen sich schon auf den Weg, um Eustachius zu suchen. 

Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt