Kapitel 30

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Bevor ich auch nur etwas erwidern konnte, schnappt sich Edmund seine Taschenlampe. Er will schon losrennen, doch ich halte ihn am Handgelenk fest. Für einen kurzen Moment sehen wir uns in die Augen und ich fühle wie sich Tränen in meinen Augen sammeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sterben könnte, ist zu groß, sodass ich mir einreden kann, dass alles gut wird. Ich habe das Gefühl nichts sagen zu können und nicke Edmund nur ermutigend zu. Ein kleines Lächeln spiegelt sich auf seinen rauen Lippen wider und auch er nickt mir kurz zu. 

,,Ich bin gleich zurück.", flüstert er so leise, sodass ich seine Lippen lesen muss, um es zu verstehen. Seine Hand rutscht aus meiner und ich fühle wie sich mein Magen zusammenzieht. Er verschwindet im Treiben und klettert geschwind auf den Bug. Währenddessen versuche ich meine Tränen zurückzuhalten und wende mich ab, da ich nicht mit ansehen kann, falls ihm etwas geschieht. Ich versuche den Männern auszuweichen und schnappe mir eine zu Boden gefallene Armbrust. Trotz meiner verbundenen Hand, schaffe ich es irgendwie die Waffe richtig zu heben. Doch aufgrund meiner verheulten Augen kann ich nicht zielen. Ich schließe meine Augen, doch ein grausamer Gedanke kommt mir in den Sinn. 

Ich kann nicht noch einen Menschen, den ich liebe, verlieren.

Das kann ich nicht.

Ich kann nicht die zwei Personen, die mir am meisten im Leben bedeuten, auf See verlieren. 

Meine Hände zittern, als ich den Schein von Edmunds Taschenlampe ausmache. Das Monster holt aus, um zuzubeißen. Es schnellt herunter und reißt ein großes Stück mit sich. Nur wenige Augenblicke später rammen wir es am Felsen. Ein Schrei ertönt aus meiner Kehle, doch niemand hört ihn. Wie aus weiter ferne höre ich einen anderen Schrei. Lucy. Doch ich habe keine Zeit sie ausfindig zu machen, da das Biest nun noch wütender als zuvor ist. Die Männer versuchen es nun mit Harpunen am Schiff festzuhalten. Es ist fast überwältigt. 

Als ich nach oben sehe, erkenne ich eine Person, die den Mast hinaufklettert. Fast hätte ich ihn wegen des starken Regens nicht erkannt, doch es ist Edmund. Zweifellos. Als ich sehe wie Lucy ihren Bogen spannt, hebe ich meine Armbrust wieder. Mit einem Mal fühle ich mich leer. Ich habe kein Gefühl der Zeit mehr. Das einzige an das ich denken kann, ist Edmund. Ehrlich gesagt fürchte ich mich nicht mehr davor, selbst zu sterben. Ich fürchte mich davor zu sterben, ohne Edmund gesagt zu haben, was er mir bedeutet. 

Die Schreie der Männer holen mich wieder in die Realität zurück. Das Biest hat sich von den Harpunen befreit. Doch Edmund steht unversehrt am Mastkorb oben und hält sein Schwert hoch. Es ist eine hoffnungslose Situation. 

Ich erinnere mich gut daran, wie mein Vater und ich Sonntags immer zur Kirche gegangen sind. Ihm war es wichtig, also war es mir auch wichtig. Um ehrlich zu sein, ich bete nicht oft. Es fühlt sich komisch an in diesem Zeitpunkt -nein- in dieser Welt, Gott anzubeten. 

,,Aslan. Bitte.", flüstere ich leise. Ich bin nicht abergläubisch. Nicht besonders religiös. Und habe nie großen Wert auf meine Religion gelegt, doch jetzt fühle ich mich schuldig, weil ich in größter Not an jemanden bete, von dem ich nur Geschichten kenne. 

Doch anscheinend kümmert es Aslan nicht, wie oft ich in der Woche bete, oder an welchen Zeitpunkten. Ein Lichtstrahl bricht aus den Wolken direkt auf Edmund hinunter. Für einen Moment sieht er aus, wie ein Halbgott aus griechischen Sagen. 

Ja okay, für mich sieht er immer wie ein Held aus. 

Sofort verwerfe ich meine schwärmenden Gedanken, da ich sowieso schon unaufmerksam bin. Plötzlich erleuchtet Edmunds Schwert. Die Klinge wird blau. Das Monster wird so wütend, sodass es Edmund angreift. Ich konnte meine Augen nicht abwenden, als Edmund vom Maul des Monsters umschlungen wird. 

Erschrocken ziehe ich die Luft ein und beobachte wie Edmund verschwindet. Ich vergesse zu atmen und starre nur auf das Monster, das ihn verschlungen hat. 

Doch plötzlich zuckt das Monster und zieht sich zurück. Es brüllt schmerzvoll auf und die Adern des Monsters treten hervor. Blaue Blitze scheinen durch den Körper des Biests zu zucken. Ich bemerke gar nicht wie es im endlosen Meer verschwindet, da ich erleichtert auf den Boden zusammensacke. Als ich die unverkennbare Gestalt Edmunds sich aufrichten sehe, rollen mir Freudentränen über die Schulter. In den Wolken taucht plötzlich ein großer Vogel auf. Mit ihm erhellt sich alles. Die Wolken verschwinden. Der Nebel lichtet sich. Das Wasser wird klarer und heller. Überglücklich und erleichtert stehe ich wieder auf. Vor lauter Adrenalin zittere ich und wäre fast wieder umgekippt. Weiter hinten sehe ich wie sich Lucy aufrappelt. Mit einem  Quietschen springe ich zu ihr. 

,,Wir haben es geschafft!", rufe ich glücklich und wir umarmen uns stürmisch. 

,,Ich hatte solche Angst um dich. Ich konnte dich nirgends entdecken.", flüstert sie erleichtert in meine Haare. Wir drücken uns eng aneinander. Mir wird erst in diesem Moment bewusst, wie wichtig mir Lucy ist. Wir lösen uns voneinander, da Kaspian zu uns gekommen ist. 

,,Für einen Moment dachte ich wir würden es nicht mehr schaffen.", seufzt er und legt brüderlich seine Arme um uns. Wir genießen für einen Moment die Stille. Auch die anderen Seeleute richten sich wieder auf und Jubeln vor Glück. Doch meine Gedanken hängen an meinem besten Freund.

,,Man muss doch alle sieben Schwerter auf Aslans steinernen Tisch legen, um das Böse zu besiegen, oder?", frage ich besorgt, worauf die anderen stirnrunzelnd nicken. ,,Wo ist dann Eustachius-" Bevor ich meine Frage vollenden kann, höre ich ein Rufen von der Wasseroberfläche. Als ich über die Reling schaue, kann ich meinen Augen nicht trauen. Eustachius schwimmt wie ein quicklebendiger Junge im Wasser. Voller Elan -mit einer verbundenen Hand funktioniert das nicht so gut- ziehe ich die stählerne Rüstung aus und lasse sie auf den Boden gleiten. Mit einem Freudenschrei springe ich zu Eustachius ins Wasser. 

Meine Angst um das Wasser schiebe ich jetzt mal zur Seite. Meine bester Freund ist wichtiger als ich. 

Überglücklich wuschle ich ihm durch die Haare. Normalerweise hätte er sich nun beschwert, aber jetzt grinst er nur überglücklich. Wir versuchen uns so gut es geht im Wasser zu umarmen, doch brechen nur in Lachen aus. Als wir zur Morgenröte schwimmen, um wieder aufs Schiff zu klettern, sehe ich Eustachius nach, der zu mir zurückblickt. Als ich in seine braunen Augen sehe, wäre ich fast vor Glück wieder ins Wasser gesprungen. 

Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt