Kapitel 8

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,,Wieso glaubst du das, Reepicheep?", frage ich genervt. Dieses Mädchen wickelt uns alle irgendwie um den Finger. Ich will mich nicht von jemandem von unserer Mission, die Lords zu befreien, ablenken lassen. Trotzdem stehe ich neugierig auf, um mit dem Mäuserich auf einer Augenhöhe zu sein. 

,,Ich will nicht unhöflich klingen, Majestät, aber sie sorgen sich um das Mädchen.", antwortet Reepicheep unberührt. 

,,Evangeline ist so-", sage ich, ,,-stur! Wie kann jemand sich nicht helfen lassen wollen?"  

,,Jeder hat seine Gründe anderen nicht die volle Wahrheit zu erzählen. Natürlich will sie uns nicht wissen lassen, was ihr Schmerzen bereitet, aber welche Gründe könnte sie haben: Vertraut sie uns nicht? Oder will sie jemanden beschützen? Wir werden es auf alle Fälle nicht erfahren, wenn wir sie dazu drängen.",antwortet Reepicheep, als wäre es das offensichtlichste der Welt. 

,,Ich muss mich nochmals bei ihr entschuldigen.",murmle ich niedergeschlagen. 

,,Das müssen sie. Obwohl ich Evangeline nicht sehr lange kenne, bin ich mir sicher, dass sie ihnen verzeihen wird. Vertrauen sie ihr. Es wäre das Beste, wenn Evangeline trainiert werden würde. Es ist eine gefährliche Reise auf die wir uns begeben. Es wäre unklug sie unvorbereitet mitkommen zu lassen. Das betrifft auch ihren Cousin.", meint Reepicheep mit einem leichten Grinsen. 

,,Schon verstanden. Wann werden wir die nächste Insel erreichen?", frage ich, um das Thema zu wechseln.

,,Es ist nur eine Frage der Zeit, bis unsere Späher etwas entdecken.",antwortet Reepicheep. Dankend nicke ich ihm kurz zu, als ich mich wieder auf das Deck des Schiffes begebe. Suchend blicke ich mich nach ihr um, aber das blonde Mädchen konnte ich nicht finden. Plötzlich kommt Kaspian auf mich zu. Komischerweise grinst er leicht, worauf ich misstrauisch eine Augenbraue hochziehe. 

,,Was ist los?", frage ich. Kaspian schlägt mir nur lachend auf die Schulter.

,,Ich kenne dich jetzt schon länger. Aber ein Mädchen in weniger als einem Tag zu vergraulen - das überrascht mich jetzt irgendwie weniger.", antwortet er belustigt. Immer noch genervt verdrehe ich meine Augen.

,,Wo ist sie?" 

,,In meinem Büro. Sie brauchte irgendetwas zur Beschäftigung und da ich alle Hände voll zu tun habe, habe ich ihr angeboten in meinen Büchern zu lesen.", antwortet er nachdenklich. Dann fügt er mit einem schelmischen Grinsen hinzu: ,,Vielleicht habe ich ihr auch angeboten mit dir zu Reden, um herauszufinden wieso du ihr nicht traust." 

,,Wieso sollte sie das wollen?", frage ich entrüstet. 

,,Weil sie dich mag. Keine Ahnung wieso, aber sie mag dich. Und sie findet die Vorstellung mit dir auf einem Schiff zu sein schrecklich, wenn du sie ja 'offensichtlicher weise' hasst. Denk darüber nach." Mit einem Grinsen lässt er mich verwirrt zurück und geht zu Drinian, um die Route zu besprechen. Schuldgefühle plagen mich und ich raufe mir verzweifelt die Haare. Ich war mir nicht klar, was ich gegenüber diesem Mädchen fühle. Sie bringt alles durcheinander. Dennoch ist sie eine erstaunlich positive Person. Sie ist hilfsbereit, loyal. Langsam wird mir bewusst, wieso Aslan dieses Mädchen ausgewählt hat. Von neuem Mut erfasst renne ich fast schon hinunter zu Kaspians Zimmer und bleibe kurz davor stehen, um mich zu sammeln. Ich hielt meine Faust schon zum Klopfen hin, als ich mich jedoch umentscheide und leise in das Zimmer hineintrete. 

Das Zimmer sah leer aus, doch als ich genauer hinsehe, konnte ich Evangeline erkennen. Leise, um sie nicht zu erschrecken, trete ich näher. Das blonde Mädchen sieht jedoch nicht auf. Anscheinend hat sie mich noch nicht bemerkt.

,,Evangeline?", frage ich vorsichtig, doch das Mädchen blieb schlaff auf dem roten Sessel liegen, welcher mit dem Rücken zu mir steht.

,,Ich weiß, dass ich ein Idiot bin.", versuche ich es wieder, doch ich erkenne immer noch keine Reaktion. Verwirrt komme ich näher und sehe ihr nun ins Gesicht. 

,,Sie schläft.", murmle ich überrascht. Ich sah mir ihr Gesicht an. Ein paar wenige Sommersprossen befinden sich um ihre Nase, aber sonst ist ihre Haut rein. Verblüfft, dass mir ihre Schönheit erst jetzt auffällt, bemerke ich jedoch, dass Evangeline geweint haben muss. 

,,Bitte nicht wegen mir.", flüstere ich betroffen und schicke einige tausend Gebete an Aslan in der Hoffnung, dass ich nicht der Grund war. Mit meinem Handrücken fahre ich kurz über ihre Wange, bis mir bewusst wird was ich hier mache, worauf ich sie sofort wieder zurückziehe. Erst jetzt bemerke ich das Buch auf ihrem Schoss, doch der Titel ist mit ihrer Hand abgedeckt. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, ziehe ich es darunter hervor. 

,,Die Schlacht des Hundertjährigen Winters.", lese ich leise vor. Überrascht schlage ich die Seite auf, die Evangeline aufgeschlagen hat. Sie ist ungefähr in der Mitte des Buches. Im Buch wurde beschrieben,  wie Aslan mich befreit hatte und Peter zum Wolfsfäller geworden ist. Ich bin überrascht, dass man unsere Geschichte aufgezeichnet hat. Leicht grinsend schaue ich wieder auf den Einband, als könnte er mich wieder in diese Zeit von Narnia bringen. Behutsam lege ich das Buch wieder auf ihren Schoss. Obwohl Lucy ihr unsere Geschichte erzählt hatte, wollte sie mehr darüber erfahren. Ich betrachte das Mädchen weiter und fragte mich wieder, was oder wer sie zum Weinen gebracht hat. 

Als ich wieder aufstehen wollte, um zu gehen, fallen mir kleine feine Narben auf, welche an ihrem Nacken waren. Neugierig und besorgt lege ich meine Finger sanft darauf, doch ziehe sie sofort wieder zurück. Ich will ihr Vertrauen in mich nicht noch einmal zerstören. Ich muss ihr Vertrauen gewinnen, um herauszufinden, warum sie Schmerzen hatte, doch wenn ich jetzt nachsehen würde, wäre das der komplette Vertrauensbruch. In einer Ecke sehe ich eine dünne Tagesdecke liegen und entscheide mich kurzum, sie ihr darüberzulegen. 

Langsam verlasse ich das Zimmer und schließe sanft die Tür. Nachdenklich lehne ich meinen Kopf dagegen. Seit Stunden kann ich an nichts anderes mehr denken als an dieses Mädchen. Das macht mich auf eine gewisse Art und Weise verrückt. Grübelnd gehe ich wieder auf Deck, um nach der Lage zu sehen, doch ich bin immer noch nicht klar in meinen Gedanken. Als ich jedoch das Deck betrete, kommt mir Lucy aufgeregt entgegen.

,,Edmund! Du musst dir das ansehen! Wir haben Land entdeckt!", ruft sie aufgeregt und zieht mich an der Hand zu Kaspian, der ganz Vorne mit seinem Fernrohr stand.  

Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt