Kapitel 14

3.6K 141 7
                                    

Nach einigen Minuten weine ich noch immer auf dem Bett und halte das Bild an meine Brust. Mit meiner anderen Hand taste ich nach der Kette, die mir mein Vater geschenkt hat. Obwohl mein Blick auf die Decke gerichtet ist, konzentriere ich mich nicht auf die hölzernen Schnitzereien, welche die Schiffsbauer aus Narnia hinzugefügt haben, sondern starre in die Leere. In meinen Gedanken herrscht ein riesiges Chaos. 

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken. Die Tür wird aufgemacht und reflexartig drehe ich meinen Kopf weg, um meine Tränen zu verstecken. Ich höre wie die Tür sanft geschlossen wird und wie die Person näher tritt. Auf dem Parkettboden hören sich ihre Schritte leicht und bedacht an. Als sie sich setzt, sinkt die weiche Matratze etwas nach unten. Ich spüre eine zarte Hand auf meiner Schulter, worauf ich mich neugierig zu der Person umdrehe.

 Lucy hat sich neben mich gesetzt und in ihrem Blick liegt Verwirrung, Besorgnis und Verständnis. Wortlos setzte ich mich auf und wische mir die Tränen aus den Augen. Schweigend nimmt sie mich in den Arm und drückt mich fest. Verzweifelt kralle ich mich in ihr Hemd und versuche nicht laut aufzuschluchzen. Vor Lucy schäme ich mich zwar nicht, aber ich will nicht noch einmal weinen. Obwohl ich die Umarmung genoss, beende ich sie schon nach wenigen Momenten. Nervös streiche ich mir meine Haare aus dem Gesicht, da ich weiß, dass sie nun nachfragen wird.

,,Was ist passiert, Evangeline ?",fragt sie besorgt. Nervös knete ich meine Hände und vermeide ihren Blick. Ich halte ihr das Bild hin, während meine Hände zittern. Lucy schaut sich das Bild genau an und liest sich die Schrift auf der anderen Seite durch. Verwirrt gibt sie es mir wieder. ,,Das bist du, richtig? Mit deiner Familie."

,,Mein Vater wurde zum Wehrdienst eingezogen, vor wenigen Jahren. Er war als Soldat bei der Marine tätig. Meine Mutter und Ich versuchten uns über Wasser zu halten. Eines Tages standen Männer vor unserer Tür. Sie überbrachten die Todesnachricht meines Vaters. Sein U-Boot wurde angegriffen und versank in der Tiefe des Meeres. So wurde es uns erzählt. Bis heute habe ich auch daran geglaubt.", erzähle ich. Lucy wollte etwas sagen, doch ihr Mund bleibt offen stehen, als wüsste sie nicht, was. ,, Lord Bern gab mir das Bild und erzählte mir, dass eine Schiffs Besatzung verletzt im Meer schwamm. Sie zogen sie an Bord und pflegten sie soweit wie möglich. Glücklicherweise schien es meinem Vater nicht sehr schlecht zu gehen. Auf der Insel wollten sie nach Hilfe rufen, aber sie wurden gefangen genommen. Die anderen sechs Lords konnten fliehen, aber der Rest wurde eingesperrt. Am nächsten Tag wurden alle bis auf Lord Bern dem Nebel zum Fraß vorgeworfen..." 

Eine unangenehme Stille breitet sich zwischen uns aus und ich fühle wieder die Leere, die mich ergreift. Mein Stützpunkt wurde aus meinem Leben gerissen und ich habe mit der halben Wahrheit weitergelebt. Ich habe etwas verloren und meine Mauer wieder aufgebaut. Jetzt wird die Mauer wegen ein bisschen Hoffnung wieder eingerissen. 

,,Wir werden ihn finden. Es gibt immer einen Weg. Aslan wird uns helfen, die Lords zu finden und das Böse zu besiegen.", antwortet sie bedacht und drückt mich noch einmal fest.  Bevor ich jedoch antworten kann, klopft es erneut an der Tür. Schnell reibe ich mir die Tränen aus den Augen, während Lucy die Tür öffnet. Vorsichtig streckt Eustachius seinen Kopf durch die Tür. Als er mich erblickt, geht er vorsichtig zu mir. 

,,Wir haben eine Insel entdeckt. Heute Abend werden wir ankommen.", murmelt er leise. Lucy nickt uns kurz zu und verlässt darauf das Zimmer. Kurz drücke ich Eustachius und bin froh, dass wir ihn und Lucy aus dem Sklavenhandel befreit haben. 

,,Wie geht es dir?", frage ich sicherheitshalber. Eustachius lehnt sich vorsichtig an meine Schulter.

,,Ich weiß es nicht. Ich fühle mich hin und her gerissen.", antwortet er, worauf ich ihn verwirrt ansehe.

,,Was meinst du?", frage ich weiter, aber der blonde Junge meidet meinen Blick.

,,Du solltest wieder nach oben gehen. Frische Luft und so. Mein Cousin hat schon öfter nach dir gefragt. Die ganze Zeit bastelt er an seinem Schwert. SO nervig.", weicht er aus, doch er bringt mich zum Kichern. Er zieht mich an der Hand nach draußen und ich schnappe mir schnell meine Schuhe. So laufe ich barfuß hinter meinem besten Freund hinterher. Ich bin froh, dass er mich nach draußen schleppt, da ich dort unten in diesem Raum noch einsam gestorben wäre, wenn ich mit meinen Gedanken weiter allein gewesen wäre. 

Nachdem wir aber das Deck erreichen, verschwindet er wieder. Ich bin ihm nicht böse, aber trotzdem stehe ich etwas verloren da. Am Liebsten würde ich irgendwie helfen, aber das Team ist so eingespielt, dass ich eher mehr störe als helfe. Etwas weiter hinten entdecke ich Edmund, der den Dreck an seinem Schwert entfernt. Auf einmal erinnere ich mich, dass er neben mir gestanden ist, als Lord Bern von meinem Vater erzählte. Er wird neugierig sein. Obwohl ich weiß, dass er mich wahrscheinlich ausfragen will, setzte ich mich neben ihn und beobachte ihn dabei, wie er sein Schwert säubert. 

Überrascht blickt er auf. Als er mich erkennt, kann ich sowohl Erleichterung als auch Sorge in seinem Blick sehen. Sofort fühle ich mich wieder unwohl, aber gleichzeitig bin ich auch verwirrt. Als wir zusammen im Verließ waren, waren wir uns so nah wie noch nie. Das Komische daran: Ich sehne mich nach seiner Nähe. Völlig verwirrt von diesen Gefühlen starre ich ihn an. 

,,Wie geht es dir?", fragt er plötzlich. 

,,Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.", antworte ich ehrlich. Glücklicherweise fragt er nicht weiter, aber seine Besorgnis kann er nicht verstecken. 

,,Du warst sehr mutig auf der Insel.", sagt er uns blickt mir todernst in die Augen. Überrascht von diesem Kompliment erröte ich und streiche mir nervös eine Strähne hinters Ohr. Sanft nimmt Edmund seine Hand in meine und sieht mich weiter ernst an.

,,Ich meine das ehrlich. Du warst mutig. Aber trotzdem musst du das Kämpfen lernen. Ich fühle mich zwar geehrt zu deinem Beschützer zu werden, aber in manchen Situationen kann ich dich nicht beschützen", redet er weiter. Sprachlos sehe ich ihn an. Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn er mich beschützt. Im Gegenteil, mir würde es gefallen. Doch  er hatte recht. 

,,Du hast recht. Ich will nicht einfach nur rumstehen und beschützt werden.", antworte ich ehrlich, ,,Auf der Insel habe ich mich nutzlos gefühlt, weil ich nicht einmal einen Doch halten kann." Edmund drückt meine Hand kurz und nickt zustimmend. 

,,Ich werde es dir beibringen.", verspricht er und lächelt mich an. Meine Mundwinkel zucken und auch ich muss lächeln, während mein Blick auf unsere Hände fällt, die immer noch einander halten. Niemand lässt los. 

Lost Souls/Edmund PevensieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt