Traum der Ketten

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Jaselaya blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie hatte Melianor lange nicht gesehen, ebenso Vel. Aber ihm gab sie nicht die Schuld an allem, so wie es die Meisten getan hätten. Nein, sie gab sich ganz und gar alleine die Schuld an allem. Jedenfalls hatte sie nicht mit ihm gesprochen, ganz gleich was er nun sagen würde, sie würde ihn in Gefahr bringen und das wollte sie nicht, ebenso Melianor.
In dieser Nacht träumte sie schlecht.

Die kalten Blüten eines jungen Winters erstreckten sich übers Land. Der Boden frohr und das Gras schukelte sachte im Wind. Der kühle und graue Wind blies ihre Haare umher und ihr kurzes weißes Kleid, was das einzig strahlende in dieser öden Landschaft war, flatterte um ihre Oberschenkel und verdeckte nur das nötigste. Er war sehr knapp und ihr Schmuck mit den kalten silbernen Geästen, welche sich um ihre Beine schlangen glitzerte und wirkte als würde er ihre Beine fest umschlungen halten. Ihre Haut war blass, noch blasser als sonst und ihre hellen Augen blitzten ins weite stürmische Wetter. Dann hob sie die Hände und hielt ihren Freund fest.
„Beruhig dich, mein Freund," hatte sie geflüstert, „komm wieder zu dir."
Dann sanft und langsam würde der Wind ruhiger und sanfter, bis nur noch eine Briese übrig blieb. Der Nebel war grau wie felsige Steine an einer rauen Küste und so wabernd wie Tinte, wenn man sie unachtsam auf einem Pergament verschüttete. Jaselayas Körper wirkte verlassen und fehl am Platz.
Dann verschwand der Nebel und gab ihr einen schrecklichen Blick frei auf gestapelte Körper von töten Gefallenen.
Jaselaya stockte der Atem. Doch die Jaselaya im Traum ging langsam auf die Körper zu, die rund um sie herum aufgestapelt lagen. Einigen fehlten Gliedmaßen, anderen ragten dunkle, tiefe Augenhöhlen mit Larven statt Augäpfel hervor. Andere schienen einfach nur wie schlafend zu wirken. Es waren Elben, Menschen, Orks, Trolle, Zwerge, Hobbits, Dämonen. Jetzt verstand die Elbe...
So war ihr Schicksal...
sie war alleine, alleine die Böse, die Feindin aller, sie hatte keine Verbündeten, hatte keine Freunde, denn sie war so tief böse, dass sie jedem schönen Schmetterling sofort die Flügel ausgerissen hätte, wenn dieser sich freundlich auf ihre Fingerspitzen setzte um ihr Trist zu spenden. Sie war alleine in der Dunkelheit, allein im Schatten ihrer Selbst. Alleine, umringt von Leid und Tod. Jaselaya fiel auf die Knie und weinte. Über sich selbst, sie weinte weil sie weinte. Sie fühlte sich so schwach...
Melianor lag dort uns Vel, alle ihre angebliche Freunde. Dieser Anblick ließ sie so verzweifeln, dass sie schrie!
Sie schaute auf ihre Hände. Und die Tränen, die darauf tropften verwandelten sich in tiefrotes Blut.
Ihre Wangen waren bereits davon getränkt. Sie hauchte einen kalten Hauch von warmer Luft aus.
Der gefrorene Boden unter ihr bot ihr einen guten Stand, als sie aufstand und die Fäuste ballte.
Eine Welle von unfassbarer Macht durchströmte ihre Venen. Kalt und blutrünstig. Eisig und heiß, so heiß wie Quellen mit feurigen Wasser, so heiß wie glühende Lava... Dann sah Jaselaya nach vorn. Sie ließ ihr altes ich zurück. Sie ließ zurück was sie hinderte. Sie ließ zurück, was sie schwächte. Nun war sie der Ring. Nun war sie, gegen wen sich ganz Mittelerde verschwört hatte und sie war stolz darauf. Ihr hinterlistiges Lächeln, dass in ihre Mundwinkel Schlich und sie auf einer Seite leicht nach oben zog, stand ihr. Es war das triumphierendste und schönste Lächeln, was die Böse Seite jemals zu Gesicht bekommen würde.
„Du wolltest mich Tod! Du wolltest mich besitzen. Doch statt dem schenke ich dir eine Königin! Statt dem was du verlangst gebe ich das Schönste! Hörst du? Ich gebe was du in deinem Herzen begehrst..."
Dachte sie.
Dann rief sie: „Hörst du?! Ich bin hier und ich warte! Deine Königin wartet!"
Wie kalte metallische Ketten schlossen sich um ihr Herz und es fühlte sich an, als zerdrückten sie es. Dann begann sie zu singen. Erst mit zittriger Stimme, dann mit lauter und kräftiger. Kräftiger, als man es von ihr erwarten würde.

Folge mir in das Land der Finsternis.
Sehe das Licht, welches am Himmel verblasst.
Wo gibt es Hoffnung in dem tosenden Gewinn?
Sehe mein Herz wie es stirbt, was es alles vor dir verbirgt.
Verrücktheit ist mein Name, Angst meine Sage.
Meine Worte sind Gift ganz gleich wen man trifft.
So hell meine Klinge, so tief meine Schuld.
Was verbirgt du? Was versteckt du?
Oh-oh
Du willst eine Königin, doch vermagst es nicht, du willst einen Schatten, doch glühst hell...
Drum höre höre meine Worte und sinke tief und sinke tief und meine Verzweiflung ihnen. Denn ich bin der Ring,
ich bin das Böse!

Dann sang sie weiter, dunkel, hell... es war als würde sie singen, was sie schon so lange wollte, als würde sie sagen wollen... hör bin ich, hol mich und lass es uns hinter uns bringen!
Doch da schloss sich eine Hand um sie und von hinten wurde sie umarmt. Ein warmes Gefühl. Das schönste seit langem. Es war als sprängen die Ketten auseinander und er war als würde sie etwas fühlen, wonach sie sich schon so sehr gesehnt. Sie wehrte sich nicht, sondern schloss die Augen und stürzte auf den Boden.
Die Umarmung blieb.
Sie wollte das es für immer so war. Und alles wandte sich, das Lied zu einer traurigen und schönen Melodie, ihre Tränen zu freudigem Schluchzen. Schwach drehte sich in ihrer Umarmung und legte den Kopf auf seine Schulter. So verklangen die letzten Zeilen des Liedes.

Und ich weiß dass ich ihn lieben werde, ich weiß dass ich Siegen werde...


Jaselaya öffnete ihre Augen.

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Die Elbe des Wassers ___Meine größte SehnsuchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt