Eins

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Er zählte die Schritte bis zum Versteck.
1...2...3...4...
Es waren insgesamt 25 Schritte zum Ort, an dem er blind sein würde und nur durch weiteres hinabsteigen und weitere 63 Schritte vom Abgrund entfernt war. Langsam tastete er sich nun durch die kalte, nackte Dunkelheit und verdrängte den grausamen Gedanken daran, dass er verfolgt würde. Denn wenn er genau lauschte, hörte er das Echo seiner Schritte auf dem kahlen achten Felsboden. Wenn er nur in der Finsternis sehen könnte... was würde er sehen? Kalte Wände aus rauen Stein, ein rutschiger Weg mitten durch den Berg.
Er hielt sich an einem großen Stein fest und ging um die Kurve. Er wusste, dass es hier noch rutschiger war und steil nach unten ging. Warum er trotz allem stets wachsam die Augen offen hielt war selbst ihm nicht bewusst.
Stets sind wir es doch, die wie am wenigsten verstehen!
Dann hatte er sein Ziel erreicht und klopfte laut an die dunkle Steinwand. Irgendwo dort musste ein Hebel sein. Er wankte und wäre beinahe den tiefen schwarzen Abgrund herab gefallen, doch genau in diesem Moment fand er den Hebel und eine große steinerne Tür öffnete sich schwer und dick vor ihm und Licht flutete den Gang. Er kniff die Augen zu, doch als sich seine Augen ans Licht gewöhnten, gaben sie ihm eine fantastische Aussicht auf weite Ebenen und Felder. Bäume, Wälder, Berge und Täler. So hoch war er und so tief in diesem Berg. Niemand würde ihn finden. Sein Versteck war perfekt. Er breitete die Arme aus und spürte den kühlen Wind um ihn Peitschen, hörte das Pfeifen an den Bergketten und rauen Gesteinen. Seine weißen Haare glänzten und wehten wie eine Qualle umher. Er lächelte sanft und schloss die Augen.
Das war so schön!
Das Gefühl von Freiheit.
Das Gefühl von Glück.
Das Gefühl von Gutem!
Er stand dort lange, auf das saftige Gras sehend und die Baumwipfel, die tief unter ihm waren. Lange berührte er mit seiner Hand das raue steinige Felsengebirge. Dann kletterte er am Rand des Berges empor. Nebelschwaden machten es ihm nicht gerade einfacher, den Berg zu erklimmen, doch diese Aussicht war es ihm wert. Er spürte, wie ihm die Luft entgegen peitschte und ihm am Atmen hinderte. Er spürte, wie er sich so festkrallte, sodass seine Finger und Handflächen wund wurden, vom rauen Stein. Der Nebel wurde immer dichter, bis er irgendwann gar nichts mehr sah. So weiß wie dicke Tinte, die Mann auf einem Blatt hatte Tropfen lassen. Dann spürte er, wie die Luft so dünn war, dass nicht nur der Wind, sondern die Luft selbst ihm verboten zu atmen. Er fror und trotzdem kletterte er weiter. Seine Muskeln könnte man nur unschwer unter seinem legieren Shirt sehen. So kräftig waren seine Oberarme und so schön anzusehen war, dass es aussah, als täte er es ohne jegliche Anstrengung. So leicht und beschwingend. Dann wurde er schneller. Seine Füße fanden halt und der rannte los. Über den Schnee, der hier so weit oben lag und dann bis zum höchsten Punkt. Das weiß des Schnees und der hellblaue Himmel über ihm gab ihm einen schönen Kontrast. Der Schnee war so weiß wie die Wolle frischgeschorener Schafe. Genau so sah er auch aus. So flauschig und wulstig.
Dann schaute er ins weite. Der Nebel lag unter ihm, die Sonne glitzerte warm auf ihn und dann die sommerliche Landschaft. Er liebte es hier und er wusste genau, dass war es für ihn, das bedeute Freiheit!

Er sah nun gar nicht so aggressiv aus, sondern glücklich und irgendwie befreit von jeglichen Sorgen

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Er sah nun gar nicht so aggressiv aus, sondern glücklich und irgendwie befreit von jeglichen Sorgen.
Das war das eine, was er am Meisten liebte. Seine roten Augen leuchteten wie zwei untergehende Sonnen.
Er schaute aufs weiche Gras unter ihm. Es schien so weich zu sein, dachte er und er hätte sich nur zu gerne hinein gelegt. Noch nie war er draußen gewesen. Er hätte es gekonnt, doch jetzt, da der Junge König seine Macht angefangen hatte zu vergrößern sollte er nicht leichtsinnig werden. Er schloss die Augen. Er hatte lange weiße Wimpern, die so lang waren und hell, dass man sie schwer sah. Dann öffnete er seine Augen und hob seinen Arm in die Lüfte. Der Himmel wirkte so nah und dich unfassbar weit entfernt. Aber so, als könne man ihn mit bloßen Händen greifen. Als vermochte er es, seine Hand einfach nur auszustrecken um ihn zu berühren. Wie sich der Himmel wohl anfühlen möge?
Sein Arm hielte er nach oben und blinzelte in die Sonne. So als wolle er schreien: „Hier bin ich! Nehmt mich endlich wahr!"
Als wolle er verhindern, nur an sein Schloss gebunden zu sein und im Schatten zu wandeln. Als wolle er einfach nur das finden, was er am Meisten begehrte.
Tränen der Sehnsucht wären über seine Wangen gelaufen und hätten gezeigt, wie sehr er verletzbar war. Wie tief die Wunden waren in ihm. Doch er weinte nicht und schrie nicht. Denn er war schon zu tief gebrochen. Er war zu verletzt und einsam in seinem Inneren und sein Stolz verdeckte seine Wunden und seine Angst. Denn der Junge Herr hatte etwas, was wenige hatten. Ein Herz.


Silence is the Most powefull scream

Die Elbe des Wassers ___Meine größte SehnsuchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt