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Danach plätscherte ihre Unterhaltung weniger schwerfällig dahin. Sie saßen immer noch eng umklammert auf dem Boden und erzählten sich gegenseitig ein paar Anekdoten aus ihrer Kindheit, über ihre Familien, ihr Leben. Die Stimmung wurde wieder heiterer. So bemerkten sie überhaupt nicht, wie die Zeit verlief, bis es irgendwann unvermittelt klopfte und Minnie, die ebenfalls davon überrascht worden war, aus dem Tiefschlaf hochsprang und bellend zur Tür polterte. Sie machten beide Anstalten, aufzustehen, doch Liz wehrte ab "Bleib sitzen, ich gehe schon, das ist sicher Elias." Elias? Wer war das denn jetzt? Er hatte schon den Mund geöffnet und wollte sie fragen, doch sie war bereits durch den Flur verschwunden und er hörte, wie die alte, massive Holztür schabend aufgeschoben wurde. Er hörte eine Männerstimme "Hallo, Lizzy! Ich habe es heute früher aus der Klinik geschafft, ich hoffe, das macht dir nichts aus?" "Nein, überhaupt nicht. Es wird vermutlich auch nicht lange dauern, unserem Patienten geht es viel besser!" erwiderte sie und, wie er freudig heraushörte, mit einem leicht stolzen Unterton. Er hörte ihre Schritte auf dem Holzboden näher kommen. "Wie schön, ist er denn schon wieder bei Bewusstsein?" Fragte die männliche Stimme. Liz trat ein, der Fremde folgte ihr "Ist er in der Tat." Antwortete Sam trocken. Der Mann, er schätzte ihn auf Mitte dreißig, hatte schwarzes, kurz gelocktes Haar und trug einen Vollbart. Er kam freundlich lächelnd auf ihn zu und reichte ihm die Hand. "Hallo, freut mich, dass es Ihnen besser geht. Ich bin Dr. Elias Goldman, ich habe mich in den letzten Tagen um ihre Wunden gekümmert." Jetzt fiel bei Sam endlich der Groschen und seine mürrische Miene erhellte sich ein wenig. "Oh, ja! Liz hat von Ihnen erzählt. Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, Dr. Goldman." Er machte eine bescheidene Verbeugung "Ach, bitte! Das war doch nicht der Rede wert. Als meine Freundin Lizzy zu mir kam und mir von ihrem Schicksal berichtet hat, konnte ich einfach nicht anders." Bei diesen Worten warf er einen für Sams Geschmack etwas zu freundschaftlichen Blick auf seine Liz! Sofort fuhren seine Augenbrauen wieder zusammen und sein Gesicht verfinsterte sich. Liz hatte es bemerkt, sie blickte verwundert zwischen den beiden Männern hin und her. Offenbar hatte sie diese romantischen Schwingungen aus der Richtung des jungen Arztes überhaupt nicht bemerkt. Na, den Zahn würde er ihm am besten gleich ziehen, dachte Sam voller Genugtuung. Er schwang sich übertrieben schwungvoll auf die Füße und ignorierte dabei den stechenden Schmerz in seinem Oberbauch. Er verzog keine Miene, als er auf Liz zuging und ihr den Arm lässig um die Taille legte, ganz so, als würde er das schon seit Jahren machen.
Elias entging diese Geste genauso wenig, wie die damit verbundene Botschaft und er beschloss, von da an besser auf seine Wortwahl zu achten. In den letzten Tagen war dieser hünenhafte Indianer zwar völlig außer Gefecht gesetzt gewesen, doch selbst jetzt, wo ihm seine Verletzung noch deutlich anzumerken war, wirkte er äußerst bedrohlich. Und Elias, der selbst kaum größer war als Liz, und noch dazu einen deutlichen Bauchansatz hatte, machte sich keine Illusionen über seine Erfolgschancen, falls es zu einem Aufeinandertreffen kam. So räumte er doch lieber widerwillig das Feld, denn offenbar schien Liz sowieso nur Augen für diese Bohnenstange zu haben. Doch er wollte sich für ihr Vertrauen auch nicht undankbar zeigen und sie einfach so ziehen lassen. In den vergangenen Tagen hatten sie oft zusammen an seinem Bett Wache gehalten und begonnen, sich anzufreunden. Sie rief ihn sogar schon beim Vornamen! Er wollte diese frisch geknüpften Freundschaftsbande nicht kappen, also beschloss er, dass es besser bei Freundschaft blieb (auch um seiner Gesundheit willen, denn er zweifelte keine Sekunde an der Gewaltbereitschaft dieses halbwilden Riesen). Zu wertvoll war ihm die noch junge Freundschaft mit dieser bemerkenswerten, kleinen Person, um sie einem solchen Konflikt auszusetzen. Er räusperte sich, um Selbstkontrolle bemüht "Nun, dann lassen Sie mich doch eben einen kurzen Blick auf den Verband werfen." Der Indianer schaute widerwillig, doch als Lizzy ihn leicht anstieß, nickte er und zog das Hemd hoch. Elias löste den Verband, was einige Zeit in Anspruch nahm, weil er dem Mann nicht zu nahe kommen wollte, nur für den Fall, und deshalb mit der Verbandrolle in der Hand mehrere Male um ihn herumgehen musste. Lizzy kicherte bei diesem, zugegeben höchst albernen, Schauspiel. Selbst der riesige Kerl grinste auf ihn herab. Als er endlich den ganzen Verband abgerollt hatte, kramte er in seiner Tasche und setzte sich eine runde, metallgeränderte Brille auf die Stupsnase und beugte sich dicht über die Wunde. Er hatte die Naht öffnen und die eiternde Wunde ausschneiden müssen, was die Narbe um ein gutes Stück vergrößern würde, doch er glaubte nicht, dass das diesem Kerl viel ausmachen würde. Danach hatte er alles gründlichst gespült und desinfiziert, bevor er es erneut vernäht hatte. Die Naht hatte diesmal gehalten, der Faden hob sich leuchtend weiß von der dunklen Haut des Patienten ab. Um die Naht war sie zwar etwas gerötet, doch es war weder Eiter zu sehen, noch eine schwärzliche Verfärbung, die auf abgestorbenes Gewebe hingedeutet hätte. Alles in Allem ein akzeptables Ergebnis, wenn man bedachte, welchen Strapazen sein Körper in den letzten Tagen hatte standhalten müssen. Aber eigentlich hatte er auch nichts Anderes erwartet, der Patient war jung und ansonsten kerngesund. Elias gab ein zufriedenes Geräusch von sich. "Na, sieht doch ganz gut aus." Dann richtete er sich wieder auf und sah dem Hünen ins Gesicht. "Die Wunde muss sauber gehalten werden, bis sie ganz verheilt ist. Und sie dürfen keine schweren Arbeiten ausführen für mindestens vier Wochen." Bei diesen Worten fiel dem Großen die Kinnlade herunter. "Vier Wochen?" fragte er schockiert. Jetzt war es an Elias, seine Autorität als Arzt auszuspielen. "Ja, vier Wochen, mindestens. Sonst könnte es zu weiteren Verletzungen kommen." Der Indianer warf entnervt die Arme in die Luft, dann ließ er sich enttäuscht auf die Bettkante fallen.
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I see fire
Romance... Als ich vorsichtig den Kopf in die Dunkelheit streckte, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich meine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten und ich etwas erkennen konnte. Ich machte ein, zwei Schritte in die Gasse hinein und sah mich um. I...