28

26 2 0
                                    

28

Bowery, New York City, zur selben Zeit

Das Erste, was Elias spürte, waren die kalten, glatten Bodendielen auf seinem Gesicht. Sein Kopf hämmerte fürchterlich und ihm war übel. Benommen öffnete er versuchshalber ein Auge und stellte fest, dass er auf dem Küchenboden lag. Zu mehr reichte es aber nicht, weil ihn sofort ein heftiger Schwindelanfall erfasst, und er schloss das Auge schnell wieder. Leichte Gehirnerschütterung, dachte sein Gehirn benommen, der logische Teil seines Gedächtnisses schien also noch zu funktionieren. Na immerhin. Er versuchte, sich daran zu erinnern, was passiert war, als er leise Schritte neben sich vernahm. Dann fiel es ihm wieder ein, jemand hatte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt, vielleicht ein Einbrecher, der ertappt worden war, als er nach Hause kam? Elias stöhnte unwillkürlich und drehte den Kopf, er wollte den Einbrecher wenigstens ansehen, doch diese Bewegung quittierte sein Kopf sofort wieder mit heftigem Schwindel und er musste sich übergeben. Der Einbrecher gab keinen Laut von sich, doch Elias wusste, dass er noch da war, er konnte zwar kaum etwas erkennen, doch er spürte sehr wohl den bohrenden Blick auf sich. „Hören Sie…“ begann er stockend und versuchte, vorsichtig von der stinkenden Pfütze neben ihm wegzurutschen. Er wollte sich nicht gleich wieder übergeben müssen. „… Nehmen Sie mit, was Sie wollen, aber bitte bringen Sie mich nicht um!“

Als Antwort bekam er nur ein bösartiges Lachen aus der gegenüberliegenden Ecke des Raums. Beim Klang der Stimme lief es Elias eiskalt den Rücken herunter und sein Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich. Ist das möglich? Dann konnte er hören, wie sich leise Schritte näherten und spürte, wie sich jemand über ihn beugte, ganz dicht an sein Ohr. „Das Angebot nehme ich an…“ Flüsterte die Stimme und Elias stellten sich die Nackenhaare auf. Er war es, jetzt hatte Elias keinen Zweifel mehr. Es war eindeutig Sams Stimme, es war Sam gewesen, der ihn bewusstlos geschlagen hatte. Mit einem Mal jagte ihm die Erkenntnis wie ein Blitzschlag durch den Körper. Er weiß es! Elias packte das blanke Grauen bei dem Gedanken daran, was ihn jetzt erwarten würde. Sam schlich wie eine Raubkatze um ihn herum, er konnte ihn hören. Allmählich klärte sich sein Blick etwas und Elias wandte vorsichtig den Kopf. „Was willst du?“ Keuchte er. Elias spürte die Bewegung mehr, als dass er sie sah. Blitzschnell stürzte der Indianer auf ihn zu und versetzte ihm einen heftigen Tritt in die Magengrube. Es ging so schnell, dass er nicht einmal zucken konnte. Verdammt, ist der Kerl schnell! Elias übergab sich zum zweiten Mal krampfhaft und lag einige Minuten keuchend zusammengekrümmt da. Er brauchte lange, um sich wieder zu fangen. Sam lehnte entspannt am Küchentisch und genoss offenbar den Anblick, der sich ihm bot. Als Elias es geschafft hatte, ihm den Kopf zuzuwenden, bekam er als Antwort ein bösartiges Grinsen. Die schneeweißen Zähne leuchteten in der Dunkelheit, wie das Grinsen eines Dämons. Elias begann allmählich, sich mit seinem bevorstehenden Tod abzufinden, der Hüne war offenbar auf Rache aus. Elias war nicht in der Lage, ihn aufzuhalten, stattdessen begann er, stumm zu beten, dass der Kerl sich beeilen würde. „Es gibt tatsächlich etwas, das du mir geben kannst.“ Begann der Wilde jetzt, wobei er sich erhob und langsam auf Elias zu schritt.

Ohne eine Vorwarnung packte er Elias, als wäre er nur eine Stoffpuppe, und setzte ihn unsanft an den Küchentisch. Bei dieser plötzlichen Bewegung wurde Elias wieder übel, doch mittlerweile hatte er seinen kompletten Mageninhalt auf dem Boden verteilt und der Würgereiz schwoll rasch wieder ab. Er blickte angestrengt auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand vor ihm, um den zermürbenden Schwindel zu bekämpfen. Sam schritt um ihn herum und legte ihm ein Blatt Papier vor die Nase. Elias reckte den Hals und versuchte zu lesen, was darauf stand. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, doch er erkannte eine Art Dokument, es kam ihm bekannt vor. Sam legte einen Stift dazu. „Ich brauche ein Autogramm von dir.“ Elias überlegte kurz, was Sam wohl vorhatte, gab es aber kurz darauf wieder auf, er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. „Was ist das?“ fragte er benommen. Sam brummte amüsiert. „Das ist mein Totenschein!“ Jetzt war Elias völlig von der Rolle und blickte verdutzt zu dem riesigen Kerl auf, der wieder breit grinste. „Für die Sache mit Liz bist du mir etwas schuldig, du Verräter.“ Elias spürte den unterdrückten Hass in seiner Stimme und nahm eilig den Stift zu Hand. Er krakelte hastig seine Unterschrift unter das Dokument, ohne darauf zu achten, was sonst noch darauf stand. Es sah so aus, als wäre das Formular schon fertig ausgefüllt. Sam nahm ihm den Stift wieder ab. Er trennte den Durchschlag ab und reichte Elias das Original. „Das wirst du Morgen bei der Arbeit in meine Akte legen, das andere schicke ich mit deinem Absender an die Polizei.“ Dann schoss er blitzschnell nach vorn und packte Elias hart an der Kehle. Elias zuckte zurück und griff nach Sams Handgelenk. Er versuchte, ihm den Arm wegzuziehen, doch er hätte genauso gut versuchen können, einen Brückenpfeiler zu bewegen. „Wenn du meine Anweisungen befolgst und den Mund hältst, siehst du mich nie wieder…“

Elias, im Angesicht des nahenden Todes auf einmal sehr mutig, lachte kurz auf und keuchte „Sonst was?“ Er bereute es augenblicklich, denn in Sams Augen trat der blanke Hass und schnell schloss Elias wieder den Mund. „Du hast mir die Frau weggenommen, die ich liebe. Wenn du irgendwelche Dummheiten machst, nehme ich dir jemanden, den du liebst.“ Elias bekam große Augen und schluckte krampfhaft. Sam, immer noch die Hand wie ein Schraubstock an seiner Kehle, hob ihn mühelos hoch und schleuderte ihn gegen die Wand. Elias ging krachend zu Boden und blieb nach Atem ringend an der Wand liegen. Sam schnappte sich seinen Teil des Dokuments, ließ das andere auf dem Küchentisch liegen und wandte sich zum Gehen. „Vergiss nicht, dass ich weiß, wo deine Schwester arbeitet.“ Elias zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass Sam seine Drohung wahrmachen würde. Er blickte Sam wie erstarrt hinterher, völlig überwältigt von den Ereignissen der letzten paar Minuten. Sam rauschte wie ein Gewitter aus der Wohnung und verschwand.

I see fireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt