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Kahnawake, Kanada, 22. Mai 1931

Nach dem Verhör durch die New Yorker Polizei war mir nichts anderes übrig geblieben, als wieder in das Reservat zurückzukehren. Ich hatte keine Ahnung, wo Sam sich aufhielt, die Polizisten offenbar auch nicht. Sie hatten mich ein paar Tage in Gewahrsam genommen, ohne mir einen plausiblen Grund dafür zu nennen. Erst als ich behauptete, ich hätte einen guten Freund, der Anwalt sei und ihnen die Hölle heiß machen würde, ließen sie mich gehen. Vielleicht hatten sie abwarten wollen, ob die kanadische Polizei Sam irgendwo aufgegriffen hatte, oder ob er so dumm war zu versuchen, mich hier herauszuholen, doch nichts dergleichen geschah. Zumindest erzählte mir niemand davon. Und so hatte ich mich schließlich wieder auf den endlos langen Rückweg nach Kahnawake gemacht.

Sams Mutter und seine beiden Schwestern waren schockiert, als ich ihnen am Frühstückstisch berichtete, dass die New Yorker Polizei mich tagelang ohne Grund festgehalten hatte. „Diese korrupten Schweine! Uns haben sie auch über Stunden in die Mangel genommen und sind tagelang um das Haus geschlichen, bis die Peacekeeper sie verjagt haben.“ Kitty erntete für diese vulgäre Ausdrucksweise einen strafenden Blick von ihrer Mutter. Ich blickte verwirrt zwischen beiden hin und her. „Was sind Peacekeeper?“ Kitty stellte ihre Tasse ab und antwortete „Die sind sozusagen die Polizei hier im Reservat. Weißt du nach den Gesetzen sind die Reservate quasi eigene Staaten mit eigenen Gesetzen. Die Gesetze Kanadas finden hier keine Anwendung und dementsprechend darf die kanadische Polizei sich nur hier aufhalten, wenn wir sie dulden. Der Rat hat darüber diskutiert und entschieden, dass sie den Bogen überspannt haben und so mussten sie das Reservat verlassen. Das hält sie jedoch nicht davon ab, jede Straße an der Grenze zu kontrollieren, wie du sicher bei deiner Ankunft bemerkt hast.“

Ich schluckte. „Ja, ich hatte mich schon gewundert. Nie hätte ich gedacht dass Sam der Grund für dieses riesige Aufgebot sein könnte.“ Kitty und ihre Mutter nickten, dann ergriff sie das Wort. „Es ist sehr beunruhigend. Auf unserem Land haben sie zwar keine Handhabe, aber wenn sie ungeduldig werden, können Sie uns einfach willkürlich von der Außenwelt abschneiden. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte unseres Volkes, dass die verdammte Regierung uns einsperrt und aushungern will.“ Ihre beiden Töchter nickten zustimmend und die Stimmung schwang von Beunruhigung in Zorn um. Ich konnte sie verstehen, doch fragte ich mich auch, was Sam wohl für Möglichkeiten bleiben würden, wenn er seine Familie, oder sogar seinen ganzen Stamm, nicht in Gefahr bringen wollte. James, sein Bruder, war wieder nach Boston zurückgegangen, gezwungenermaßen, da die Chancen für Indianer, eine anständige Anstellung zu bekommen, beinahe gegen null gingen.

„Was denkst du“ wandte ich mich an Julie „Wo geht Sam jetzt hin? Was hat er vor?“ Sie seufzte und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Eigentlich hatte ich gedacht, er würde zu dir kommen, also hierher, aber in Anbetracht der momentanen Lage hoffe ich, dass er so klug ist, sich hier nicht blicken zu lassen.“ Ich nickte zustimmend. „Das hoffe ich ebenso. Ich glaube, zu James zu gehen wäre für ihn auch zu gefährlich. Habt ihr noch woanders Verwandte oder Freunde, bei denen er untergekommen sein könnte?“ Sie legte die Stirn in Falten und strich sich eine ergraute Haarsträhne aus dem Gesicht. „Also genau genommen haben wir eigentlich in allen Mohawk-Reservaten irgendwelche Verwandten, aber das wird die Polizei auch wissen, daher gehe ich davon aus, dass es dort genauso aussieht, wie bei uns.“ Kitty hob den Kopf und blickte aufgeregt in die Runde. „Mutter, meinst du sie benutzen Sam als Vorwand, um uns zu schikanieren?“ Julie riss erschrocken die Augen auf und sah ihre Tochter verständnislos an. „ich hoffe doch nicht! Aber was hätten sie denn auch davon?“ Kitty zuckte die Achseln. „In der Vergangenheit ist ihnen auch immer irgendetwas eingefallen…“ Das klang sehr unheilvoll und allmählich beschlich mich der Verdacht, dass die Regierung daraus eine größere Sache machen könnte, als es eigentlich war. „Vielleicht sollten wir mit dem Rat darüber sprechen, eventuell müssen Vorkehrungen getroffen werden, sie sind zwar jetzt schon in Alarmbereitschaft, aber wir wissen ja nicht, was noch auf uns zukommt.“ Julie seufzte resigniert. „Ich werde mit Joe reden, wenn ich ihn sehe. Lasst uns hoffen, dass wir uns umsonst sorgen...“ Ich grübelte. „Gibt es denn in den Reservaten irgendetwas, worauf die Regierung scharf sein könnte?“ Sie legte die Stirn in Falten und stocherte in ihrem Rührei. „Ich weiß es wirklich nicht, Liebes. Hier gibt es doch nichts, außer verfallenen Hütten und ausgelaugten Feldern…“

I see fireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt