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New York City, 21. November 1930

Er beschloss, erst einmal eine Zeit lang zu arbeiten, vielleicht eine kleine Wohnung zu finden. Dann wollte er so viel Geld wie möglich zur Seite legen und ihr den schönsten Ring kaufen, den es für Geld zu kaufen gab. Mit der Zeit nahmen seine Pläne immer mehr Gestalt an, während die Tage wie im Rausch an ihm vorbeizogen. Jeder Tag mit ihr war der glücklichste seines Lebens und jeder neue Morgen offenbarte ihm weitere Details ihrer Persönlichkeit und er liebte sie umso mehr. Hin und wieder stritten sie sich heftig, denn sie war wirklich explosiv, seine kleine Furie, doch sie waren unglaublich verrückt nacheinander. Und so endete jeder kleine oder große Streit immer in einem leidenschaftlichen Liebesakt, jeder intensiver als der vorige. Einmal hatte sie ihm in einem Moment eine volle Kaffeetasse entgegen geworfen, die krachend an der Wand hinter ihm zerschellt war, und einen Moment später fanden sie sich im Bett wieder, nackt und schwitzend und er hatte wirklich keine Ahnung, wie es dazu gekommen war. Tante Milly musste jedes Mal lächelnd den Kopf schütteln, wenn sie wieder einmal nach einem Streit völlig zerzaust und verlegen grinsend aus dem Schlafzimmer geschlichen kamen. Doch abgesehen davon wurde ihre Situation mit jedem Tag unangenehmer. Liz hatte wenig Glück bei der Arbeitssuche. Die Ablehnung der Leute traf sie am Härtesten. Von einem halbwilden Indianer erwarteten die Leute nichts Anderes, wenn sie sahen, dass er Liz mit einem Kuss begrüßte. Aber Liz, die vorher von Nachbarn und Freunden für ein anständiges Mädchen gehalten worden war, sank ihrer Meinung nach auf den Stand einer Prostituierten. Dass eine weiße Frau von ehrbarer Familie sich mit einem solchen Tier einließ, war für die Leute unverständlich und eine Schande. Er hört einmal, als er morgens die Wohnung verließ, wie zwei Nachbarinnen an der Tür nebenan darüber tuschelten "Ihre Eltern würden sich im Grab umdrehen, wenn sie davon wüssten!" Konstatierte eine der beiden empört. Die Andere, die über ihnen wohnte, nickte heftig zustimmend. Als sie ihn bemerkten, huschten sie, für ihr Alter erstaunlich flink, in die Wohnung und die Tür donnerte ins Schloss. Er begann, sich deswegen ernsthafte Sorgen zu machen. Gerüchte und Lästereien waren eine Sache, doch er wusste nur zu gut, wohin das führen konnte und hatte wirklich Angst, dass Liz eines Tages das Gleiche zustoßen könnte, wie ihm. Er machte sich grübelnd auf den Weg zur Post und beschloss, sie am Abend zu bitten, nicht mehr allein durch die Straßen zu gehen. Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl.

Ich kam gegen Nachmittag nach Hause und ließ meinen Einkauf deprimiert auf den Küchentisch plumpsen. Tante Milly war nicht Zuhause, vielleicht bei einer Nachbarin. Ich hatte mit jedem Tag immer weniger Lust, die Wohnung zu verlassen und mich den Blicken der Leute auszusetzen. Manche starrten mich an wie eine Kuriosität, unverhohlen neugierig, andere offen feindselig. Manche, die früher auf der Straße gegrüßt hatten, gingen jetzt an mir vorbei, als wäre ich nicht da. Und ich hasste es wirklich, wenn ich ein volles Geschäft betrat und plötzlich alle Menschen verstummten, wenn sie mich erblickten. Diese unterschwellige Ablehnung in ihrem Verhalten wurde mit jedem Tag offener ausgetragen. Doch heute war wirklich der Gipfel erreicht, als der Metzger im Nebenhaus sich weigerte, mich zu bedienen. Es waren ein, zwei Frauen vor mir dort gewesen, und als ich an die Reihe kam, überging er mich einfach und wandte sich der Kundin hinter mir zu! Ich räusperte mich und sprach ihn höflich an "Verzeihung, Sir. Ich war vor ihr dran." Er sah mich nicht einmal an. Ich wurde unglaublich wütend. Knallrot und schnaubend stampfte ich aus dem Laden und stieß beim Verlassen, ganz aus Versehen, die Klapptafel auf dem Gehsteig um. Ich blickte auf die alte Küchenuhr, es war erst halb vier. Ich hatte noch ein paar Stunden Zeit, um das Abendessen zu kochen und so setzte ich mich erstmal einige Minuten an den Tisch und gönnte meinen schmerzenden Füßen eine Pause. Heute war Samstag, das hob meine Laune etwas. Denn heute kam Elias wieder zu Besuch. Wir hatten in den letzten Wochen eine gute Freundschaft mit ihm etabliert und weil er als Jude am Sabbat nicht kochen durfte, war es irgendwann zum Ritual geworden, dass wir ihn Samstagabend zum Essen einluden. Die Abende waren immer sehr unterhaltsam, oft tranken wir nach dem Essen noch gemeinsam ein Glas billigen Scotch oder plauderten angeregt über alle möglichen Dinge. Es wurde oft sehr spät, sodass wir den beschwipsten Elias meist auf dem Sofa einquartierten und selbst albern kichernd in unsere Betten stolperten. Ich genoss diese Augenblicke in letzter Zeit umso mehr, weil Elias einer der wenigen Menschen war, die unserer Verbindung ehrlich unvoreingenommen gegenüberstanden. Die meisten anderen Bekannten taten zwar nach außen hin freundlich, doch oft sah ich ihnen ihre wahre Meinung überdeutlich ins Gesicht geschrieben, wenn ich ihnen auf der Straße begegnete, Arm in Arm mit Sam. Sie lächelten beinahe übertrieben und grüßten, doch sobald sie an uns vorbei waren, hörte man ihre gezischten Beleidigungen. Es verletzte mich sehr, wenn ich Worte wie "Indianerhure" oder "perverses Flittchen" in meinem Rücken hörte. Doch ich versuchte immer, mir nichts anmerken zu lassen. Daran musste ich mich jetzt wohl gewöhnen und solange ich Sam an meiner Seite hatte, der mich stets vehement verteidigte, spielte es eigentlich auch keine Rolle, ob es den Leuten gefiel oder nicht. Ich hoffte nur, dass sich die anderen Händler in der Nähe das ekelhafte Verhalten des Metzgers nicht abschauen würden. Sonst müsste ich demnächst woanders einkaufen gehen oder Milly gehen lassen. Ich seufzte entnervt. Das konnte doch wirklich nicht wahr sein! Als nächstes würden sie mich wahrscheinlich auf offener Straße anspucken, dachte ich verbittert. Schlecht gelaunt schälte ich weiter die Erbsen und Karotten und achtete nicht darauf, ob ich mir in die Finger schnitt. Sam kam hoffentlich bald zurück, für heute Abend kündigte sich ein Sturm an und ich blickte beunruhigt aus dem Fenster. Da erblickte ich ihn die Straße entlang rennen. Es schüttete bereits in Strömen und die Tropfen fielen fast waagerecht, als er, klatschnass, mit Blättern im Haar und völlig außer Atem von einer heftigen Windböe durch die Tür geweht wurde. Seine Nase und Ohren waren rot von Kälte und er schüttelte sich wie ein nasser Hund. Ich hüpfte zur Seite und kreischte schrill auf, als die eisigen Tropfen auf mich niederprasselten. Er grinste unverschämt und begrüßte mich mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Dann blickte er mir tief in die Augen und sein Blick ließ keine Zweifel an seinen Plänen. "Haben wir noch etwas Zeit, bis Tantchen zurückkommt?" flüsterte er in mein Ohr und seine Hände waren bereits dabei, unter meinen Rock zu gleiten. Ich löste mich hastig von ihm und lief in die Küche, um den Topf vom Herd zu nehmen, dann verschwanden wir ins Schlafzimmer.

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