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New York City, 18. Dezember 1930

Sam schreckte aus wilden Träumen auf und hatte nur einen Gedanken: Liz! Er nahm kaum wahr, wie er aus dem unbequemen Krankenhausbett sprang und seine Kleider anzog. Eine Schwester versuchte, ihn aufzuhalten. Sie redete beruhigend auf ihn ein und versuchte, ihn wieder aufs Bett zu drücken, doch er ignorierte ihr Gerede einfach, schob sie kurzerhand beiseite und verließ das Zimmer. Auf dem Gang rannten ihm mehrere Leute entgegen, versuchten, ihn am Gehen zu hindern, doch er nahm sie kaum wahr. Wie ein Schneepflug bahnte er sich seinen Weg durch die Menschen, ohne einen von ihnen auch nur anzusehen. Sein Schädel hämmerte und in seinen Ohren konnte er sein Blut rauschen hören, doch es kümmerte ihn nicht im Geringsten. Er lief kopflos aus dem Gebäude und durchquerte mit langen Schritten das Gelände, bis er zum Ausgang kam. Am Tor blieb er kurz unschlüssig stehen. Wo war er hier eigentlich? Er drehte sich zurück zum Krankenhaus, in der Hoffnung ein Schild mit dem Namen an der Fassade zu finden, doch da war keins. Ein Arbeiter lief den Weg entlang und er hielt ihn am Ärmel fest. Der Mann schrak aus seinen Gedanken auf und blieb abrupt stehen, als er den hünenhaften Indianer mit dem Kopfverband erblickte. Sam deutete auf das Gebäude hinter ihm. "Wie heißt das Krankenhaus?" Fragte er knapp. Der Mann entspannte sich wieder ein wenig. "Das ist das Beth Israel Medical Center." Sam nickte dem Mann kurz zu und ließ ihn weitergehen. Er war also in Brooklyn. Er musste Liz finden, doch wo sollte er beginnen? Irgendjemand musste ihn aus den Ruinen gezogen haben, sonst wäre er nicht hier. Wahrscheinlich war Liz auch in einem Krankenhaus. Doch es gab so viele in New York, er konnte unmöglich alle einzeln abklappern und wahrscheinlich würde einem abgerissenen, verwundeten Indianer auch niemand eine Auskunft geben. Er fragte sich, welcher Tag wohl heute war und wie lange er bewusstlos. Vielleicht sollte er erstmal zurück nach Soho. Mit etwas Glück traf er auf Mrs. Murray oder eine andere Nachbarin und vielleicht konnte ihm ja jemand helfen. Er machte sich auf den Weg, am East River entlang, bis er die Brooklyn Bridge erreichte. Auf der anderen Seite wandte er sich nach Norden, Richtung Soho.

Als er die Stelle erreichte, wo einmal das Haus gestanden hatte, setzte sein Herz einen Schlag aus. Es war weg, alles, komplett. Die Trümmer waren bereits vollständig abgetragen, nur noch die geschwärzten Wände der Nachbarhäuser zeugten davon, dass der Brand tatsächlich stattgefunden hatte. An der Stelle des Fundaments befand sich jetzt eine klaffende Grube, offenbar wollte man so schnell wie möglich ein neues Haus errichten. Von ihrem Zuhause war nichts mehr übrig, ihm war nichts geblieben außer das, was er am Körper trug. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube und er fiel auf die Knie. Dass es schneite und der Boden gefroren und eiskalt war, bemerkte Sam überhaupt nicht. Alles war fort.

Er hatte keine Ahnung, wie lange er dort gehockt hatte, offenbar war er irgendwann eingeschlafen, denn er kam erst wieder zu sich, weil ihn jemand an der Schulter rüttelte. Seine Zehen waren taub und er spürte seine Finger kaum noch. Er hob den Kopf und blickte in das besorgte Gesicht von Mrs. Murray, die mit ihm sprach, doch er verstand sie nicht. Sie zog ihn am Arm, wollte dass er aufstand. Er richtete sich benommen auf und blickte angestrengt auf sie herunter. Er versuchte verzweifelt, wieder in die Realität zurückzufinden, er musste mit ihr sprechen, sie fragen, wo Liz war. "Können Sie mich hören?" Rief sie laut. Endlich! Sam nickte langsam. "Ich sagte, ich habe noch ihren Hund!" Das entlockte Sam den Anflug eines Lächelns, sie hatte Minnie also mitgenommen. Er legte ihr eindringlich die Hände auf die Schultern und beugte sich dicht zu ihr herunter. "Wo ist Liz?" Sie wich eschrocken ein Stück zurück und er räusperte sich verlegen und nahm ebenfalls etwas Abstand. "Ich weiß es auch nicht. Es tut mir sehr leid. Ich war letzte Woche auf der Beerdigung ihrer Tante, dort habe ich sie auch nicht gesehen." Sam schrie seinen Frust heraus und schlug die Hände vors Gesicht. "Milly ist tot?" Mrs. Murray seufzte mitfühlend und legte ihm die Hand auf den Arm. "Mein Beileid. Ich hoffe, Sie finden sie. Versuchen sie es doch mal bei ihrem gemeinsamen Freund, dem Arzt." Sam blickte ungläubig auf sie herunter. "Natürlich! Elias!" In einem spontanen Anflug von Übermut drückte er die kleine, zierliche Frau kurz an sich. "Danke!" Dann ließ er sie los und rannte so schnell er konnte davon, in Richtung Bowery. Mrs. Murray blickte ihm kopfschüttelnd hinterher, doch um ihren Mund spielte ein amüsiertes Lächeln.

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