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Bowery, New York City, 10. Mai 1931
Elias kam nach einem langen Tag in der Klinik nach Hause in seine nun wieder leere Wohnung. Es war bereits kurz vor Mitternacht, eine laue Sommernacht, der Himmel war klar und als er die Küche betrat, spiegelte sich der helle Vollmond auf dem blank geputzten Holz seines Küchentischs. Alles war ruhig, aufgeräumt, irgendwie leblos erschien ihm das Haus. Seit Liz völlig überraschend aufgebrochen war und ihm keine Nachricht hinterlassen hatte, außer dem sündhaft teuren Verlobungsring auf ebendiesem Küchentisch, erschien ihm seine Wohnung noch größer und freudloser, als jemals zuvor. Erschöpft seufzend ließ Elias seine Umhängetasche zu Boden gleiten und warf sich auf einen der Stühle. Einige Sekunden verharrte er bewegungslos und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Immer wieder fragte er sich, warum Liz so überstürzt verschwunden war. Er war sich sicher, dass sie keinen Unfall gehabt hatte oder etwas in der Art, schließlich hatte sie die Zeit gehabt, ihre Sachen zu packen und ihm den Verlobungsring dazulassen. Doch was war der Grund dafür? Hatte sie ihre Erinnerung zurückerlangt? Als Arzt wusste er, dass verlorene Erinnerungen auch nach Jahren noch bruchstückhaft zurückkehren können. Hatte sie sein Lügengeflecht durchschaut? Oder hatte sie andere Gründe gehabt? Elias schauderte innerlich, als er den hünenhaften, drahtigen Indianer dachte, der ihn mit seinem wilden Blick förmlich durchbohrt hatte, als er bemerkt hatte, dass Elias an Liz interessiert war. Doch Elias zwang sich zur Ruhe, der Kerl saß hinter Schloss und Riegel im sichersten Gefängnis des ganzen Staates und hielt seine Liz obendrein für tot. Nein, von ihm ging sicher keine Gefahr mehr aus. Und auch wenn der Verlust seiner Verlobten doch an seinem Stolz kratzte, verschaffte ihm das gedankliche Bild dieses Riesen in Ketten doch einige Genugtuung. Am Ende gewann doch immer der Klügere, dachte er überheblich und grinste in sich hinein. Wie dumm dieser Indianer doch war, dass er geglaubt hatte, mit ihm, einem angesehenen, wohlhabenden Arzt, konkurrieren zu können.
Jetzt besser gelaunt erhob er sich und schritt durch die immer noch dunkle Küche, um das Licht einzuschalten und etwas zu Abend zu essen. Kurz vor dem Lichtschalter, schon mit ausgestrecktem Arm, erstarrte Elias plötzlich mitten in der Bewegung. Ein kalter Schauer jagte seinen Rücken hinunter, er hatte für einen kurzen Moment das Gefühl gehabt, einen heißen Atemhauch im Nacken zu spüren. War jemand hier?
Unsinn! Dachte er. Das wäre ihm doch schon beim Betreten der Wohnung aufgefallen. Oder? Seine Gedanken rasten. War die Wohnungstür verschlossen gewesen, als er gekommen war? Hatte jemand anders einen Schlüssel? Da! Da war es wieder! Elias fuhr erschrocken zusammen, doch noch ehe er auch nur den Kopf in die Richtung drehen konnte, hatte ihn ein harter Schlag am Hinterkopf getroffen und alles um ihn herum wurde schwarz.
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I see fire
Romance... Als ich vorsichtig den Kopf in die Dunkelheit streckte, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich meine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten und ich etwas erkennen konnte. Ich machte ein, zwei Schritte in die Gasse hinein und sah mich um. I...