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Sam konnte sein Glück gar nicht fassen, er las die kurze Notiz noch einmal, um ganz sicher zu gehen. Dann noch einmal, bis James ungeduldig wurde. "Nun erzähl' schon!" doch Sam konnte nicht sprechen, er grinste einfach nur blöde, bekam fast keine Luft, so groß war die Erleichterung. Er hielt seinem Bruder den Brief hin, der ihn sich schnappte und kurz überflog. Dann seufzte James resigniert. "Gib mir das Papier, ich schreibe Mutter, dass wir dieses Jahr woanders überwintern." Sam konnte nicht anders, er machte einen Satz in die Luft und schrie seine Freude laut heraus, sein Bruder lachte. Lizzy würde platzen vor Überraschung, wenn er mit James vor ihrer Tür stand. Jetzt hatte Sam keine Geduld mehr, er packte rasch zu Ende, dann schulterte er die Taschen und seinen Bruder und schleifte ihn beinahe zum Bahnhof, so sehr wollte er zu ihr. James schimpfte ohne Unterlass, weil er nicht mithalten konnte. Sie hatten Glück und erstanden noch zwei Fahrkarten nach Manhattan für heute. Doch der Zug ging erst gegen 16 Uhr, in zwei Stunden. Das bedeutete, sie würden erst mitten in der Nacht ankommen, doch das war Sam völlig einerlei und er wusste, dass es für Liz auch keine Rolle spielte. Umso schneller er ankam, desto besser, vor allem, wenn sie wirklich todunglücklich war. Vielleicht wusste sie auch gar nicht, dass Milly ihm geschrieben hatte. Er spürte einen Stich in der Brust, er musste schnellstens zu ihr, er wollte es wiedergutmachen. Wenn er gekonnt hätte, wäre er einfach losgelaufen, den ganzen Weg hindurch gerannt, nur, um irgendetwas tun zu können. Er hasste es, zur Untätigkeit gezwungen zu sein.

James spürte, wie rastlos sein Bruder war und schlug vor, im Bahnhof noch etwas zu essen, es wurde schließlich eine lange Fahrt und sie hatten beide in der Eile nicht daran gedacht, sich Proviant einzupacken. Sam nickte widerwillig und sie suchten ein nahe gelegenes Geschäft auf, wo sie sich rasch ein paar Sandwiches kauften und etwas Wasser für unterwegs. Dann saßen sie auf dem Bahnsteig und warteten, bis der Zug einfuhr. Sam lief wie ein eingesperrtes Tier auf und ab und blickte alle paar Sekunden auf die große Uhr an der Wand. James stöhnte genervt. Sie mussten noch über eine Stunde warten und Sam's Ungeduld machte ihn jetzt schon wahnsinnig. "Jetzt setz dich auf deinen Hintern, verdammt!" Herrschte er ihn an. Sam brummte ungehalten, ließ sich aber trotzdem neben ihm auf die Holzbank fallen. "Du machst einen ja vollkommen wahnsinnig!" Sam konnte einfach nicht stillhalten. Um sich die Zeit zu vertreiben, kramte er Lizzys gesamte Briefe aus der Tasche und las sie mehrmals durch. James gab es irgendwann auf, zu schimpfen und genervte Geräusche von sich zu geben und beschränkte sich irgendwann nur noch aufs Augenrollen.

Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich der Zug in den Bahnhof einfuhr, atmeten beide erleichtert auf. Sam sprang sofort von der Bank auf und lief wieder völlig unruhig auf und ab, bis die lange Kette aus Waggons endlich zum Stillstand kam und die Türen geöffnet wurden. Er schnappte sich die beiden Taschen und schleuderte sie hinein, dann stützte er James und bugsierte ihn vorsichtig in den Zug. Sie suchten sich ein leeres Abteil, wo er seinem Bruder half, sich auf einem Platz am Fenster zu setzen. Dann holte Sam die Taschen nach und verstaute sie in den Gepäckfächern über ihren Köpfen, bevor er sich gegenüber von James auf das Polster fallen ließ. Nachdem die Türen sich wieder geschlossen hatten und der Zug anfuhr, ging der Schaffner herum und kontrollierte die Tickets. Sam zeigte wortlos die beiden Karten vor, die daraufhin gelocht wurden und starrte danach wieder gedankenverloren aus dem Fenster. Er wirkte nach außen hin völlig ruhig, doch in seinem Inneren überschlugen sich die Gedanken. James lehnte sich zurück und schloss die Augen, offenbar war er es leid, ihm beim Grübeln zuzusehen. Sie schwiegen beinahe die ganze Fahrt hindurch, James schlief ein wenig und Sam starrte unentwegt aus dem Fenster, betrachtete den allmählich dunkler werdenden Himmel und wünschte sich, er könnte fliegen.

I see fireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt