III. menschenmassen

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Der nächste Tag verlief gottseidank ohne weitere Komplikationen.

Ich hatte zwar erst den Vormittag überstanden, jedoch hoffte ich, dass mich die Sorgen und negativen Gefühle noch den Rest des Tages verschonen würden.

In der Schule war es nicht gerade angenehm aber es gab schon deutlich schlimmere Tage. Trotzdem war ich sehr froh als ich durch die Haustür unseres Zuhauses ging und sofort auf die Couch zusteuerte. Ich ließ mich erschöpft darauf fallen und blickte starr an die weiße Decke. Nach kurzer Zeit des Träumens stand ich auf und ging im Haus herum, um nach Liam zu suchen. Er war den Vormittag daheim geblieben, da er leichten Husten hatte und ich es nicht darauf ankommen lassen wollte, ihm teure Medikamente kaufen zu müssen oder meine Schule wegen seiner Krankheit zu verpassen, da er gepflegt werden musste.

Ich fand ihn in meinem Zimmer, wie er auf dem Boden saß und mit verschiedenen Stiften malte. Lächelnd ließ ich mich neben ihm nieder und berührte liebevoll mit meiner Hand kurze Zeit seinen Kopf.

»Naaa, wie geht es dir?«

»Gut« murmelte er, während er verträumt die Stifte über das Papier tanzen ließ und wieder zurück in seine Fantasiewelt abdriftete.

Dies ließ mich etwas aufatmen, da es ihm wirklich besser zu gehen schien.

Ich erinnerte mich an einen Anruf, welcher mich gestern Abend erreicht hatte. Er war von einem nahegelegenen Krankenhaus ausgegangen, und wahrscheinlich handelte es sich bei diesem Ruf um Liams Eltern. Mir war nur mitgeteilt worden, dass wir in naher Zeit dem Krankenhaus einen Besuch abstatten sollten.

Die Angst vor einer gesundheitlich und lebenstechnisch schlechten Information ließ mein Blut in unruhige Wallungen umschwenken. Jedoch war die Wahrscheinlichkeit für eine positive Neuigkeit und einen Weg zurück ins Leben der beiden Elternteile Liams genauso hoch.

Hoffentlich war das Glück auf unserer Seite.

Ich hatte vor, Liam von dem Anruf zu erzählen und ihn zu fragen, wann wir seine Eltern besuchen wollten und ob er mich überhaupt dorthin begleiten wollte.

Also öffnete ich meinen Mund zögernd und wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als ich einen flüchtigen Blick auf Liams Gekritzel erhaschte. Ich hatte vorher nicht wirklich darauf geachtet, doch jetzt bemerkte ich seine Kunst.

Auf dem weißen Blatt Papier waren drei Menschen abgebildet. Man konnte es klar erkennen, es handelte sich hierbei um seine Familie. Als ich außerdem sah, an was er gerade malte, wurde mein Herz warm. Er war dabei ein Mädchen an seine Seite zu malen, welches ohne Zweifel mir ähnelte.

Ich zog ihn in eine Umarmung, nachdem er sein Kunstwerk vollendet und ebenfalls Namen hinzugefügt hatte.

»Weißt du, eine Dame vom Krankenhaus hat mich angerufen«, fing ich an ihm mitzuteilen.

»Es gibt Neuigkeiten von deiner Mama und deinem Papa. Wir werden sie besuchen gehen.«, fügte ich hinzu.

»Wenn du willst, dann können wir Ihnen dein gemaltes Bild mitbringen, ja? Das gibt ihnen bestimmt Kraft und Hoffnung.«

Mir war klar, dass es gar nicht sicher war, sie dort anzutreffen. Dieser schreckliche Hintergedanke saß mir immer noch in der hintersten Ecke meines Kopfes. Und da sollte er auch bleiben!

Liam erwiderte ein aufgeregtes Nicken, auf meinen Vorschlag hin, sie zu besuchen.

»Gehen wir gleich heute?«, fragte er mich aufgeregt.

»Wenn du das willst«, lächelte ich ihn an und stand auf.

Eine Stunde später liefen wir Hand in Hand durch die große Eingangstür des Krankenhauses, auf direktem Weg zur Anmeldestelle. Ich war sehr aufgeregt, doch versuchte mit aller Macht dies vor Liam zu verbergen. Auch meine Unsicherheit rückte ich in den Hintergrund.

Als die Frau an dem Empfang uns nach angeben unserer Namen und vorzeigen der Personalien eine Zimmernummer nannte, atmete ich erleichtert auf. Sie würden ganz sicher keine Leiche in einen der Patientenräume legen, um dann den Angehörigen Hoffnungen zu machen, dass sie am Leben sind, und mit einigen Blessuren davon gekommen waren.

Ich machte mich also mit Herzrasen auf den Weg, das Zimmer zu suchen. Liam wich mir nicht von der Seite, wofür ich sehr dankbar war. Ich konnte es nicht gebrauchen, ihn nun auch noch zu verlieren. Nach etwa fünf Minuten hatte ich mein Ziel gefunden, und stand versteinert vor der großen Tür.

Hoffentlich ging es Ihnen den Umständen entsprechend gut.

Würde ich Suse und Carl in diesem Raum auffinden, oder gab es doch schlechte Nachrichten, dass nicht alle beide durchgekommen waren?
Wie stark sind die Verletzungen?
Konnten sie jemals wieder ein normales Leben führen?

Ich konnte die tausend Fragen um deren Wohlsein, welche aufgeregt in meinem Kopf rum schwirrten, nicht ausschalten. Meine Augen flackerten, und das grelle Licht, welches den Krankenhausflur beleuchtete, stach mir blendend in meine eingezogenen Pupillen. Stimmen drangen an mein Ohr, welche eindeutig hinter der Tür hervorzukommen schienen. Ich konnte meinen Körper nicht stoppen, welcher nun aufgeregt in Richtung Türklinke hastete und die plumpe Edelstahltür aufriss.

Meine Pupillen weiteten sich schlagartig.

Liam rannte an mir vorbei in Suse' Arme, welche ihn mit herzlicher Geste empfing. Ich war so erleichtert. Meine Augen wurden in Windeseile von Tränenfluten überschwemmt, welche sich den Weg Richtung kahlem Boden bahnten, wo sie ohne ein Geräusch aufschlugen und ihr Ziel fanden.

Auch Carl war in diesem Raum untergebracht, jedoch war er noch nicht ansprechbar, da seine letzte Narkose Spritze womöglich noch nicht allzu lang her war.

Mir viel ein riesiger Stein vom Herzen. Auf einmal wurde ich gepackt und mit in die innige Umarmung der zwei Personen vor mir gezogen, welche ich eben noch weinend betrachtet hatte.

Etwas später verließ ich den Krankenhausraum allein, da ich etwas frische Luft schnappen wollte. Liam war in den Armen seiner Mutter eingeschlafen, welche mir die letzte Stunde ausführlich berichtet hatte, was passiert war und wie es weiter gehen sollte. Gottseidank ging es Suse soweit gut, wenn man von ein paar Knochenbrüchen und Verletzungen absehen konnte. Diese würden mit Sicherheit bald wieder verheilt sein. Carl jedoch hatte das Schicksal schwerer getroffen. Die Ärzte behaupten, dass es nur schwer möglich sein wird, ihm das Laufen erneut zu ermöglichen. Diese Information war nicht gerade leicht zu verdauen, jedoch war ich erleichtert, dass beide den Unfall überlebt hatten.

Als ich gerade in den Aufzug abbiegen wollte, bemerkte ich ein Mädchen, welches mit dem Rücken in meine Richtung stand und sich gerade mit einer älteren Dame zu unterhalten schien. Ich blieb stehen und musterte die Konversation interessiert. Ihre dunkelbraunen Haare kamen mir bekannt vor, und ich konnte eine gewisse Anziehungskraft ausmachen. Verwirrt wendete ich meinen Blick ab.

Eine Anziehungskraft, bitte was?

Das musste ich mir alles nur einbilden.

Trotzdem ließ ich meinen Blick noch einmal zu dem Mädchen gleiten, nur um die Chance zu nutzen, sie ungestört zu betrachten.

Ich kniff die Augen zusammen.

War das möglich?

Konnte das wirklich Sam sein?

Was machte sie hier?

Auf einmal war ich sehr verlegen, da ich sie so intensiv betrachtet hatte. Nicht, dass sie es womöglich auch noch gemerkt hatte, bei ihrer Gabe, mein stetig unhöfliches Starren zu erhaschen.

Nun hatte auch sie mich gesehen, doch sie wirkte sehr verwundert über meine Anwesenheit. Fast schon verschreckt. Gerade als sie dazu ansetzte zu flüchten, setze ich mich in Bewegung.

★? Danke!

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt