mitternacht

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Nach Sams so verwirrendem Abgang konnte ich mich selbst nicht davon abhalten, darüber nachzudenken, anstatt sie aus meinem Kopf zu verbannen. Es war alles so verwirrend gewesen.

Ich konnte mir keinen klaren Reim darauf machen, außer, dass der Alkohol ihren Geist vernebelt und sie gelenkt haben musste. Aber dies war keine sehr plausible Erklärung.

Ich stand nun etwas erhöht und konnte somit den Club mit seinen Gästen einigermaßen überblicken. Jordan konnte ich nicht ausfindig machen. Als ich meinen Blick weiter über die vielen Gesichter wandern ließ, welche sich zu der Musik bewegten, tranken und wild übereinander herfielen, stachen mir einige Personen ins Auge, welche sich nicht sehr gut in ihr Umfeld zu integrieren schienen. Sofort erkannte ich, dass diese ihrem Job nachgingen anstatt Spaß zu haben. Sie suchten eindeutig nach Übeltätern wie mir, um mich auf frischer Tat zu ertappen. Ich spürte das kleine Päckchen der wenigen Pillen an meinem Fußgelenk ruhen und schluckte einmal etwas schwerfällig.

Nun wurde mir bewusst, weshalb Jordan nicht auffindbar war. Wahrscheinlich hatte er die Gefahr erkannt und sich sofort aus dem Staub gemacht. War das ein scheiß Test?

Wieso hatte er mir nichts gesagt oder mich gewarnt, sondern mich trotzdem in diese gefährliche Situation laufen lassen. Ich konnte wirklich von Glück reden, dass Sam mich abgelenkt hatte, sonst hätte ich bereits die wenigen Pillen, welche ich dabei hatte, unter die Leute gebracht - und höchst wahrscheinlich wäre ich geschnappt worden. So aber konnte ich auf unschuldig spielen und hoffentlich nicht groß auffallen.

Nun gut, dann würde dies eben ein normaler Clubabend werden. Um ehrlich zu sein hatte ich schon lang keinen Abend mehr erlebt, an welchem ich mich ganz auf mich konzentrieren konnte, ohne nebenbei meine Pillen verticken zu müssen.

Grinsend stach mir die Frau ins Auge, welche ich bereits am Eingang des Clubs ausgemacht hatte. Unsere Augen trafen sich und ich spürte meine besitzergreifende Begierde in mir aufkochen. Also näherte ich mich langsam und gesellte mich mit ihr an meiner Seite in eine etwas ruhigere Ecke.

Einige Zeit war vergangen, sowie unmenschlich viele Shots vernichtet worden. Die Frau mir gegenüber, wessen Namen ich bereits vergessen hatte, war zu Beginn ein wenig schüchtern gewesen. Doch dies legte sich mit der Zeit, denn mir konnte man einfach nicht widerstehen.

Außerdem besaß ich die wundervolle Gabe, die Leute verrückt nach mir zu machen und des Weiteren neigten diese dazu, sich in meiner Umgebung nicht gerade unwohl zu fühlen.

Ich geb's ja zu; Ich war in all den Jahren zu der perfekten Version eines Fuckgirls mutiert. Doch ich liebte die Dominanz zu sehr, als dass ich mir die Spielereien, und den damit verbundenen Schmerz für meine nächtlichen Dates, verkneifen konnte.

Ein paar Umschmeichlungen später und sie war mir vollkommen verfallen. Aber langsam wurde es wirklich langweilig mit ihr und ich konnte ihre schrille Lache sowie den alkoholisierten Atem nicht länger aushalten. Doch gewiss würde ich sie die Nacht über noch bei mir behalten, und allem Anschein nach wollte sie das ebenso.

Nicht nur sie, sondern auch die anderen Menschen in diesem Gebäude erdrückten mich langsam aber sicher, und so beschloss ich, nach draußen in die kalte Nacht zu entfliehen, um eine Zigarette zu rauchen und somit meinen Geist von den Geschehnissen abzulenken. Einen kleinen unbedeutenden Kuss hinterließ ich auf den Lippen dieser Frau, welche mich kichernd anblickte und folgend schweren Herzens gehen ließ. In diesem Kuss lag keinerlei Gefühl oder gar Erotik. Ich hatte schon sehr viele Küsse in meinem verdorbenen Leben verteilt, und da würde es auf diesen Winzigen nicht ankommen.

Mit schmerzenden Knöcheln trat ich vor die Tür, in die kühle Nacht hinaus, bedacht darauf in meinen hohen Schuhen nicht hinzufallen. Ich war eine gekonnte Läuferin in jeder Art von Absatzschuhen, doch der Alkohol machte sich langsam bemerkbar und so brachte mich die Verneblung leicht ins Straucheln. Doch es war nicht allzu gravierend und somit fing ich mich mit einem Seitwärtsschritt und dem gekonnten Abfangen an der Hauswand ab und brachte mich in einen sicheren Stand zurück.

Ich keuchte.

Meine Brust hob sich schwerfällig, doch sie schien sehr dankbar für das bisschen Luft, welche nun meine Atemwege für sich einnahm und meine Lungen prall füllte. Diesen Sauerstoffschub hatte ich gebraucht, gepaart mit einer erlösenden Zigarette, welche mir endlich den Geschmack der in sich ruhenden Freiheit zurückgeben würde.

So kramte ich in den Taschen meiner Lederjacke, welche ich beim Verlassen des Clubs übergeworfen hatte und angelte mir geschickt eine Zigarette heraus. Zu meinem Unglück musste ich feststellen, dass diese die Letzte war, welche ich an meinem Körper finden konnte. Nun gut, dann würde ich jene an diesem Abend eben besonders genießen müssen.

Nachdem ich mir also die glühende Zigarette zwischen die Lippen gesteckt und erfrischend einen Zug in meine Lungen geleitet hatte, nahm ich mein Umfeld immer mehr wahr.

Davor hatte es nur mich und meine Probleme an Ort und Stelle gegeben, doch nun erweiterte sich mein Geist samt seines Sichtfeldes ein Stück und ich war auf einmal nicht mehr allein in dieser Nacht. Nicht weit von mir entfernt saß Sam sitzend, auf einer Art Steinbank, an eine hohe Mauer gelehnt und betrachtete mich emotionslos. Zwischen ihren Fingern befand sich ebenfalls eine Zigarette, dessen Rauch sie nebensächlich in sich aufnahm.

Teils getrieben von dem Alkohol, teils aufgrund meines eigenen Verlangens, drückte ich mich von der Wand hinter mir ab und steuerte auf sie zu. Unsere Augen waren nicht voneinander zu lösen.

Anders als bei dem skurrilen Aufeinandertreffen vorhin, wirkte Sam in diesem Moment sehr anwesend und keineswegs eingeschüchtert oder ängstlich. Ihre Katzenaugen musterten mich interessiert, so als hätte die vergangene Situation zwischen uns beiden, welche so hoffnungslos mit einer Flucht Sams geendet hatte, niemals stattgefunden.

Ich kam ihr immer näher, da es nur ein paar Schritte zu ihr gewesen waren. Dies war meine Chance, sie besser in ihrem jetzigen Leben kennenzulernen, sowie schlau aus ihr zu werden. Hoffnungsvoll malte ich mir aus, meinen Gegenüber möglicherweise lesen zu können. Doch ich tat mich sehr schwer dabei, die Gefühle anderer Menschen zu deuten. Diese Schwachstelle meinerseits war und würde wohl immer jene Hemmung bleiben, welche mir eine ernsthafte Beziehung verweigerte. Und mein komplettes Leben ebenso, samt den Männern und all dem illegalen Scheiß.

»Hallo Schönheit«, entwich es meinen Lippen, als ich bei ihr angekommen war.

Sie blickte mich noch immer mit einem undefinierbaren Blick an. Wahrscheinlich hatte sie mich bereits durchschaut, und stempelte diese Anrede als eine unter vielen ab. Nun ja, das war sie sicher auch, nur eine alltägliche Anmache, doch in diesem Fall meinte ich meine Worte ernster denn je. Sie war die schönste Frau, welche ich in meinem Leben zu Gesicht bekommen hatte. Und das waren bereits sehr viele gewesen also konnte man dieses Kompliment meinerseits wirklich ernst nehmen.

»Guten Abend«, erwiderte sie sachlich und drückte in Gedanken versunken ihre Zigarette an der kahlen Steinbank aus. Dann stand sie von ihrem Sitzplatz auf, um mit mir auf Augenhöhe zu kommunizieren. Dies hatte zur Folge, dass wir uns plötzlich sehr nah standen.

★? Danke!

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt