gebrochen

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Doch wieso genau hatte ich Sam denn eigentlich so unbedingt küssen wollen.

Damit ich ihre Reaktion abwarten konnte, um somit herauszufinden ob sie wirklich nur ermittelte, was sie tatsächlich getan hatte?

Oder tat ich es, da ich eine hormongesteuerte Schlampe war und heiße Beute gesichtet hatte? Das konnte ich mir bei meiner verkorksten Persönlichkeit sehr gut vorstellen.

Doch während ich noch wild philosophierte und wilde Hypothesen meinen Kopf überschwemmten, hatte ich kaum bemerkt, dass sich die Frau aus dem Club nun endgültig genähert hatte.

Sie stand bereits unmittelbar vor mir und schenkte mir einen, so wie es aussah, ernsthaften Todesblick, gemischt mit wilder Artikulation. Ich hörte gar nicht richtig hin, sondern sperrte meine Ohren zu und dachte darüber nach, wie ich den heutigen Abend noch gestalten könnte. Es war bereits sehr spät in der Nacht und eigentlich war ich recht müde. Ich hatte also kurzerhand meine Möglichkeiten abgewogen, und mich dazu entschieden, schnellstmöglich in mein Bett zu flüchten.

Als die Dame mit der Standpauke fertig war, zuckte ich kurz entschuldigend mit den Achseln und ließ sie ohne weiteres stehen. Ich erwartete keinen Widerstand, da sie doch eher ein sehr zurückhaltender Typ Mensch zu sein schien.

Doch tatsächlich stellte sie sich in meinen Weg und fluchte weiter. Dann rief ich freundlicherweise meinen Geist zurück ins Jenseits, um ihre kreischende Stimme auf schnellstem Weg in mich aufzunehmen. Was zum Teufel wollte sie?

Nach ein paar wilden Beschimpfungen und der Erwähnung ihrer tristen Depressionen fiel dann endlich das Schlüsselwort. Sie wollte Geld. Und zwar verlangte sie, dass ich für den alkoholreichen Abend aufkommen sollte.

Da ich wirklich geschafft von dem Tag war, und mir auch nicht länger diese schrillen Töne geben wollte, griff ich schnurstracks in die Jackentasche meiner Lederjacke und tastete nach meinem kleinen schwarzen Portemonnaie. Zu meiner Verwirrung konnte ich dieses dort nicht ausfindig machen.

Auch in der anderen Jackentasche verbarg sich keine verschwundene Brieftasche.

Etwas überfordert und recht ungeschickt stand ich nun da, zu sehr von der Situation überwältigt, dass ich gerade keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ja scheiße. Was sollte ich nun tun.

Sonst hatte ich wirklich nie mein Portemonnaie dabei, sondern lediglich gebündelte kleine Scheinchen. Doch heute, an diesem verfluchten Abend, hatte ich es eingesteckt, da ich davon ausgegangen war, ein wenig mehr als sonst so üblich zu verdienen. Und natürlich musste das mir passieren, bei meinem Glück, dass ich es irgendwie verlegt oder verloren hatte.

Applaus Allie, für deine Kompetenz.

In dieser Brieftasche war mein Ausweis, inklusive ein wenig Geld, so wie ich mich zurück erinnern konnte. Eigentlich nichts großes, doch wenn mein Ausweis mit meiner echten Identität den falschen Leuten, wie beispielsweise der Polizei oder der Fundstelle in die Hände fallen würde, dann hätte ich mir hiermit noch ein paar mehr Probleme in meiner verkorksten Welt geschaffen. Gottseidank war auf dem Ausweis ein recht altes Foto meinerseits abgebildet gewesen, das heißt es war kaum vergleichbar mit meiner jetzigen Person und deren äußerer Erscheinung.

Man würde mich nur mit einem wirklich sehr guten Auge dieser Identität zuordnen können. Und hoffentlich würde es Sam nicht in die Hände kriegen, verdammt. Sie würde doch sofort mein junges Ich enttarnen und sich womöglich auf die verzweifelte Suche nach mir begeben.

Okay, ich musste dieses Portemonnaie so schnell wie nur möglich zurückbekommen. Doch nun würde ich erst einmal schlafen gehen.

Mit riesigen Augenringen unter den Augäpfeln und einem mürrischen Gesichtsausdruck schob ich das Mädchen beiseite und lief in monotonem Tempo an ihr vorbei. Sie traute ihren Augen kaum, dass ich sie abermals abwies, und sie eiskalt ignorierte.

Doch ich konnte da jetzt auch nichts machen, da mir mein letztes Geld genommen wurde, von der puren Dummheit und dem einzigartigen Unglück meinerseits. Wundervoll.

Am nächsten Morgen wachte ich geschafft auf. Jordan hatte sich noch nicht bei mir blicken lassen.

Der sollte auch erst einmal weg bleiben, dieser Psycho. Was fiel ihm ein, mich in solch einer gefährlichen Situation mit unzähligen Cops allein zu lassen.

Geschafft stand ich vor dem Spiegel und betrachtete mein zerknautschtes Ich. Halb schlafend ließ ich die gestrigen Ereignisse noch einmal Revue passieren, vor meinem inneren Auge.

Auf einmal hatte ich eine böse Eingebung. Ich wusste nicht woher sie auf einmal kam, aber vielleicht hatte Sam mein Portemonnaie gestohlen.

Das durfte nicht wahr sein.

Wenn dies wirklich der Fall war, dann steckte ich nun so richtig tief in der Scheiße. Sie wusste ja schließlich, dass sie es von mir genommen hatte. Dann würde sie ganz einfach eins und eins zusammen zählen können, und mich als das kleine Mädchen von damals identifizieren.

Ich zog meine Augenbrauen mürrisch zusammen und ließ folgend eiskaltes Wasser über mein Gesicht laufen.

Verzweifelt stöhnte ich.

Langsam aber sicher entwickelte sich ein bisschen Wut, dass Sam mich wirklich so verarscht hatte. Ich war mir so sicher gewesen, dass dort tatsächlich etwas in ihren Augen gefunkelt hatte. Konnte es denn wirklich sein, dass Sam nichts gespürt hatte? Dass sie nicht einmal das Knistern ausgemacht hatte?

Möglicherweise war genau dies ihr Plan gewesen, von vorne herein. Und vielleicht hatte sie den Kuss nicht einmal genossen, so wie ich es getan hatte. Wenn das wirklich wahr war, dann konnte sie sich meine Identität sonst wohin stecken.

Schön, dann wusste sie eben, dass ich Allie war, und all die Vergangenheit würde mich erneut überfluten. Doch wenn sie die gesamte Zeit wirklich nur mit mir gespielt hatte, dann hätte mich das wirklich verletzt.

Ich allein war es die ganze Zeit gewesen, welche all dies als ein Spiel angesehen hatte. Doch dieser Kuss hatte etwas in mir geweckt, was ich eigentlich versucht hatte, in dem innersten meines Herzens endgültig zu vergraben. Ich wusste nicht, was es war, doch seit ewiger Zeit interessierte ich mich wieder für etwas oder jemanden.

Ich interessierte mich für Sam, und wie es ihr ging.

Ich wollte wissen was sie tat und wie es sich für sie anfühlte.

Doch all das war nun Geschichte.

Sie hatte ihre Arbeit erfolgreich ausgeführt, wofür ich sie wirklich bewunderte, doch ich war in kürzester Zeit zu dem Opfer der ganzen Sache mutiert. Ich war von mir selbst hinunter gestuft worden. Und als ich dann, ohne mein Wissen, hilflos war, ging Sam in die Offensive. Aha, so fühlte sich das also an. Ausgenutzt zu werden, um dem Job nachzugehen und die eigene Ex-Geliebte hinter Gitter zu bringen.

Applaus, wirklich.

Starke Leistung.

Ich wurde soeben, wie schon so oft, entzwei gebrochen - und nun würde ich Sam zur Rede stellen, egal was es kosten möge.

Eine sehr dumme, impulsive Idee. Doch diese Zweifel rückte ich bitter in den Hintergrund meines Planes.

★? Danke!

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt