blass

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Dies war er gewesen. Der Ort meiner Verzweiflung in dem verlassenen Leben, welches mir Gott aufgezwungen hatte.

Langsam und noch immer recht ungläubig streckte ich eine Hand nach vorne aus, um meine Finger sanft über den kalten Stein fahren zu lassen. Wunderschöne Strukturen spiegelten sich dort ab. Ein einziges Trauerspiel, welches ich in einer der ersten Nächte ertrinkend in dieser verlorenen Stadt, im Alkohol ertrinkend und trauernd über den Schmerz, welcher sich in mir breit machte, als Kunst an die Wand brachte um somit mein Leid zu stillen.

Mir kam es vor, als hätte man mir soeben mit einem Messer in den Bauch gestochen, um den Schmerz hinter meine blassen Augen zu treiben.

Doch anstatt des Blutes, welches an dieser Stelle entweichen sollte, bahnten sich bunte Ranken und Blumen ihren Weg aus meinem Innersten hinaus, und ergänzten das verlassene Bild in dieser Gasse.

Glück machte sich in mir breit, als meine Gedanken mir solch einen Streich spielten, diese Kunst lebhaft und lieblich wirken zu lassen. Denn das war sie keinesfalls.

Sie spiegelte die Angst meinerseits wieder, der vergangenen Tage. Die Angst, meine Vergangenheit zu vergessen.

In jenem Moment fasste ich mir an den Kopf, denn die Schwärze durchzuckte ihn. Tränen kullerten in Strömen an meiner Wange entlang, und meine Hand, welche sich nun leiten ließ von der Scham, wischte Marionettenartig den Fluss hinfort und versuchte den Kummer zu stillen.

Meine damalige Angst hatte sich in die Realität umgesetzt. Sie war zur Wirklichkeit geworden, doch ohne Verlust hatte ich ihr entgegengestrebt.

Ja, ich ganz allein war dafür verantwortlich, dass ich die Vergangenheit verzweifelt versuchte zu verdrängen. Mein eigener Geisteszustand hatte mir den letzten Hoffnungsschimmer geraubt, um den Funken an Erinnerungen aus meinem Leben zu sperren.

Doch nun zwang mich dieses Bildnis der Vergangenheit erneut in die verzweifelte Situation, mich erinnern zu wollen, und mich verloren nach Unerreichbarem zu sehnen. Unerreichbarer Zuneigung.

Einige Minuten stand ich nun schon, mit einem Arm an dieser kahlen Wand abgestützt, das Kunstwerk direkt vor meinem verschwommenen Sichtfeld.

Surreal erschien es mir.

Und so berührte ich abermals das dunkle Gemälde der Vergänglichkeit. Das damalig rot schimmernde Blut, war nun braun und verdreckt. Es klebte wie ein verlorener Fleck an dieser schäbigen Wand, ohne einen genauen Sinn darzustellen. Keine Menschenseele hatte sich diesem Blut angenommen, es zu entfernen oder wenigstens wahrzunehmen.

Mein junges Ich, verzweifelt in den Tatsachen ertrinkend, durchlief damals einige düstere Gassen, ohne ein gewisses Ziel vor Augen. Ich wollte an jedem Ort der Welt lieber sein, als hier in dieser trostlosen Stadt an Jordans Seite.

Verzweifelt ertrank ich meinen Geist in Unmengen an Alkohol, auf dass ich auf der Stelle umkippen und nie wieder aufwachen würde.

Doch diese Taten zerrten mich nur noch mehr in ein dunkles Loch aus Scham vor meiner selbst, weshalb ich wütend sowie verletzt von den Umständen, wild auf die unschuldige Wand einschlug. Ich spürte den Schmerz damals nicht, da er mich bereits vollkommen ausfüllte. Einen Blutfleck hinterließ ich seitdem an der Wand vor mir. Und möge es Zufall sein oder nicht, dieser Blutfleck wurde auf magische Weise ergänzt durch einen leichten Riss in der Wand.

An diesem Abend sah ich es abermals.

Die Rose, welche wie ein Spiegel wirkte um meine Emotionen festzuhalten und zu reflektieren. Die Rose, welche mich an Zärtlichkeit erinnert, welche ich jedoch schon längst aufgegeben hatte, erneut zu finden.

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt