Während wir auf dem Weg zurück in mein Zimmer waren, hielt er mir eine ausgiebige Predigt. Es hatte sich herausgestellt, dass dieser Mann zu meinen verantwortlichen Pflegern gehörte und mein Verschwinden schnell bemerkt hatte.
»Sie haben mir ganz schön viel Ärger eingebracht. Was denken Sie sich, einfach aus Ihrem Zimmer zu verschwinden und auch noch Ihre Infusion zu entfernen?«, belehrte er mich vorwurfsvoll. Ich hörte ihm jedoch nur mit einem Ohr zu und lief mit gesenktem Kopf neben ihm her.
Er meine, dass ich meine Wunden schonen sollte und den ersten Tag mein Zimmer nicht ohne eine Erlaubnis verlassen durfte.
Das wurde mir gerade alles zu viel.
Sicher, es war sein Job sich um mich und mein Wohlbefinden zu sorgen, jedoch war diese Art von Kontrolle nicht auszuhalten. Im Stillen suchte ich bereits nach möglichen Fluchtwegen, indem ich hier und da in die verschiedenen Ecken und Flure schielte und mir den Weg einprägte, welchen wir zurücklegten.
Als wir ein paar Meter vor meinem Krankenzimmer um eine Ecke bogen und er einen kurzen Moment nicht aufmerksam genug war, nutzte ich meine Chance und rannte ohne über folgende Konsequenzen nachzudenken los. Das Letzte was ich jetzt wollte, war es, zurück in dieses verlassene Zimmer zu gehen, mich dort nichts tuend hinzulegen und über mein Leben zu philosophieren.
Ich war sehr schnell, da ich nicht die Unsportlichste war, jedoch bemerkte er mein Verschwinden nur ein paar Sekunden später und setze zur lautstarken Verfolgung an. Wenn mir jemand vor ein paar Tagen noch erzählt hätte, dass ich bald vor einem Pfleger in einem Krankenhaus flüchten würde, dann hätte ich ihm wohl keinen Glauben geschenkt und ihn ausgelacht. Es gab theoretisch gesehen keinen Grund dazu, vor einem Menschen weg zu rennen, welcher sich um seine Gesundheit sorgte und diese mit allen Mitteln versuchte zu überwachen. Doch genau das tat ich nun, mit nur einem Ziel im Kopf.
Ich wollte hier raus.
Mein Verlangen forderte es, mich unerkannt in den kleinen Vorgarten des Krankenhauses zu schleichen und mich dort für einen Moment ins Grüne auf die Bank zu setzen, ohne Trubel oder Probleme um mich herum. Das war mein Wunsch, bevor ich wieder abgeschottet zurück in die weiße Hölle gesteckt wurde. Und wenn ich etwas wollte, dann würde mich ganz sicher nichts und niemand davon abbringen.
Geschickt rannte ich um die Kurven und Ecken des Gebäudeganges und schlängelte mich durch die Menschenmassen in den langen Fluren. Dies war ein großes Gebäude und deshalb perfekt für eine Verfolgungsjagd gemacht. Trotz meiner guten Laufstrecke wurde ich den Pfleger nicht so schnell los. Zwar hatte ich den Abstand zwischen uns vergrößert, jedoch würde es nicht reichen, um unbemerkt nach draußen in den Garten zu flüchten.
Langsam schmerzten meine Beine und die Kraft verließ mich merklich. Ich konnte nicht ewig so weiter laufen. Deshalb rannte ich noch ein paar Meter weiter, auf der Suche nach einem möglichen Versteck, bis ich schließlich hastig eine Tür öffnete, in der Hoffnung, dass niemand mein Verschwinden in diesen Raum bemerkt hatte.
Eigentlich sollte der Vorsprung groß genug gewesen sein, sodass ich unbemerkt die Tür öffnen und schließen hatte können. Ich wusste von meinem Krankenzimmer, welches ich zuvor ausgiebig inspiziert hatte, dass es in eigentlich jedem Zimmer eine Art Schrank gab, welcher groß genug sein musste, um sich kurze Zeit darin zu verstecken.
Schwer schnaufend stand ich in dem Zimmer und versuchte meinen Atem zu regulieren. Kurze Zeit gab ich mir, um mich zu sammeln. Ich stemmte mir meine Hände auf die Knie und keuchte angestrengt. Meine Lungen brannten schmerzvoll von dem soeben ausgeführten Marathonlauf. Ich blickte mich geschwind um und fand nach einigen Sekunden bereits mein Ziel.
Das Stimmengewirr vor der Tür wurde lauter und so eilte ich hastig in den Schrank hinein und ließ die Türe zufallen.
Mir stockte der Atem; aus genau zwei Gründen.
Zum einen wurde genau in jenem Moment die Zimmertüre geöffnet worden, in welchem ich die Schranktüre geschlossen hatte.
Und zum Zweiten stand ich nur einige Zentimeter von einer Person entfernt, dessen Atem aus Hektik an Geschwindigkeit zunahm. Ich konnte nur die Umrisse sehen und spürte die heiße Luft auf meiner Haut, welche aus dem vor Empörung geöffneten Mundes meines Gegenübers entwich. Meine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Aus Angst, dass man das ungleichmäßige Atmen außerhalb des Schrankes hören könnte, wo gerade zwei Pfleger unstimmig im Zimmer standen und sich verdutzt umsahen, legte ich meine Hand auf den Mund dieser Person und dämpfte somit die Atemgeräusche ab.
Langsam wurden die Umrisse immer klarer und ich konnte zwei vor Schock geweitete, doch zugleich hübsche Augen sehen. Kein Zweifel, mir gegenüber stand ein Mädchen in meinem Alter.
Sie legte ihre Hand auf meine, welche immer noch über ihren Lippen ruhte, und zog sie langsam hinunter. Ich ließ diese Bewegung langsam zu, da sie ihren Atem anscheinend reguliert hatte. Ihre Lippen wurden entblößt und sie schaute mir tief in die Augen. Nun war ich diejenige, welche überrascht und ungläubig das Mädchen vor mir anstarrte. Ich erkannte endgültig, wer dort vor mir in dem engen Schrank stand. Wieso hatte ich es nicht gleich bemerkt?
Aus einem unerklärlichen Grund hatte Sam ebenfalls in diesem Schrank gestanden und sich anscheinend vor jemandem oder etwas versteckt. Wieso sonst sollte sie sich im Inneren eines Schrankes befinden.
Noch immer standen wir sehr dicht aneinander. Nur wenige Zentimeter trennten uns vor der gegenseitigen, heißen Berührung. Ich würde diesen Abstand nur zu gern schließen und meinen Körper an ihren schmiegen.
Die Situation in welcher ich eben noch gesteckt hatte, verschwamm in meinem Geiste. Alles erschien auf einmal so unwichtig; alles außer ihrer Gestalt vor mir. Und auch die zwei Männer, welche soeben den Raum verließen, nahm ich kaum mehr wahr. Sie hatte mich in ihren Bann gezogen und ich konnte nichts dagegen tun.
Doch tatsächlich hinderte mich etwas an meinen Wunschvorstellungen. Ich hatte Angst vor einer Zurückweisung.
Sie war an dem Abend unserer Intimität einfach gegangen, ohne die Situation klarzustellen, was nun zwischen uns war. Und auch obwohl das kurze Aufeinandertreffen im Büro des Direktors sehr vertraut zwischen uns verlief, war ich noch immer sehr verwirrt. Zu sehr bangte es mir vor einem Verlust ihrerseits. Ohne Zweifel spürte ich eine gewisse Anziehungskraft von ihr ausgehend.
Aber ob sie genau so empfand oder inzwischen sogar das Erlebte bereute?
★? Danke!
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roses are slowly dying
Romance» 𝐥𝐢𝐞𝐛𝐞𝐬𝐫𝐨𝐦𝐚𝐧. „Frustriert schlief ich ein, die Kälte kaum wahrnehmend, und stetig nur die Kunst in meinen Augen, durch dort verweilende Tränen spiegelglatt schimmernd. Die Kunst ihres Körpers warm neben dem meinigen, gleichend einer ruhi...