sekundentakt

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Nachdem Mike die Wohnung verlassen hatte, besessen von einer unübersehbaren Wut, war jene lebensfrohe Sam kaum mehr wieder zu erkennen. Einige Sekunden stand sie noch wie angewurzelt da, so als gäbe es kein hier und jetzt sondern nur die schnell vorbeifließende Zeit und ein schwarzes Universum, in welches sie langsam eindrang. Es schien, als würde es sie vollkommen einnehmen, und wie eine Qual in sich ertrinken lassen. Jeder andere Mensch würde wahrscheinlich schwimmen und um sein Leben kämpfen, doch Sam blieb still und wagte es kaum, sich zu bewegen.

Als ich meine Arme um sie legte, schreckte sie zusammen und stieß mich von ihr weg. Sowohl ich als auch sie traten dabei in die verstreuten Scherben einer bunten Tasse, welche mit lautem Krachen noch vor wenigen Minuten hier auf dem kalten Boden zerschellt war. So wie diese Tasse ihren Bruch gefunden hatte, so spiegelte sich in ihrem Untergang der wachsende Spalt zwischen Sam und ihrer Außenwelt wieder.

Sie schien keine Hilfe annehmen zu wollen. Jede Berührung meinerseits ließ sie frösteln. Mit sehr viel Schmerz in ihren Augen wandte sie sich von mir ab und lief eilig davon. Dabei hinterließ sie eine kleine blutbefleckte Spur auf dem kargen Boden, welche den Ursprung in ihrer Fußsohle fand.

Dieses Zimmer sah verflucht beängstigend aus. Solch reine und geordnete Wände trafen auf das blanke Chaos in Form von Dreck, Verwüstung und dem darin liegenden Kummer. Unaufhaltsam fanden sich jene Eindrücke zusammen und wirkten auf den Betrachter wie ein unvollständiges Puzzle, dessen Teile verstreut und doch geordnet vorzufinden waren. Eine schmerzvolle Kunst blickte mir schweigend entgegen, und noch herzzerreißender ließ sie diese wirken, da ich allein in jenem Raum stand und genau wusste, dass ich Sam nicht helfen konnte. Ihr hinterher zu eilen erschien unmenschlich und hoffnungslos zugleich. Sie brauchte nun ihren persönlichen Raum, um geschehene Aktionen verarbeiten zu können. Keinesfalls würde sie es freuen, wenn ich ihr ihre Freiheit nehmen würde, indem ich versuchte ihr Trost zu spenden.

Deshalb machte ich mich an das Aufräumen dieses Massakers und gab mein Bestes, nicht weiter über die dunkle Tiefe, welche diese Wohnung momentan einnahm, nachzudenken.

Doch so sehr ich es auch versuchte, jegliche Gedanken aus meinem Kopf fernzuhalten; es gelang mir einfach nicht. Mit jedem Schritt spürte ich sich die Einsamkeit in Form von feinen Schnittwunden in meine Fußsohle bohren. Zwar hatte ich meine Verletzungen verarztet, doch eine sofortige Heilung war keinesfalls möglich.

Mit viel Sorge in der Brust schmiss ich den Lappen in seinen Eimer, stand eifrig von dem nassen Boden auf, den ich soeben gewischt hatte, und stürmte in Richtung Balkon, auf welchen Sam entflohen war.

Wegweisend folgte ich ihren kleinen Spuren des Blutes, welche noch immer leicht den Boden brandmarkten. Tatsächlich wusste ich überhaupt nicht, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie mich von sich gestoßen hatte, da mir jegliches Zeitgefühl komplett verloren schien. Dieser Fakt ließ mich jedoch keinesfalls zögern, endlich nach ihrem Wohlbefinden zu sehen.

Meine Lungen atmeten erleichtert aus, als ich sie an dem Geländer der Terrasse stehen sah. In meinen schlimmsten Gedanken hatte ich mir einen Selbstmord ihrerseits ausgemalt, durch unüberlegtes Springen aus jener Höhe. Dies erschien emotional sehr übertrieben, jedoch konnte ich die Trauer dieser Lage nur schwer einschätzen, da ich deren zuvoriges Leben nicht kannte. Ohne Zweifel wäre ich ihr in das Grab hinterher gesprungen, so abhängig war ich abermals von ihr.

Ohne sie war ich gar Nichts; und dieser Fakt wurde mir viel zu oft vorgehalten, als würde ich in einen trüben Spiegel blicken, doch nichts zu Gesicht bekommen, als meinen inneren Gefühlszustand. Jeglicher Gedanke an meine Abhängigkeit von ihr verpasste mir leichten Herzschmerz. Ich hatte mir schon so oft geschworen, niemals abhängig von etwas zu sein, da dies das Leben immens einschränken konnte. Und nun war ich es erneut. Es verwirrte mich sehr, doch zugleich genoss ich jeden Moment, den ich mit Sam verbringen durfte.

Als ich die Tür zum Balkon durchlief blickte Sam kurzzeitig auf. Ihr Geist schien sich beruhigt zu haben, trotz dessen, dass ich noch immer ein wenig Aufruhr ihrerseits verspürte. Langsamen Schrittes ging ich auf sie zu, genauestens jede Bewegung Sam's beobachtend, da ich nicht wollte, dass sie mich abermals von sich stieß. Als ich meine Hand an ihren Rücken legte, schien ich eine leichte Gänsehaut an ihrem Körper auszulösen. Sofort nahm ich meine Hand von ihrem Körper und entfernte mich einen Schritt von ihr.

»Es tut mir leid«, flüsterte ich.

Kurz hob sie den Kopf und musterte mich intensiv.

»Was tut dir leid?«, fragte sie dann verwundert.

»Na dass ich der Grund bin, weshalb dein Leben so chaotisch ist. Du hattest vorab volle Kontrolle und diese habe ich innerhalb kürzester Zeit zerstört.«

Sam lachte. Dann näherte sie sich mir und strich besänftigend eine Haarsträhne hinter mein Ohr.

»Nein.«, war alles, was ihr über die Lippen kam. Als sie meine Verwirrung wahrnahm, zeigte sich ein leichtes Lächeln auf jenen vollen Lippen, welche ich im Unterbewusstsein bereits liebkosend schmeckte.

»Du hast mein Leben sehr viel besser gemacht.«, sagte sie nun bestimmt und blickte mir dabei tief in die Augen.

Ihre tiefen ehrlichen Emotionen zerrissen mich fast in jenem Moment. Ich sollte diejenige sein, welche Sam tröstete und ihr Halt schenkte, doch abermals handelte ich egoistisch und konnte nichts dagegen tun. Ihre Worte berührten mich in meinem Innersten, doch zugleich schmerze der Ausdruck in ihren Augen. Sie meinte jedes Wort ernst, doch noch immer schien so viel Einsamkeit darin.

Ohne zu zögern streckte ich meine Gliedmaßen nach ihrem Körper aus und bekam sie sicher zu fassen.

Liebevoll zog ich sie in meine Arme, und diesmal ließ sie die Berührung dankend zu. Ihr Gesicht vergrub sie an meiner Halsbeuge, was mir ein wohliges Lächeln entlockte. Sanft ließ sie ihre Finger unter meine Stoffjacke gleiten, um diese hinter meinem Rücken zu verschränken. Sam's Stimmungsschwankungen verwirrten mich sehr, doch ich war froh, dass sie den ersten Schmerz überwunden zu haben schien.

»Hey Süße«, flüsterte ich nach kurzer Zeit beschwichtigend.

»Hmmmmm?«, murmelte sie abwesend. Es schien, als wäre sie in einer parallelen Welt gefangen, und keine Menschenseele konnte sie dort heraus locken.

»Lass uns rein gehen, dir ist sicherlich kalt?!«

»Mir ist nicht kalt, ich habe ja dich, und du bist seeehr heiß.«

Bei dieser Aussage wurde es mir sehr warm ums Herz. Ein freches Lächeln zeigte sich leicht an meinen Mundwinkeln. Ich dachte darüber nach, ihre Aussage neckisch zu kommentieren, verwarf diesen Gedanken jedoch schnell wieder.

Ich wollte mich endlich nach Drinnen begeben. Keinesfalls war es meine Absicht, mich von Sam zu entfernen, doch langsam aber sicher konnte ich Regenwolken am Himmel ausmachen. Eine Erkältung wäre für Sam nun noch die Krönung.

»Heyyy, meine Körperwärme braucht sich langsam aber auch auf.«, erwiderte ich also lachend, um ihr deutlich zu machen, dass sie nun endlich ihren Arsch hinein bewegen sollte.

Daraufhin lösten sich Sam's Arme tatsächlich von mir. Schade, dass dieser innige Moment nun ein Ende gefunden hatte. Kaum hatte sie sich von mir entfernt, kehrte sie zu meiner Überraschung sowie wahrhaften Freude zurück in die Umarmung.

Doch anstatt ihre Finger unter meine Jacke gleiten zu lassen, war sie tatsächlich noch eine Ebene tiefer gerutscht. Die Sanftheit ihrer Finger glitt verlockend über meine weiche Haut. Damn, wieso spielte sie bloß schon wieder mit mir? Soeben noch hatte sie der Schmerz vollkommen eingenommen, und nun öffnete sie sich mir abermals komplett.

»Ich bleibe.«

Ein zufriedenes Glucksen entwich Sam's Kehle, welches ihren Triumph über mich vertonte.

Ich war nun vollends erstarrt unter ihren Berührungen und jenem verborgenen Blitzen in ihren Augen, welches sie in jenem Moment allein mir schenkte.

★? Danke!

roses are slowly dyingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt