00. Sternschnuppenwünsche

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Du denkst nicht mehr oft an Ryuga, eigentlich gar nicht mehr. Es ist mittlerweile so viel Zeit vergangen, seit er urplötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden ist und bis auf das Gerücht, dass er angeblich einen verbotenen Bey aus Koma Village entwendet haben soll, hast du danach nichts mehr von ihm gehört. 
Selbst Ryuto, sein kleiner Bruder, für den Ryuga früher wortwörtlich durchs Feuer gegangen wäre, weiß nicht mehr als du.

Mittlerweile habt ihr beide die verzweifelten Versuche, herauszufinden, was er nun macht und wo er ist, fast gänzlich aufgegeben und euch damit abgefunden, dass er inzwischen anscheinend komplett untergetaucht ist.

Anfangs ist es unglaublich schwierig gewesen, loszulassen, vor allem für Ryuto. Er hat einfach nicht mit der Suche aufgeben wollen und sich am Ende so sehr in die Sache hineingesteigert, dass er noch weniger geschlafen und gegessen hat als eh schon, bis du um seiner Gesundheit willen eingegriffen hast. 

Obwohl ihr nicht miteinander verwandt seid, gehört Ryuto für dich zur Familie, ihr seid schließlich miteinander aufgewachsen und gerade nachdem ihr zwei Ryuga verloren habt, ist eure Beziehung nur noch stärker geworden. Er ist wie ein Bruder für dich und du wie eine Schwester für ihn. 
Genau deshalb schafft ihr es trotz unterschiedlicher Kontinente, weiterhin regelmäßig Kontakt zu halten – überwiegend per Nachrichten, ihr telefoniert öfter allerdings auch und ab und an besucht ihr den jeweils anderen sogar, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet.

Wie heute zum Beispiel. Du bist extra von Japan nach Afrika gereist, um Ryuto zu besuchen, denn ihr habt euch eurer Meinung nach schon viel zu lange nicht mehr persönlich gesehen.
Nun sitzt ihr beide nach einem anstrengenden Tag – Ryuto ist wirklich ein absolutes Energiebündel, wie du heute wieder hast feststellen müssen – auf einem Berg und blickt gedankenverloren hinauf in den klaren Sternenhimmel. 

Eigentlich liebst du diesen wunderschönen Anblick und könntest ihn stundenlang genießen, dennoch verbindest du Erinnerungen mit ihm, die dich melancholisch werden lassen. In solchen Momenten denkst du zum Beispiel wieder an Ryuga, heute vor allem, wo förmlich sein junges Ebenbild neben dir dahockt. 

Früher haben Ryuga und du euch nachts extra herausgeschlichen, um die Sterne zu beobachten – er ist damals total fasziniert von ihnen gewesen und dir hat die Sicht ebenso gefallen. Ihr habt eure Eltern damit in den Wahnsinn getrieben, sie sind immer total in Sorge gewesen, dass euch etwas in der Dunkelheit passieren könnte. Schlussendlich haben sie mit dieser Annahme tatsächlich Recht behalten.
Falls ihr ausnahmsweise Zuhause geblieben wärt, wäre der unheimliche Kerl, der dir merkwürdig bekannt vorkam, euch wahrscheinlich niemals begegnet und Ryuga nicht am anderen Tag verschwunden. 

Du kriegst nur noch extrem vage zusammen, wie der Typ ausgesehen und was er gesagt hat und trotzdem weißt du genau, dass du ihn sofort wiedererkennen würdest. Er hat etwas Finsteres an sich gehabt, das man einfach nicht übersehen kann.

„Was denkst du, wie es ihm geht und was er gerade macht?", unterbricht Ryuto irgendwann deine Gedankengänge und die Stille zwischen euch. 

Dir ist sogleich klar, wen er meint, das verrät alleine sein gebrochener Tonfall, der ihn so viel älter klingen lässt als er eigentlich ist. So redet er immer, wenn etwas mit seinem Bruder zu tun hat und dir wird jedes Mal in solchen Momenten das Herz schwer. Ryuto ist doch noch so jung und hat für sein Alter viel zu viel durchgemacht.
Du kannst nur erahnen, wie er sich fühlt. Im Gegensatz zu ihm hast du nur einen Freund verloren, er einen Bruder. Ein wichtiger Teil von ihm fehlt und hat eine tiefe, klaffende Lücke hinterlassen. 

„Ich habe keine Ahnung, was er momentan tut. Dennoch bin ich mir sicher, dass es ihm gut geht. Ryuga ist stark und kann auf sich aufpassen, das weißt du."
Passend zu deinen Worten schenkst du Ryuto einen zuversichtlichen Blick und legst ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter. Du willst ihm so viel Kraft geben, wie es dir möglich ist. 

Kindheitsträume - I. Versprochen ist versprochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt