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"Was willst du hier?", fragte ich überrascht. "Deine Mutter hat mir bescheid gegeben.", sagte er und setzte sich auf einen Stuhl, den er davor an mein Bett gestellt hatte. "Ja und?", sagte ich schnippisch. Ich wollte meinen Vater nicht sehen, und er mich normalerweise auch nicht.

"Sei nicht so frech.", sagte er. "Bitte geh jetzt.", sagte ich kalt. "Geh!", wiederholte ich nach einiger Zeit etwas lauter, als er keine Anzeichen machte, zu gehen.

Plötzlich sprang er vom Stuhl auf, sodass dieser nach hinten kippte und sagte, seine Wut unterdrückend: "Dann ritz dich doch weiter und schmeiß dein Leben weg. Ich werde dich nie wie eine richtige Tochter lieben können, du bist mir einfach nur egal." Und damit ging er. Und was ließ er zurück: ein Haufen Elend, was noch stärkere Selbstmordgedanken hatte als zuvor. Desinfektionsmittel schlucken? Aus dem Fenster springen? Ich bin schließlich im dritten Stock und wenn man ungünstig, sehr ungünstig landet, dann könnte das etwas werden. Oder lieber doch nochmal Pulsadern aufschneiden? Zu viele Tabletten schlucken? Oder sich gleich erhängen? Kugel in den Kopf jagen? Mir fielen in dem Moment so viele Selbstmordversuche ein, die ich alle wahrscheinlich nicht tun würde. Denn ich war ein feiges Stück Scheiße, was sich fast nichts traute. Immer mehr und mehr glaubte ich den Worten meines Vaters und wurde immens traurig. Ich dachte darüber nach, dass es eigentlich für jeden eine Erleichterung war, würde ich sterben. Doch dann verwandelte sich meine Trauer in Wut. Wut auf meinen Vater, auf meine Mutter, auf mich selbst, auf meine Mitschüler, meine Lehrer, auf die ganze Welt. Ich stand auf und trat gegen den Stuhl, der einsam auf dem Boden lag. Ich betrachtete die Blumen. Sie blühten. Noch. Irgendwann würden sie verwelken, wenn man ihnen nicht genug Wasser gab, und es war vorbei mit ihnen. Mir hatte man seit langer Zeit kein Wasser mehr gegeben, und ich war verwelkt. Innerlich. Seelisch. Aber das interessierte niemanden, und die Leute, die nachfragten, sich ein bisschen sorgen machten, angeblich, kümmerten sich in Wirklichkeit einen Scheißdreck darum, was mit mir passieren würde. Es war eine reine frage von Höflichkeit, sich für mich  zu interessieren.

Die meisten Leute waren viel zu höflich, bzw. viel zu neugierig. Die Neugierigen nervten die ganze Zeit, aber irgendwie schafft man es immer, sie abzuwimmeln. Ich habe es bis jetzt immer geschafft. Kathy, du kannst stolz auf dich sein.



Ich schrack auf, als mein Handy piepte. Eine neue SMS.

"Kathy, kann ich dich besuchen kommen? Jonathan."

Ich frage mich immer noch, woher er meine Nummer hatte. Aber mir war im Moment alles egal, also schrieb ich zurück. Und es fiel sogar sehr positiv aus, was ich geschrieben hatte. Wow.

"Komm doch. Ist mir egal."

Na ja, für mich, momentan, in diesem Zustand, sah diese Nachricht positiv aus. Egal.

"Bin in einer Minute da.", schrieb er sofort zurück. Irgendwie hatte ich Angst. Angst vor der Begegnung mit Jonathan.

Was dachte ich da?

Es klopfte an der Tür und ich schrie "Herein!" und keine Sekunde später stand Jonathan im Raum.
Er sah sich im Raum um und dann fiel sein Blick auf den Stuhl, der auf dem Boden lag. Er hob ihn behutsam auf und setzte sich darauf. Ich schaute ihn an.
"Alles ok?", fragte er mich mit einem echt gutem Pokerface. "Klar." Meine stimme klang brüchig, als würde sie nicht zu mir passen. Plötzlich fing ich an zu schluchzen.
"Ich will das nicht mehr!", sagte ich leise und presste meine Hände vor meine Augen, die plötzlich Tränen ausspuckten, die ich nicht dahaben wollte.
"Ich will..", schluchzte ich. Nach einer Weile beendete ich den Satz. "..einfach nur sterben." Dann fing ich unkontrolliert an zu weinen. Ich konnte nicht mehr aufhören, ließ alles raus, was mich je bedrückte, durch weinen.

,Tränen zeigen Schwäche', sagte meine innere Stimme verächtlich, daraufhin musste ich noch mehr weinen, so viel es ging, und schrie "Ich weiß! Ich weiß doch!"

Nach ungefähr einer halben Stunde hatte ich aufgehört zu weinen und Jonathan hatte kein Wort gesagt. Meine Augen waren vom vielen Weinen geschwollen und taten weh.

"Es tut mir leid.", sagte er aufeinmal. Dann stand er auf. "Ich kann das nicht." Ich schaute ihn an.
"Ich auch nicht.", sagte ich und er ging. Depressive Stimmung on.

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Natürlich brauchte ich für dieses Kapitel liedliche Unterstützung:

Nightcore - Back to december

Nightcore - Fifteen

Wenn ich Bock habe, geht's morgen weiter. Tschau.

[Überarbeitet am 17.04.2018]

The Badboy and the suicide girl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt