Das erste Tröten des Jagdhorns ertönte und die Treiber liefen los. Diese waren dafür da das Wild ein zu kreisen, damit es später einfacher zu finden war. Sie waren nun schon so weit in den Wald gelaufen, dass man das Fiepen und Bellen der Hunde kaum noch wahrnehmen konnte. Auch hier wurde es unruhig, ein paar übereifrige junge Herren versuchten sich noch einen besseren Platz zu verschaffen. Es wurde geschoben und gedrängelt. Doch Amalie hielt sich im Hintergrund, sie hielt nicht viel von der Jagd. Ihr Blick schweifte umher und sie bemerkte, dass Graf Konstantin nicht mehr neben ihr stand. Sie konnte ihn nirgendwo entdecken.
Das Horn ertönte erneut und die Reiter galoppierten los. Alle außer Amalie.
Sie wartete bis alle Reiter fort waren und ritt dann in einem gemütlichen Trapp los.Sie ließ ihrem Pferd freie Hand. Was würde sie jetzt alles dafür geben, ihren unpraktischen Damensattel gegen einen Herrensattel zu tauschen. Der Damensattel gab ihr kaum genug Freiraum, um schneller zu reiten. Einige Male hatte sie es schon getan und so tat sie es auch wieder, sie schwang ohne groß darüber nachzudenken ihr rechtes Bein über die Halterung und fiel in einen schnelleren Trapp. Es war definitiv nicht angenehmer, aber dennoch.
Als sie über eine kleine Lichtung galoppierte, schloss sie ihre Augen und breitete die Arme aus. Der Wind ließ ihre Haare wild herumwirbeln, so dass es den Anschein hatte als bestünden ihre Haare aus vielen kleinen züngelnden Flammen, die sich dem Wind entgegenstreckten. Sie rutschte, so weit es ging, nach vorne, so dass sie sich etwas nach hinten fallen lassen konnte. Zu selten hatte sie die Gelegenheit so zu reiten. Es war als stünde ihr Herz in Flammen. Ihr Lachen schwoll an und sie blickte nach oben in den Himmel. Die Bäume zogen über ihr vorbei. Sie nahm Vogelgezwitscher war, was in ihren Ohren wie das schönest Geräusch der Welt klang. Sie schloss die Augen, bis ein markerschütternder Schrei die Luft zerriss.
Japsend richtete sich auf. Das Korsett hatte sich, trotz dem heimlichen Lockern, in ihren Rücken gegraben. Amalie wendete ihr Pferd und galoppierte auf das Geräusch zu. Nach wenigen Metern vernahm sie nur noch ein Schluchzen.
Wäre es nicht so schrecklich, hätte dieses Bild, was sich ihr bot, wahrlich Preise gewonnen. An einem sehr kleinem Fluss oder fast eher einem kleinen Bach, der sich wie eine Schlange um einen alten Linde bog, lag ein Mann mit einer Hand auf seinen Bauch gepresst. Es sah aus wie ein wunderschönes Gemälde. Doch sein Japsen war das einzige Geräusch, was noch von ihm ausging.
Sein Hund lief wild jaulend um ihn herum, so dass das Pferd von Amalie scheute.
Wenige Sekunden später knackten neben ihr Äste und ein weiterer Reiter erschien. Dieser sprang von seinem Pferd und eilte auf den Mann zu. Es war Graf Konstantin der sich über den armen Mann beugte. Der Graf hievte den Mann hoch, so dass dieser sich an den Baum lehnen konnte. Er hatte kaum noch Kraft sich zu halten. Seine Hand wurde immer schlapper, so dass sie von der wunde hinab rutschte. Ihr Pferd schien sich wieder beruhigt zu haben und so konnte auch sie absteigen.
„Legen sie den Mann wieder hin, Graf. Diese Position ist viel zu Kraft raubend für seinen Zustand." Er blickte auf, als bemerke er sie erst jetzt.
„Und woher wollen Sie das wissen? Bitte verzeihen Sie mir, aber gerade in dieser Situation sollten Sie ihr Ego beiseite lassen. Es ist gerade wirklich nicht an der Zeit so um meine Aufmerksamkeit zu ringen. Madame es gibt wirklich Wichtigeres als Sie."
Ihr stockte der Atem. Dachte er wirklich so über sie? Dachte er wirklich sie wäre eins von solchen Mädchen? Auf einmal spürte sie ihr Herz schwer werden. Doch dieses Gefühl schüttelte sie schnell ab. Er durfte nicht eine solche Macht über sie besitzten und wie er eben selbst sagte, es ging über diesen verletzten Mann. Um niemanden sonst. Also stieg sie ab. Das Korsett drückte sich tiefer in ihren Rücken. Doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Er hielt sie doch jetzt schon für eine dieser verweichlichten Frauen, was würde er dann erst von ihr halten, wenn sie sich wegen ihrem Korsett beklagte. Sie ließ sich neben Graf Konstantin nieder und drückte ihn, etwas fester als nötig zur Seite. Ihre Lippen waren verbissen aufeinander gepresst. Vorsichtig die Schultern umfassend, ließ Amalie den Mann auf die Seite gleiten. Der Treiber war schwerer als sie gedacht hatte. Ohne sich von dem Gerde des Grafen zu beirren, legte sie ihm erst den einen Arm angewinkelt unter den Kopf und klappt seine Beine an. Den anderen Arm legte sie vor ihm hin. Sie blickte in die aufgewühlten grünen Augen von Graf Konstantin. „Ich habe ihnen nicht gestatten das zu tun." Der Treiber begann zu würgen und sich zu erbrechen, das Erbrochene lief ihm den Hals hinunter und blieb in seiner Armbeuge liegen.
„Und seit wann brauche ich ihre Erlaubnis, um etwas zu tun. Oh, verzeihen Sie mir Graf, ist das beim Helfen anderer anders? Heißt das, falls wieder jemand in Not ist, sollte ich ihn an seinem Erbrochene ersticken lasse, weil ein feiner Herr meint, er könne es besser?"
„Er hat sich erbrochen, Madame, das haben Sie wirklich gut hinbekommen!"
Sie schnaubte. „Er hätte sich so oder so erbrochen, das einzige, was ich verändert habe, war, dass er nun keinen abgeknickten Hals mehr hat und so nicht an seinem eigenen Erbrochenem erstickt ist."
Er rappelte sich auf und wollte ihr die Handreichen, als er sah, wie sie bei der Bewegung zusammenzuckte. Ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut.
„Tun sie sich keinen Zwang an!"
Sie war wütend auf sich selbst, wütend auf ihn. Das war alles zu viel für sie.
Aber am meisten ekelte sie sich vor sich selbst. Wie konnte sie denken, dass er sie interessant fand oder gar mögen könnte. Und das alles nur, weil sein wunderbarer Atem ihre Wange gestrichen hatte.
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Amalie
Historical FictionEr blickte sie an, doch Amalie erwiderte nichts. Sie versuchte sich mit versteinerter Miene auf die Ansprache, die ihr Vater gerade hielt, zu konzentrieren. Er beugte sich etwas zu ihr nach vorne, so dass sie einen zarten Duft von Zedernholz wahrnah...