Aufmerksamkeit

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Cassian

Ich war der letzte, der im Klassenzimmer sitzen blieb, um mich um meine Matheaufgaben zu kümmern. Wie meistens verstand ich nur Bahnhof und am liebsten hätte ich es gar nicht getan. Doch was tat man nicht alles für eine durchschnittliche Note auf dem Zeugnis?

Ich bemerkte nicht, dass jemand durch die geöffnete Klassentür trat und auf mich zu kam. Erst als mir ein Schauer über den Rücken lief und zierliche Finger sich um mein Kinn legten, wurde mir klar, dass ich meine Matheaufgaben vergessen konnte. Die Hand schob mein Kinn etwas nach oben. Ich sah den Jungen an. Seine weißen Haare waren nicht gemacht, sie hingen ihm im Gesicht.

„Hast du dich etwa verliebt?" Er begutachtete die roten Flecken auf meinem Hals, zog mit dem anderen Zeigefinger den Kragen meines Hemdes etwas hinunter, um auch die restlichen Hinterlassenschaften zu begutachten.

„Wie kommst du darauf?" Ich sah ihn an. Seinen Blick konnte ich nicht deuten. Dennoch fühlte ich mich mutig. Ich würde nicht nachgeben. Diesmal nicht. Wenn er spielen wollte, dann bitte. Lass uns spielen, geliebter Teufel, der sogleich der schönste aller Engel war.

„Sagtest du mir nicht, dass du nicht mit jemandem ficken willst, für den du keine Gefühle hast? Also schlussfolgere ich, dass du jemanden gefunden hast, den du magst."

„Wer sagt denn, dass ich mit jemandem ficke?" Ich sah ihn herausfordernd an.

Er erwiderte meinen Blick. „Cassian. Das ist so unglaublich offensichtlich." Er lachte auf.

„Gut. Dann ist es eben so. Wo liegt das Problem?" Ich zuckte mit den Schultern.

Milo ließ von meinem Kinn ab und setzte sich vor mir auf den Tisch. „Es wundert mich nur. Bei den Blicken, die du mir immer zuwirfst, hätte ich gedacht, dass du eher zu mir kommst, wenn du deine Jungfräulichkeit verlieren willst." Während er sprach, war für einen kurzen Augenblick ein merkwürdiger Unterton zu hören, von dem ich nicht wusste, wohin ich ihn zuordnen sollte.

„Du hast einen festen Freund, Milo."

„Wie ich bereits gesagt hatte, er müsste es nicht erfahren", antwortete er trocken und überschlug seine Beine. Seine nackten Knie sahen so hinreißend aus, als er so dort saß.

„Und ich verstehe immer noch nicht, wieso du noch mit ihm zusammen bist, wenn du doch nur mit anderen in die Kiste hüpfst."

„Wieso? Du bist doch auch nicht besser? Du schläfst auch mit einem Fremden."

Woher...?

Er beugte sich zu mir vor. „Cassian..."

So wie er meinen Namen aussprach. Eine Gänsehaut überfuhr meinen ganzen Körper.

„Ich habe meine Kontakte. Natürlich weiß ich, wer deine Jungfräulichkeit hat."

Ich schnaubte leise. „Trotzdem habe ich keinen Freund, den ich mit Vergnügen betrüge."

„Aber du betrügst dich selbst. Oder etwa nicht?" Er erhob sich von meinem Tisch. „Denk darüber nach, mein Lieber." Er schlenderte in Richtung Ausgang. „Oh! Eigentlich wollte ich fragen, ob du nicht ein wenig mehr Zeit mit mir verbringen möchtest."

Ich zögerte. Dafür war ich dann doch zu schwach. Er machte mich schwach. So unglaublich schwach. Am Ende hatte er mich eben in der Hand. Ich war seine Marionette. Genau wie Lennox. „Gerne." Ich schenkte ihm ein Lächeln.

Er erwiderte es kurz, ehe er mich allein ließ.

Seine Blicke wurden wieder mehr. Diese kalten Blicke, die ich so sehr vergötterte. Er beobachtete mich. Jeden Schritt, den ich tat. Jedes Gespräch. Mir war klar, dass er es wusste, wenn ich zu dem Helden ging. Und der Gedanke gefiel mir. Es gefiel mir, dass er wusste, dass mein Körper jemand anderes gehörte. Zumindest für Augenblicke, Momente. Denn dadurch bekam ich seine volle Aufmerksamkeit. Und seine Aufmerksamkeit war so viel besser als der Sex mit einem Fremden. Der Fremde war das Vorspiel, während die Aufmerksamkeit, die bohrenden Blicke, die so zufälligen Begegnungen und kurzen Gespräche mit Milo der eigentliche Akt waren.

Da war er wieder. Der süße Schmerz. Der Duft von Rosen. Sie Fesseln zogen sich fester. Bald war ich dort angelangt, wo ich von Beginn an hin wollte. Immer näher kam die Hölle. Der gefallene Engel zerrte an den Ketten. Bald würde ich ihm endgültig zu Füßen liegen. Mich treten lassen. So sehr sehnte ich es herbei. Die Hölle, die so kalt und doch so heiß war. Die Hölle, wo der Schmerz wie eine Belohnung schien. Umschließe mich mit deinen Armen, Geliebter. Sag mir, dass ich dir gehöre. Dir allein. Und ich tue alles für dich.

Milo [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt