Blutige Fäuste

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Cassian

Es lief langsam über meine blasse Haut. Ich schmeckte es. Seine Fingerknöchel waren rot gefärbt. War es sein Blut? Oder mein eigenes? Es vermischte sich mit seinen Tränen, die auf mein Gesicht tropften, obwohl ich dieses vergeblich mit meinen Armen zu schützen versuchte. Dennoch trafen seine Tränen mich immer wieder. Seine Tränen und seine geballten Fäuste. Sie flogen immer und immer wieder auf mich. Immer wieder. Immer wieder.

Ich sollte in Zukunft meine Wünsche wirklich mit Bedacht äußern. Physischer und psychischer Schmerz. Beides war nicht mein Ding. Wirklich nicht... Trotzdem würde ich diese Schmerzen immer wieder aufs Neue auf mich nehmen. Für meine Freunde. Für meinen Bruder. Für Milo.

„Aufhören...!", stieß ich hervor.

„Es ist deine Jacke!", brüllte er. Er schluchzte. „Deine verschissene Lederjacke!"

Natürlich war mir klar, wovon er sprach.

„Deine Schuld! Deine Schuld!" Seine Fäuste knallten links und rechts neben meinem Kopf auf den Boden. „Du hast ihn mir weggenommen!", schrie er mir direkt ins Gesicht, während er über mir hockte und heulte wie ein kleines Kind.

Ich ließ meine Arme sinken, sah den blonden Basketballkapitän an. „Es war seine eigene Entscheidung, Lennox", nuschelte ich, bespuckte ihn dabei versehentlich mit Blut. „Ich... hab ihn zu nichts gezwungen..."

Ich konnte mir gut vorstellen, wie Lennox sich gerade fühlte.

„Trotzdem hätte er mich nicht... wenn du nicht gewesen wärst... Wieso bist du aufgetaucht?!" Sein Körper bebte und immer wieder schlug er seine Fäuste auf den Boden. Er starrte mich wütend und unter Tränen an. Blutspitzer hatten sein Gesicht gesprenkelt.

Plötzlich ein eklig dumpfes Knacken. Wider Erwarten hatte er ein letztes Mal direkt in mein Gesicht gezielt. Da ich meine Deckung bereits aufgegeben hatte, war es ein Volltreffer.

Kurz darauf wurde sein Gewicht von mir gepflückt. „Bist du bescheuert?", hörte ich eine wütende Stimme. Eine mir sehr wohl bekannte Stimme. Die Stimme des Helden hatte sich in mein Hirn gebrannt, ich würde sie überall heraushören.

„Du solltest aufhören, irgendwelche Leute retten zu wollen", nuschelte ich. Schwerfällig rollte ich mich auf den Bauch, um langsam auf die Knie zu kommen. Keine gute Idee wie sich herausstellte. Ich klammerte mich sofort an das Hosenbein der schmächtigen Person, die vor mir stand. Alle um mich herum redeten und brüllten sich gegenseitig an. Ich verstand allerdings kein Wort. Ich wusste nur, dass mir kotzübel war und ich meiner Stütze direkt auf die frisch geputzten Schuhe reiherte.

Hatte ich es verdient? Verdient verprügelt zu werden? Verprügelt zu werden, weil ich mich in den Freund eines anderes verliebt habe? Verprügelt zu werden, obwohl ich seinen Freund nie wirklich angerührt habe? Nicht einmal ein Kuss. Kein Kuss. Kein Sex. Nichts. Wir haben einander die Hände gehalten. In den Armen gehalten. Aber es war nie etwas passiert. Hatte ich es verdient, nachdem ich klar gestellt hatte, dass ich niemanden unterstützten würde, seinen Freund zu betrügen? Hatte ich es verdient, weil ich die Liebe meines Lebens vor die Wahl gestellt hatte? Hatte ich die Schmerzen verdient? Dabei fühlte ich mich doch ohnehin schon elend. Wozu denn die Schläge?

Und obwohl ich deinetwegen verdroschen wurde, hörte ich nicht auf, dich zu lieben. Ich wusste nicht, wieso es dazu kommen musste, aber es war okay. Solang dir nichts passierte. Sollte er mich doch schlagen. Lieber mich als dich. Denn das hätte ich nicht ertragen. Ich hätte es nicht mit ansehen können, hätten seine Fäuste dich getroffen. Oh geliebter Milo. Ich würde alles für dich durchstehen. Versprochen...

Milo [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt