Bruce und Tony

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In Bruce Banner tobten die widersprüchlichsten Gefühle, als er auf Loki hinuntersah. Mehrere Minuten lang konnte er sich nicht rühren, und er versuchte, dem Chaos in seinem Inneren Herr zu werden. Etwas, das er eigentlich schon auf dem Weg hierher versucht hatte, denn Melinda hatte ihm gesagt, worum es ging.

Aber schliesslich siegte bei Banner – genau wie bei der jungen Agentin – das Mitgefühl. Es war eine Sache, einem Feind die Pest an den Hals zu wünschen... Aber eine ganz andere, wenn ihn die Pest dann auch tatsächlich erwischte – bildlich gesprochen. Zudem hatte Banner ja schon seinen ganz eigenen Triumph gehabt: er erinnerte sich zwar nur vage, aber trotzdem nicht ohne Befriedigung an den Moment, wo er Loki buchstäblich zu Boden geschmettert hatte.

Banner entschloss sich, entgegen Lokis Behauptung, dass es sinnlos sei, trotz allem zuerst zu einem Versuch mit einem irdischen Schmerzmittel. Nur gut, dass er Zugriff auf die wirklich starken Sachen wie zum Beispiel Morphium hatte. Aber es brauchte nicht viel, um zu erkennen, dass Loki sich nicht getäuscht hatte: die Droge erzielte keinerlei Wirkung.

«Dann bleibt nur noch eine Möglichkeit,» murmelte Bruce, während er sich schwer atmend wieder erhob. Melinda starrte ihn fragend und eindringlich an. Banner seufzte. «S.H.I.E.L.D. hat eine Regenerations-Kapsel entworfen, in der schwer verletzte Agenten mit sehr starken Schmerzen, bei denen die normalen Mittel nicht anschlagen, sozusagen in ein künstliches Koma versetzt werden. Das ist jetzt sehr vereinfacht ausgedrückt, denn das Ganze ist ein wenig anders als das, was man sich unter einem künstlichen Koma normalerweise vorstellt. Aber die Details sind ja uninteressant. Wichtig ist nur, dass dies vielleicht helfen könnte, Loki solange zu... stabilisieren, bis sein Körper sich von selbst erholt hat.» Dass dabei Alien-Technologie im Spiel war und die erste dieser 'Kapseln' erst vor wenigen Wochen fertig gestellt worden war, verschwieg Bruce. Es hatte keinen Sinn, Melinda unnötig zu verängstigen. Sie würde noch früh genug die genauen Details erfahren.

Das weitaus grössere Problem war im Moment, wie sie an eine der inzwischen drei fertiggestellten Kapseln herankommen wollten. Bruce wusste, dass die letzte davon noch bei Toni lagerte, denn der hatte sich anerboten, robotergesteuerte Funktionsarme einzubauen, die mittels Schallwellen und Laserstimulationen auf das Gehirn der Betroffenen einwirken und so eventuell die entsprechende Schmerzkommunikation löschen konnten. Aber Toni würde sicher wenig begeistert davon sein, dass sein erster Patient Loki war. Es sei denn...

Auf einmal musste Banner fast schmunzeln. Es sei denn, er verkaufte ihm Loki sozusagen als 'Versuchskaninchen'. Vielleicht würde er sich dann bereit erklären, ihnen zur Hand zu gehen.

Als er Melinda seine Überlegungen mitteilte, war sie zwar wenig begeistert davon, aber da sie auch keine andere Lösung sah, stimmte sie schliesslich zu, auch Toni Stark ins Boot zu holen. Ausserdem war ihr natürlich klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis alle von Lokis Anwesenheit erfuhren. Warum also nicht gleich? Und wenn sie ihn so zu Gesicht bekamen, würden sie vielleicht auch eher Mitgefühl als Groll empfinden.

Denn der ehemalige Todfeind bot wahrlich ein Bild des Elends: stöhnend, sich immer wieder hin- und her wälzend und mit weit geöffneten, schreckensstarren Augen musste man wirklich schon sehr abgebrüht sein, um bei diesem Anblick nicht wenigstens einen Hauch von Mitleid zu empfinden. Ausserdem – es fiel Melinda erst jetzt auf – hatte Lokis Haut eine seltsam gräulich-blaue Farbe angenommen. Zuerst versetzte es ihr einen Schock, denn sie fragte sich, ob das ein Vorbote des Todes war. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass Loki ja eigentlich gar kein Ase, sondern ein Jotunne war – und dass deren Haut eine gräulich-blaue Färbung aufwies.

Da Odin aber gesagt hatte, dass die Magie, die Lokis Aussehen dem eines Asen – oder Menschen – gleich sein liess, bleiben würde, war wohl davon auszugehen, dass es die Schmerzen waren, welche diese Magie aufhoben. Ob nur zeitweise oder dauerhaft, würde sich wohl noch weisen. 'Falls er das denn überlebt' schoss es Melinda durch den Kopf. Und sie ertappte sich dabei, wie ihr bei der möglichen Aussicht auf Lokis Tod beinahe übel vor Angst wurde.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Bruce endlich sein Telefonat mit Tony beendete. «Hilft er uns?» fragte Melinda atemlos, ehe Banner zu Wort kam. Der Mann seufzte leise und nickte dann. «Ja. Es hat mich zwar einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, aber Tony hilft uns. Er wird mit zwei seiner Roboter und der Kapsel in wenigen Minuten hier sein. Aber begeistert war er nicht gerade. Und er will Fury informieren, sobald wir Loki zu ihm in den Stark Tower gebracht haben.»

«Verstehe ich.» Melinda hatte mit nichts anderem gerechnet. Sie war sich zwar darüber im Klaren, dass dies kaum in Lokis Interesse sein konnte, aber so wie die Dinge standen, gab es sowieso keine andere Lösung. Wenn S.H.I.E.L.D. den Asen bloss nicht einfach auf Nimmer-Wiedersehen wegsperrte... Aber an sowas wollte sie jetzt nicht denken. Zumal es um Loki derart schlecht bestellt war, dass es wirklich ungewiss war, ob er überleben würde.

Wieder drohte ihr der Gedanke die Luft abzuschnüren, doch so sehr sie sich auch am liebsten selbst dafür geohrfeigt hätte: sie wollte sich Lokis Tod nicht vorstellen. Um sich abzulenken, versuchte sie wieder, beruhigend auf ihren Patienten einzureden. Und obwohl sie nicht damit gerechnet hatte, dass es etwas bewirken würde, schien ihr nach einigen Minuten, dass Loki tatsächlich etwas ruhiger wurde. Das erste Mal blieb seine Hand in ihrer liegen, als sie sie sanft drückte, und als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihm sagte, dass Hilfe im Anmarsch sei, war ihr einen Moment lang, als würde er ihre Worte tatsächlich aufnehmen.

Trotzdem war sie sehr erleichtert, als Tony und seine mechanischen Helfer schliesslich auftauchten. Selbstsicher, als wäre dies seine Wohnung, schritt Iron Man ins Schlafzimmer und besah sich den Patienten. Doch über sein eben noch verschlossenes und finster wirkendes Gesicht huschte bei Lokis Anblick dann doch sekundenlang eisiges Entsetzen. «Du meine Güte,» entfuhr es Stark, «was haben sie denn mit dem gemacht..?»

Er wusste es natürlich, denn Bruce hatte ihn informiert. Trotzdem hatte er sich das wohl nicht ganz so schlimm vorgestellt. Ohne weitere Zeit zu verlieren, gab Stark seinen Robotern Anweisung, den Mann vorsichtig in die Kapsel zu heben. Loki wehrte sich nicht, stöhnte aber laut auf, als er hochgehoben wurde. Sobald er in der Kapsel lag und diese verschlossen war, strömte ein bläulich schimmernder Dunst aus mehreren Düsen. «Hoffentlich betäubt ihn das jetzt.» murmelte Stark. Einen Menschen zumindest hätte das Zeug sofort ins Land der Träume gleiten lassen. Auch Loki entspannte sich in der Tat ein klein wenig – doch weder schlossen sich seine Augen, noch liess seine nach wie vor angespannte Körperhaltung darauf schliessen, dass er weggedriftet war.

Gemeinsam machten sich Tony, Bruce und Melinda mit ihrem Patienten auf zum Stark Tower. Die Fahrt dauerte nur knapp fünfzehn Minuten, doch es schien Melinda eine Ewigkeit zu dauern, bis das mächtige Wahrzeichen von Iron Man endlich vor ihnen auftauchte. Und sie ertappte sich dabei, wie sie inständig hoffte, dass man Loki hier helfen konnte.

Loki: The Dark Prince - Der dunkle PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt