Loki hätte nicht genau zu sagen vermocht, wie viel Zeit vergangen war, seit man ihn in sein neues 'Gefängnis' gebracht hatte. Aber er ahnte instinktiv, wer draussen vor der Tür stand, als die wuchtigen Schritte im Gang verebbten und sich der Schlüssel im rostigen Schloss drehte. Er merkte, wie er zu zittern begann, und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Was für ein erbärmlicher Feigling er doch geworden war! Aber so sehr er es auch versuchte: es gelang ihm nicht, seine Angst zu unterdrücken.
Als die Tür aufging und tatsächlich Thor langsam den Raum betrat, wich er unbewusst vor ihm zurück. Doch sein Bruder schien seine Furcht entweder nicht zu bemerken – oder es gelang Loki doch zumindest halbwegs, sie vor ihm zu verbergen.
Mit wenigen Schritten war Thor bei ihm und streckte die Hand nach ihm aus. «Loki...» begann er und geriet ins Stocken, als er das kreideweisse Gesicht seines Bruders sah.
Loki war noch weiter zurückgewichen, bis er an die Wand stiess. Sekundenlang kroch regelrechte Panik in ihm hoch... doch da spürte er, wie der Schock auf einmal durch eine bleierne Müdigkeit abgelöst wurde. «Hallo Thor,» versetzte er leise. «Du kannst loslegen. Ich werde brav sein und mir alles ruhig und ergeben anhören.» Er versuchte, wenigstens ein bischen Ironie in seine Stimme zu legen, hatte aber keine Ahnung, ob es ihm gelang.
Thor blieb verwirrt stehen. «Loslegen..? Womit denn?»
«Mit Spotten natürlich,» gab Loki zurück. Er atmete tief durch und schaffte dann sogar ein flüchtiges Lachen. «Oder hast du... was Handfesteres vor?»
«Loki...» Erst jetzt merkte der Angesprochene, dass der blonde Riese alles andere als aggressiv oder belustigt wirkte. Im Gegenteil: er sah beinahe.... zerknirscht aus. Fast hätte sich Loki die Augen gerieben. War es jetzt schon soweit, dass ihn seine Sinne narrten?
«Es... es tut mir leid, Loki!» sagte Thor da in die quälende Stille hinein. Seine Stimme schwankte. «Was ich dir angetan habe, meine ich. Ich hätte niemals...»
«Mir angetan?» Im ersten Moment begriff Loki nicht, wovon Thor sprach. Erst nach etwa drei Sekunden dämmerte ihm, was er meinte – und jetzt brach seine zynische Natur doch mit ihm durch. «Thor, komm, lass die Spielchen. Wir wissen beide, dass du ein erbärmlicher Lügner bist!»
Da packte ihn der blonde Hüne an den Armen. Dass Loki unter dem harten Griff aufstöhnte, merkte Thor in seiner Erregung nicht einmal. «Ich lüge nicht, Loki. Was ich getan habe... diese Peitschenhiebe... ich hätte niemals...» Er verhedderte sich und versuchte es nochmals. «Nie im Leben hätte ich das tun dürfen. Ich weiss nicht mehr, was in mich gefahren war.»
«Also, falls du mir doch was vorspielst, darfst du dir auf die Schulter klopfen, lieber Bruder: dann wäre ich nämlich gerade zum ersten Mal auf dich hereingefallen.» Loki stiess ein Lachen aus, dass mehr bitter als spöttisch klang, und fügte dann leise hinzu: «Falls du aber wirklich meinst, was du sagst, kann ich dich beruhigen: du hast nichts getan, was ich nicht verdient gehabt hätte.»
Thor starrte ihn an. Er starrte ihn an, als habe er einen gänzlich Unbekannten vor sich. Unwillkürlich machte er einen Schritt rückwärts und wollte etwas sagen, aber Loki kam ihm zuvor. «Es ist so, Thor. Und wenn du auch nur ansatzweise ahnen würdest, wie sehr das stimmt, würdest du dir keinen Kopf mehr machen deswegen. Aber wie auch immer...» Er wehrte ab, als Thor erneut auf ihn zutrat, «...das alles dürfte im Moment völlig nebensächlich sein. Denn momentan geht es um Wichtigeres. Aber ich gehe davon aus, dass du das schon weisst.»
In Thors Kopf schwirrte es, und er konnte nur benommen nicken. «Ja, die Avengers haben mich schon in alles eingeweiht. Auch dass du es gewesen bist, der ihnen die Sache mit Hydra und dem Hive verraten hat.»
«Reiner Selbstzweck,» meinte Loki säuerlich. «Ich mag nicht auf einer Welt feststecken, in der eine verrückte Kree-Schöpfung die Herrschaft ausübt.»
Thor warf ihm einen langen und sehr nachdenklichen Blick zu. «Ist das wirklich der einzige Grund, warum du ihnen hilfst?» fragte er, murmelte die Worte aber so leise, dass er dabei mehr zu sich selbst sprach. Loki hatte sie dennoch gehört, verkniff sich aber eine Antwort. Seine Beweggründe waren genauso egal wie Thors – unnötige – Gewissensbisse. Jetzt ging es wirklich um Wichtigeres.
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Loki: The Dark Prince - Der dunkle Prinz
ChickLitEr ist die grösste Bedrohung, der die Menschheit bisher ins Auge blicken musste. Der schlimmste Feind, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Doch Agentin Melinda Crave kann nicht verhindern, dass sie von Anfang an dem Bann des geheimnisvolle...