Sorge um den kleinen Bruder

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«Thor!» Odin warf seinem Sohn einen forschenden Blick zu. Er hatte ihn soeben das dritte Mal angesprochen, ohne dass der blonde Hüne reagiert hätte. Jetzt, als Odins Stimme lauter geworden war, schreckte Thor endlich auf. «Ja, Vater?»

«Was ist mit dir?» Odin neigte sich nach vorn und versuchte im Gesicht seines Sohnes zu lesen. Auch Frigga hatte ihr Besteck jetzt hingelegt und musterte die beiden Männer am Tisch fragend. «Du scheinst gerade ganz woanders zu sein.»

«Es...» Lustlos stocherte Thor in seinem Essen. «...ich bin nur ein wenig müde, das ist alles.»

Sein Ältester war noch nie ein guter Lügner gewesen, und auch diesmal merkte der Allvater sofort, dass Thor schwindelte. «Raus mit der Sprache, mein Junge: was ist los? Du bist schon seit Tagen so komisch.»

«Frag mich bitte nicht, Vater,» antwortete Thor gequält. «Du wirst nicht hören wollen, was mich beschäftigt.»

«Geht es um Loki?» Frigga, die wie immer ein feines Gespür hatte, insbesondere wenn es um ihre Söhne ging, legte ihre Hand auf Thors Arm. Betrübt stellte sie fest, dass er leicht zusammenzuckte – es sagte ihr genug.

«Mutter, bitte...»

«Loki?» Odin runzelte die Stirn. «Ich wünsche den Namen eigentlich nicht mehr zu hören.»

Frigga zog scharf die Luft ein. «Er ist immer noch unser Sohn, Odin!»

«Was mich anbelangt, so...»

«Sprich es besser nicht aus!» So laut und bestimmt hatte Thor seine Mutter noch selten reden hören. Verwundert starrte er sie an. «Sag nichts, was du irgendwann bereuen könntest!»

Um die Aufmerksamkeit seines Vaters wieder auf sich zu lenken, zwang sich Thor, zumindest einen Teil der Wahrheit preiszugeben. «Ja, es geht um Loki.» meinte er leise. «Ich mache mir... Sorgen um ihn.» Als er den verblüfften – und irritierten – Blick seines Vaters auffing, setzte er rasch hinzu: «Schliesslich weiss ich genau, wie es ist, auf Midgard als ganz gewöhnlicher Sterblicher leben zu müssen. Das ist nicht besonders lustig. Und in Lokis Fall...» Er brach ab und biss sich auf die Lippen. In Lokis Fall war es sogar noch weitaus weniger lustig, denn Loki würde von allen als Feind betrachtet werden. Er, Thor, hatte ja immerhin Unterstützung und sogar Freunde gefunden. Aber Loki würde wohl kaum soviel Glück haben.

Doch das war natürlich bei weitem nicht alles. Was ihn weitaus mehr quälte, war das, was er Loki angetan hatte. Und da er es nicht mehr gewagt hatte, zu Heimdall zu gehen, wusste er auch nicht, wie es um Loki stand. Zwar hatten Melinda und sogar Iron Man und Bruce Banner versucht, ihm Hilfe zu leisten... Aber erstens wusste Thor nicht, ob sie es auch geschafft hatten, und zweitens bedeutete das ja sicher nur, dass sie ihn einfach nicht elend hatten krepieren lassen. Wo und was er inzwischen war - wenn er denn noch lebte! - wusste Thor nicht. Dass Loki als Gefangener von S.H.I.E.L.D. in irgendeinem Loch schmachtete, war dabei eine der grössten Wahrscheinlichkeiten. Doch noch andere, schlimmere Befürchtungen tobten in ihm. Trotzdem waren all die quälenden Vorstellungen immer noch besser als die Wahrheit, vor der sich der blonde Donnergott schlicht entsetzlich fürchtete. Er schalt sich selbst einen elenden Feigling, aber die Angst, von Heimdall etwas Schreckliches zu hören, überwog, und so zog er im Moment lieber die Ungewissheit vor... Auch wenn sie ihn aufzufressen drohte.

Frigga stiess Odin unter dem Tisch mit dem Fuss an, und der Allvater wusste sofort, was sie von ihm wollte. Sekundenlang war er versucht, seiner Frau durch eine heftige Antwort klar zu machen, dass er gar nicht daran dachte, das Thema Loki auch nur einen Moment länger zu vertiefen, aber dann seufzte er in sich hinein und ergab sich in sein Schicksal. Er wusste, dass Frigga keine Ruhe geben würde.

Loki: The Dark Prince - Der dunkle PrinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt