Kapitel 28 - Seine Vier Wände

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Ich rannte zu ihm und hielt ihm den Arm fest. Er wollte wieder ausholen, als er mich wahrnahm. Seine Augen waren finster und er wütete vor Aggressivität. Auch ich hatte in diesem Moment Angst vor ihm. Einige Sekunden vergingen, als er realisierte, dass ich neben ihm stand und ihn aufhalten wollte. Sein angespanntes Gesicht lockerte sich, er hob die Augenbrauen und sah mich mit diesen verletzten Blicken an. Mitfühlend, fast schon, als würde er mehr Schmerzen fühlen, als ich es tat.

„Ist schon okay...bitte lass ihn...Er...er ist es nicht wert."

Seine qualvollen blauen Augen betrachteten mich und mit seinem zarten Finger ließ er den Kragen von Mister Wickinson los. Der Dozent fiel reglos zu Boden und Antonio schaute ihm geistesabwesend dabei zu. Er wandte sich wieder zu mir und strich mir über das Gesicht.

„Es tut mir leid, was er dir angetan hat."

Seine Stimme war flüsternd und zerbrechlich.

„Ist schon okay...es ist okay -",

Tränen kullerten über mein Gesicht und meine Stimme brach ab. Mit zitterndem Körper begann ich alles aufzunehmen, was in den letzten zehn Minuten passiert war. Dann kam ich gedanklich zu der Szene, in dem Mister Wickinson zum Regal geschleudert wurde und mein Blick fiel erschrocken auf den Dozenten. Ich starrte ihn verängstigt an, während Antonio seinen Mantel auszog und ihn mir überwarf. Ich hatte gar nicht gemerkt gehabt, dass mein Oberteil von vorne aufgerissen war und daher mein BH samt Brüsten zu sehen war. Er nahm meine Hand in seine und mit der anderen Hand hielt ich den Mantel zu.

Wir verließen die Felltrix und liefen zu seinem Maserati. Bei mir war es eher, als wäre ich bis zu seinem Wagen gestolpert. Er griff dazwischen irgendwann instinktiv an die Hüften, aber als ich erschrocken zusammen zuckte, ließ er es sein. Ich setzte mich hinein und er beugte sich wie in der damaligen Nacht hinunter.

„Bitte wein nicht, ich ertrage das nicht."

Meine Tränen waren nicht aufzuhalten und ich konnte die Angst, die ich verspürte, nicht verdrängen. Die Angst davor, zu was Menschen fähig sind. Die Kommilitonin in der Vorlesung hatte Recht über ihn behalten.

Ob er der Studentin aus Oxford auch was angetan hatte? Fakt ist, dass er daran schuld ist, rausgeschmissen worden zu sein. Und jetzt ist er hier. Bei uns...Und er hat es ausgerechnet bei mir getan.

Ich erschauderte.

„Ich habe Angst..."

„Ich lasse dich heute Nacht nicht alleine."

Mit leerem Blick nickte ich vor mich hin und lehnte mich zurück. Er fuhr bald los und ich schloss die ganze Fahrt über die Augen und atmete geübt aus. Ich versuchte mich selbst zu beruhigen, aber jedes Mal, wo ich an die vorherige Situation dachte, pochte mein Herz wieder schneller und Tränen sammelten sich in meinen Augen.

Nach einiger Zeit verlangsamte sich die Geschwindigkeit des Autos und ich merkte, dass er parkte. Ich öffnete die Augen und sah aus dem Fenster.

Das ist nicht meine Wohnung.

Er öffnete seine Wagentür und lief mit zügigen Schritten zu meiner. Als er sie öffnete, streckte er die Arme aus, um mich tragend hinaus zu befördern.

Was machen wir bei seiner und Niclas's Wohnung?

„Nein."

Ich hob abweisend die Hand und er verstand es. Sofort machte er einen Schritt zurück und stand wartend da, falls ich ihn doch brauchte. Ich stieg aus, aber meine Knie waren zu weich und ich schwankte. Er ergriff meinen Arm und verhinderte einen seitlichen Fall.

„Es geht schon. Wirklich."

Ich hakte mich bei ihm ein und wir liefen in seine Wohnung. Eher zog er mich mit sich, weil ich keine Kraft mehr hatte. Wir kamen an der Haustür an und er schloss sie auf. Die Lichter des Flurs waren aus, was darauf hindeutete, dass Niclas entweder in seinem Zimmer hockte, oder gar nicht da war. Ich war erleichtert darüber, weil ich kein Aufsehen erregen wollte. Außerdem würde es ihm nicht gefallen, uns so zu sehen.

Jetzt, in seiner Wohnung, fühlte ich mich sicherer. Ich folgte Antonio in sein Zimmer und ich war überrascht. Seine Räumlichkeit war von einem ausgeprägten Massivholz und geringfügigem Schwarz definiert. Es war schlicht und elegant. Das Fenster hingegen war über die ganze Wand in einem länglichen Panorama-Stil ausgeweitet, die beste Sicht dafür genoss man auf seinem Bett. Der Boden und die Decke waren im Betonstil ausgeprägt. An einer Wand stand ein gigantischer Bücherregal und überall auf dem Boden standen stapelweise Bücher, auf seinem Bett und auf seinem Schreibtisch. Das Interessante war, dass hinter seinem Bett ein Zugang für ein weiteres Zimmer war. Ich konnte nicht hineinblicken, denn die Tür war geschlossen.

„Soll ich dir etwas zubereiten?" Ich schüttelte den Kopf.

„Hast du Kopfschmerzen?" Ich blickte ihn an, ohne darauf zu reagieren.

„Ich bin gleich wieder da."

Er lief aus dem Zimmer. Ich ging zu seinem Schreibtisch, ebenfalls aus massivem Holz mit schwarzen Beinen, und fand Zeichnungen vor. Es waren Zeichnungen von einem jungen Fuchs und mir fiel auf, dass es immer nur von einem Fuchs handelte. Mit immer noch zittrigen Händen strich ich über die Zeichnungen.

Ist das der Cherokee National Forest?

Hinter dem Fuchs war eine weitläufige See.

So etwas habe ich in unserem Forest noch nie gesehen. Auch nicht im Internet. Es muss ein anderer Wald sein.

Mir fiel die Online-Zeitschrift ein, in der Antonio als Tatverdächtiger im George Washington and Jefferson National Forest in Virginia joggte, als Jennifer Backet verschwand.

Möglicherweise dieser Wald.

Als ich nähernde Schritte hörte, legte ich schnell die Zeichnungen zurück und lief zu seinem Bett. Ich strich über seinen pelzigen Mantel an mir. Antonio trug ein Glas mit Wasser in der Hand und eine Tablette in der anderen.

Ich nickte dankend und nahm die Tablette entgegen. Dann trank ich das Wasser aus und er stellte es auf sein Schreibtisch ab. Er blieb einen Moment dort stehen, fasste die Zeichnungen mit dem Finger an und hielt seinen Finger unter der Nase, als rieche er daran. Es sah so aus, als würde er sich zu mir drehen wollen und mich etwas zu fragen, stattdessen schob er schweigend die Zeichnungen unter einem Buch.

Weiß er, dass ich sie gesehen habe?

Antonio Caruso ~abgeschlossen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt