Zuhause bereitete ich mir Nudeln zu und saß mit dem Teller vor dem Laptop um mich in den jeweiligen Kursen einzuloggen. Ich stellte das Handy neben dem Laptop und betrachtete das Display, worauf immer noch die Nachricht von Niclas abgebildet war. Oder sollte ich sagen Nachrichten? Ich schob die Mundwinkel nachdenklich zum Knubbel zusammen. Erst kommentierte er mein Bild mit drei glücklichen Smileys. Darunter folgte ein weiterer Kommentar mit den Worten „Immer wieder GERNE!", zusätzlich schrieb er mich im Direct Message an und ohne darauf zu klicken las ich:
Hey, hast du morgen Abend was vor?
Ich aß auf und ließ den Teller im Spülbecken stehen. Dann zog ich mir die Jacke an, fand meine Taschenlampe und machte mich auf zum Cherokee National Forest.
Das Waldstück hinter meiner Wohnung sollte mich laut dem Internet zum Forest bringen. Außer einer Querstraße war es ein fast durchgängiger Weg. Auf dem Schnee stapfend orientierte ich mich an ein paar Fußspuren von Spaziergängern, die zuvor ihren Weg zum Wald gesucht hatten. Ich lief langsam, um kein Glatteis zu erwischen. Feine, lautlose Schneeflocken fielen auf meinen ungedeckten Haaren. Ich streckte die Hand hervor, ließ ein paar Schneeflocken auf meine Hand landen und sah ihnen dabei zu, wie sie schmolzen. Der Schnee war etwas Außergewöhnliches für mich, denn von da wo ich herkam, gab es ihn nicht.
Er ist still, er ist weiß, er ist wie Regen, nur langsamer. Der Winter ist die romantische Jahreszeit überhaupt.
Nach wenigen Minuten erreichte ich die Querstraße. Am Rande des Asphalts war eine verlassene Bushaltestelle mit zittrigem Licht.
Wer würde freiwillig dort stehen und auf den Bus warten?
Jetzt lief ich schnurstracks in den eigentlichen Wald hinein. Ich zog meine Taschenlampe aus der Jackentasche und spendete meinem bevorstehenden Weg ein Licht. Die Fußspuren vor mir verschwanden und der Schnee auf dem Boden hatte deutlich zugenommen. Sobald ein Objekt nicht mehr im Lichtkegel meiner Taschenlampe war, wurde es von der Dunkelheit verschluckt. Entschlossen setzte ich ein Fuß nach dem anderen auf, bis ich die Geräusche der nachtaktiven Tiere wahrnahm.
Das war so was von falsch, hierher zu kommen, Val.
Mein Gewissen redete auf mich ein, doch ich geriet immer tiefer in den Wald hinein. Die Taschenlampe warf eine angsteinflößende Perspektive auf die Baumstämme. Die Gebüsche stellten eine eigene Lebensform dar. Einige Baumäste standen so tief, dass ich ihnen ausweichen musste, weil sie mir sonst das Gesicht aufgeschlitzt hätten. Es fühlte sich nicht richtig an, den Wald mit diesem unnatürlichen Licht zu wecken. Ich gab mir Mühe, nicht die Orientierung zu verlieren, weswegen ich nicht kreuz und quer lief sondern ziemlich genau gerade aus. Der Sicherheit wegen drehte ich mich um, um zu schauen, wie es später zurück ging, aber ich sah zig Wege, aus denen ich hergekommen sein könnte. Ich blieb stehen und drehte mich auf der Stelle. Der Ort an dem ich mich jetzt befand, war wie ein Kreisverkehr aus unzähligen Wegen. Vielleicht sah er tagsüber ja ganz schön aus, in diesem Moment sah es aus wie ein Schlachtfeld. Und ich war das Vieh. Mittendrin.
Verdammt, verdammt. Die Sache wird unlustig.
Ich entschied mich dazu zurück zu kehren, auch wenn ich nicht wusste, wo zurück war.
Als ich kehrt machte, begann das Licht meiner Taschenlampe zu zittern.
Oh nein, komm schon.
Ich schüttelte die Taschenlampe in der Luft, bis sie wieder anging. Erleichtert und mit noch viel schnelleren Schritten setzte ich den Heimweg fort. Je weiter ich lief, desto mehr hörte ich fremde Geräusche aus den Gebüschen, die sich unmittelbar neben mir befanden. Erst dachte ich an ein Kaninchen, oder an ein Hirsch, aber das Geräusch hatte einige Minuten seinen Lauf und Panik stieg in mir auf. Mein Gefühl sagte mir, dass etwas nicht stimmte. In meinem Kopf setzte sich ein einziger Gedanke fest.
Ich werde verfolgt.
Ich schnappte nach Luft und lief schneller, aber das Rascheln wurde auch schneller. Es machte kein Unterschied, wie schnell ich war, was auch immer hinter dem Gebüsch neben mir herlief, schien genauso schnell zu sein. Ich blieb abrupt stehen, riss meinen Arm mit der Taschenlampe aus und zeigte mit dem Licht auf das Gebüsch.
„Wer ist da?!"
Wie erwartet, kam keine Antwort zurück. Laut stoß ich Luft zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich konnte nicht mehr klar denken. Die schlimmsten Filme begannen sich in meinem Kopf abzuspielen.
Wer war das?!
Einen Moment lang war ich starr, meine Augen waren weit auf und ich atmete bewusst ein und aus.
Einbildung. Es war nichts weiter als Einbildung. Du bist nervös, nicht verwunderlich, wenn du dich nachts in einem Wald aufhältst. Das muss nicht heißen, dass hier irgendetwas auf dich lauert.
Ich ließ mir zu viel Zeit um mich zu beruhigen, denn meine Taschenlampe begann erneut zu zittern.
Das kann doch nicht wahr sein. Dein Ernst, Taschenlampe?
Die Taschenlampe gab schließlich ihren Geist auf. Ich hielt meine linke Hand vor und schlug die Taschenlampe auf meine Handinnenfläche.
„Geh an, geh bitte, bitte an!"
Sie ging nicht an. Verzweifelt kontrollierte ich, ob etwas in meiner Nähe war. Meine Ohren hörten nur noch, dass Äste rissen und Blätter raschelten. Etwas ungeheuer Großes trat aus dem Gebüsch heraus, setzte einen schweren Schritt nach dem anderen und näherte sich mir. Wie groß es war, war schwer zu sagen, dafür war es zu dunkel. Ich blickte auf und blinzelte, um etwas zu erkennen. Den Körper, oder das Gesicht des Tieres, aber mit zunehmender Höhe verschwand seine Größe in der Dunkelheit. Was mir jetzt nur noch knapp zwei Meter gegenüber stand, schnaufte unmenschlich laut. Ich erschrak und zuckte zusammen. Meine Angst ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich versuchte zu schreien, aber meine Stimme erstickte und meiner Kehle durchzog ein stimmloser Hauch.
Was...zur...Hölle...
Mein Körper drehte sich um und meine Beine rannten. Meine Arme kamen zum Einsatz und verliehen dem Gerenne einen Schwung. Ich hatte keine Stimme zum Schreien und keinen Kopf, der sich Gedanken machen würde.Ich rannte so schnell ich konnte, ich rannte tatsächlich um mein Leben. Mein Adrenalin ließ mir keine Möglichkeit um mitzuhören, ob ich weiter verfolgt wurde. Ich hörte nur denn bebenden Puls meines Körpers, der mein ganzes Gehör einnahm.
Renne, renne um dein Leben, Valerie.
Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Selbst die tief gewachsenen Äste, die mein Gesicht zerkratzten und an meinen Haaren zogen, waren mir egal. Ich wollte langsamer werden, aber ich konnte nicht.
Renne. Weiter. Renne.
Ich war jedoch zu schnell. Ich übersah einen Ast, sodass ich den Halt verlor und katastrophal stolperte.
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Antonio Caruso ~abgeschlossen~
Fantasi~ABGESCHLOSSEN~ Valerie Gavenar hat sich für ein Studium an der Felltrix University of Arts and Materials entschieden und zieht nach Tennessee. Sie begegnet einem unmenschlichen Wesen, in das sie sich unwillkürlich verliebt. Er ist scharf und unanta...