„Was ist in dem anderen Zimmer?"
Er lief zu mir.
„Die ehrliche oder die freundliche Antwort?"
„Die ehrliche."
„Geheimnisse, die dir Angst einjagen."
„Oh", Er sah mich abwartend an, „Dann sollte ich da doch nicht rein."
„Besser nicht." Er kam mir näher und strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Ich starrte traurig auf meine Beine.
„Ist alles okay?"
„Nein."
Tränen sammelten sich erneut und er hob meinen Kinn an. Schnell schaute ich mir über die Schulter, weil ich nicht wollte, dass er meine Tränen sah. Aber er legte seine Arme um meine Schultern und zog mich feste in die seinen.
„Ich ertrage es nicht, wenn du weinst."
Er drückte mich fester und ich kniff für einen Moment die Augen zusammen. Seine Stimme veränderte sich und klang wie der fremde Antonio. Stechend und kalt:
„Ich werde ihn umbringen, wenn du mich lässt", ich riss die Augen auf, „ich werde diesen Kerl schlachten."
Hastig löste ich mich aus seinen Armen.
„Bitte nicht!"
„Wieso nicht?"
„Es war nicht das erste Mal."
Antonio's Brauen zogen sich zusammen und seine Augen wüteten.
„Was?! Er hat dich schon einmal -"
„Nein. Nicht bei mir. Es war bei einer Studentin in Oxford. Angeblich, es gab keine Beweise. Daher ist er jetzt auf der Felltrix."
„Das hindert mich nicht davon, ihn nicht umzulegen."
„Lass uns das einfach...rechtlich angehen. Das einzige was ich will, ist, dass er die Universität verlässt."
„Das wird er. Ich verspreche es."
„Okay."
„Geht es dir etwas besser?"
Mit meinen nassen Wimpern blickte ich ihm tief in die Augen.
„Ich habe nicht wegen ihm geweint."
„Weswegen dann?"
Antonio griff mir an die Hüfte und durchbohrte fragend meine Augen. In diesem Moment rutschte sein Mantel an meinen Schultern und fiel auf dem Boden. Er betrachtete meine Brüste, wandte aber sofort seinen Blick ab und sah mir mit seinen funkelnden Augen in meine.
„Weil ich Angst habe, dass du mir wieder entgleitest", seine Augen weiteten sich aus und er musterte mich unverstanden, „jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, dass du dich mir öffnest, passiert etwas und du distanzierst dich wieder. Es ist mir egal, wer du bist...oder was du bist", in seinem Gesicht breitete sich Verblüffung aus, „ich bin für dich da. Ich kann es, das weiß ich jetzt. Und ich will dich wissen lassen, dass mir das mit Jennifer Backet leid tut. Weil du sie verloren hast."
Ich sagte nichts mehr und wartete ab.
Ich konnte Antonio's Augen nicht deuten, sie begutachteten mich bei jedem Wort, dass ich sagte. Er analysierte alle Gesichtszüge, vor allem, als ich über Jennifer sprach. In seinen Augen verfing ich mich und ich verlor mich. Es war wie eine Trance, aus der man ohne Hilfe nicht raus kam. Dann nahm er meine Hand und küsste sanft die Handinnenfläche. Er betrachtete es und strich mit den Fingern über sie:
„Du wirst mich nicht verlieren."
Was hat er gerade gesagt? Er hat mir gesagt, dass ich ihn nicht verlieren würde..Er hat es gesagt.
Entschlossen sah er mich an und seine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht, „aber solange du nichts weißt, wie kann ich offen zu dir sein?"
„Amber."
„Amber?"
„Ja. Sie hat mir geholfen einiges zu verstehen."
„Das war ja so klar", er schmunzelte und bei diesem perfekten Lächeln, bei dem seine scharfen Eckzähne zum Vorschein kamen, begann mein Inneres zu kribbeln.
„Also eher war es ein Traum, und was ich sah, ist noch unsicher. Also es ist wie ein Puzzle, ich kann es nicht entziffern..."
„Schieß los."
„Ist das wahr...mit dem Hirsch?"
Er biss sich lächeln auf die Lippen.
„Du meinst Dasher?"
Fassungslos fiel mein Mund auf.
Ist er ein Hirsch oder was? Oder ist er vielleicht in diesem Körper gefangen? Es ist unglaublich! Es...es ist einfach Wahnsinn....oh Gott, oh Gott...
„Erfreulich, wie du mir einfach einen neuen Namen vergibst."
Für einen Moment genoss er die Vorstellung daran, dass ich mich ertappt fühlte. Er betrachtete mich belustigt dabei und strich sich mit dem Finger über die Lippen, „oder ich deine Seelensorge bin. Deine meisten Gespräche handelten erstaunlicherweise über mich."
„Das...ist unglaublich. Antonio, einfach unfassbar. Wie ist das möglich?"
Ich nahm es so hin und bemühte mich es so normal wie möglich aussehen zu lassen. Für einen Moment lachten wir darüber, aber dann verfinsterte sich sein Blick.
„Was weißt du noch?"
„Die Sache mit den Nüssen und Pilzen...du isst es?"
Er nickte.
„Und du bist immer so warm", ich streckte den Arm aus und legte meine Hand an seine glühende Brust, „hast du gerochen, dass ich die Zeichnungen auf deinem Schreibtisch angefasst habe?"
„Ein Hirsch hat keinen starken Geruchssinn", seine Stimme hatte wieder diesen qualvollen Unterton, „aber ich finde, dass du manchmal zu viel Parfüm sprühst. Ich rieche es stärker, als üblich."
Als ich das erste Mal bei Niclas war und er an der Tür stand, hatte ich das Gefühl, dass ihn mein Parfüm anwiderte. Ich erinnere mich...
„Genauso wie du gerochen hast, dass ich hinter Amber's Tür stand und deine Schreie gehört habe...", entschlüsselte ich und er nickte zustimmend.
„Ich rieche dich aus dutzenden Metern Entfernung. Und hören tue ich Menschenstimmen aus mehreren hunderten Metern Entfernung."
„Aber wieso riechst du es dann so intensiv? Ich meine, wenn es nicht der Hirsch tut, dann -"
„Es gibt noch so vieles, dass du nicht weißt."
Er unterbrach mich, seufzte und sah zum Fenster.
„Wieso bist du immer so müde?"
Schweigen.
Gib ihm Zeit. Er hat gerade zugegeben, dass er ein verdammter Hirsch ist. Auch wenn es unerklärbar ist.
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Antonio Caruso ~abgeschlossen~
Fantasy~ABGESCHLOSSEN~ Valerie Gavenar hat sich für ein Studium an der Felltrix University of Arts and Materials entschieden und zieht nach Tennessee. Sie begegnet einem unmenschlichen Wesen, in das sie sich unwillkürlich verliebt. Er ist scharf und unanta...