Kapitel 16 - Die Bewerbung

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[War es der selbe Adler?]

Er legte seinen Kopf schräg und beäugte mich. Dieser Adler sah unwirklich aus, seine Augen hatten etwas menschliches. Verwundert schaute sich Mister Wickinson über die Schulter um meinen Blick zu verfolgen. Ich sah ihn nervös an.

„Mister Wickinson...da ist nichts."

Was denkt er jetzt von mir?

Er ließ sich von meinen Worten davon nicht abbringen und ich sah dabei zu, wie er sich vorbeugte, um aus den Fenster zu spähen.

Sag etwas.

Ich blickte erneut zum Fenster.

Irgendetwas.

Der Adler war weg.

„Der Cherokee National Forest. Dafür lebe ich", er wandte sich wieder zu mir.

„Bitte, was?"

„Ich zog dafür nach Tennessee. Die Natur ist das einzig wahre was mir bleibt. Das ist es, was mich beeindruckt."

Ich ließ einen entlasteten Atemstoß frei und fühlte mich im Nachhinein nur noch dämlicher. Er stand auf und klatschte in die Hände.

„Genau das wollte ich hören. Miss Gavenar, Sie wissen was Sie wollen. Da ist Pepp, sie sind anders als die anderen Kommilitoninnen. Ich schlage Ihnen etwas vor. Ich gebe Ihnen zwei Wochen Zeit mir von ihrem Forest Bilder zu liefern. Keine selbstgezeichneten, einfach fotografierte Kulissen. Und wenn diese mich bewegen, dann sind Sie ohne wenn und aber im Team. Wir werden dann nach und nach die Fotografien auf Papier bringen. Sagen wir selbe Uhrzeit und selber Ort?"


Ich verabschiedete mich dankend und wusste nicht, ob ich beeindruckt war oder verwirrt. Aber ich war definitiv entspannter als ich es vor dem Gespräch war.

Der Job ist mir sicher, meine Fotos sind postkartenreif. Es braucht einfach nur den Wald, mich und meine sagenhafte Kamera. Und schon kann er gar nicht anders, als sich flehend vor meine Füße zu werfen, dass ich den Job annehmen soll.

Bei der bildlichen Vorstellung davon wurde mir regelrecht schlecht. Ich fuhr überzeugt ins Center und kaufte mir mit dem Vorschuss meines Vaters ein Handy. Danach ging ich zu Niclas, um ihm seines zurück zu geben. Bei ihnen zuhause nahm ich einen stechenden Geruch von Tierfell war, aber Niclas meinte, sie hätten keine Haustiere zuhause. Während er mich über irgendwas anquatschte, wanderten meine Blicke heimlich zu Daniele's Zimmer. Seine Tür war geschlossen und ich nahm auch keine Geräusche wahr. Indirekt fragend teilte mir Niclas mit, dass er nicht da wäre. Da das für mich alles war, was ich wissen wollte, verabschiedete ich mich und ging.


Am selben Tag besuchte ich den Forest. Ich entschied mich für den Weg, den ich zuvor gegangen war. Die Querstraße erreichend, lief ich weiter und betrachtete den Wald. Tagsüber gab er ein völlig anderes Bild ab.

Friedlicher.

Romantisch.

Der Schnee deckte zwar die meisten Äste ab, aber die Baumstämme ragten aus der Erde heraus und definierten den schönen Forest. Ich trug ein weißliches Bolero aus Kunstpelz und verschmolz mit meiner Umgebung. Nach der unruhigen Nacht, in der ich den Forest weckte, fühlte ich mich in diesen Klamotten sichtlich angepasster. Erfreut erreichte ich den kreisförmigen Platz mit den zahlreichen Ausgängen. Meine Wangen waren rot und mit meinen kalten Fingern klammerte ich mich an meiner Kameratasche.

Wenn ich es richtig aufgefasst habe stand Daniele genau hier...und wenn er einfach nur gerade aus gelaufen ist, dann müsste ich hier lang...

Ich lag einige Male falsch und musste zurückkehren. Als ich dann den nächsten Weg einschlug, standen mir viele Äste im Weg. Ich hielt sie mir aus dem Gesicht und tappte unbeherrscht vor mich hin. Der Weg führte steil nach oben und verlief schräg. Ich wollte schon fast zurückkehren, als ich einen kleinen aber erkennbaren Ausgang fand. Gäbe es keine vorherigen Spuren auf dem Schnee, hätte ich die Stelle niemals gefunden. Es waren aber ungewöhnlich große Spuren und sah wie die Pfoten eines Wolfes aus.

Eines sehr großen Wolfes.

Daniele hätte es zumindest nicht sein können. Ich entdeckte den Ort, den ich mir in meinen Träumen nicht hätte besser vorstellen können. Es war tausend Mal schöner, als auf dem Video. Ich erreichte den kleinen Hügel, am Rande entdeckte ich einen lebensgefährlichen Abhang. Es fühlte sich bei dem Anblick so an, als würden meine Ohren flattern. Auf dem Hügel war nur so viel Platz, dass eine Handvoll Menschen dort liegen konnten. Die Atmosphäre war anders, man fühlte sich dem Himmel näher. Die Schneeflocken flogen von allen Seiten herab und wegen des starken Windzugs begannen meine Augen zu tränen. An der Wand des Hügels war ein kleiner Spalt, vermutlich verlief die Quelle dort. Ich kam ihr näher. Die Oberfläche der Quelle war zugefroren, bis auf ein kleines Loch. Darunter erkannte ich das sanft fließende Wasser. Um den Weg des Wassers herum lagen vielerlei Felsen, die ihn eingrenzten und es war so schön, dass es schon fast unnatürlich auf mich wirkte.

Das ist das Bild. Das Bild, dass mir den Assistentinnenjob zu Füßen legen wird.

Ich packte meine Kamera aus und machte von jeder Ecke ein Foto. Sogar von der Vogel- und der Froschperspektive. Aber das war noch nicht alles. Links vom Hügel war ein einziger Weg zu einer kleinen abgeschotteten Höhle. Ich näherte mich dem Abhang und fokussierte die Kamera auf die Höhle. Näher an die Höhle wollte ich nicht, denn ich wollte keine schlafenden Tiere wecken, geschweige denn einen von ihnen begegnen. Nach einigen Fotos setzte ich mich an den Abhang und rieb mir die Hände warm. Die schneiende Welt stand mir bevor und ich empfand ein Gefühl des Friedens.

Ob Daniele genauso fühlt, wenn er hier ist? Wie oft er wohl hierherkommt?

Weit oben über der Bodenebene konnte ich plötzlich nichts anderes tun, als mir ihn vorzustellen, wie ich ihn bisher in Erinnerung hatte.

Oh, wie du mich angesehen hast, bevor du mich nach Hause gebracht hast. Irgendwas habe ich in dir bewegt, ich spüre es. Ich spüre es, obwohl du mich abweist.

Ich verstand aber einfach nicht, warum er mich abwies.

Wie ist das möglich, jemanden anziehend zu finden, der einen so dermaßen abweist?


Antonio Caruso ~abgeschlossen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt