Kapitel 27 - Wickinson's Wahres Ich

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[„Tja, dann weißt du ja, was du heute tun musst!"]

„Niclas, der Ball ist morgen Abend!"

„Theoretisch bleiben dir zwei Tage, morgen geht es auch."

Wir lachten und ich stimmte schließlich zu. Ich trank den Kaffee aus und machte mich auf den Weg zurück zur Bibliothek. Siebzehn Seiten schaffte ich, als ich mich entschloss, die Tasche zu packen. Ich schrieb die Klausur und war erstaunt, wie einfach sie doch war. Um mich herum verzweifelten die Studenten und ich verstand beim besten Willen nicht warum. Ich drehte mich um und entdeckte Antonio. Er trug etwas Elegantes, wie sonst waren seine Haare streng nach hinten gegelt. Ein gelber Pullover mit einem braunen Hemd darunter. An seiner Stuhllehne hing ein schwarzer Mantel. Er kritzelte etwas auf das Papier, stand auf und lief zur Professorin nach vorne, um seine Klausur abzugeben.

Was? So schnell? Entweder wird es eine eins bei ihm, oder er hat nur seinen Namen aufgeschrieben.

Er verließ den Hörsaal und schnell schrieb ich die letzten Antworten auf das Papier. Eine halbe Stunde später war Abgabe und ein großer Stein fiel mir vom Herzen. Die Klausurphase war vorüber und ich hatte das Gefühl, keine Klausur verhauen zu haben. Zwei Monate Semesterferien standen mir bevor, die ich frei einteilen konnte, wie ich wollte. Ich entschied mich dazu, zu Mister Wickinson's Büro zu gehen. Ich sollte diese Woche vorbeikommen, er wäre laut seiner Mail die ganze Zeit anwesend. Ich würde ihn auf den morgigen Ball ansprechen und meine Hilfe anbieten.

Die Gänge waren leer, es schien wohl spät zu sein. Während ich dahin lief, spürte ich ständig eine Anwesenheit hinter mir. Ich blieb stehen und drehte mich um, aber es war keiner zu sehen. Ich lief schneller, doch trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Als ich stehen blieb und mich umdrehte, erkannte ich aus der Ecke, aus der ich kam, einen Schatten. Sicher war ich mir nicht.

„Hallo?"

Keine Antwort.

Ich lief den Gang wieder zurück und um die Ecke, aber da war niemand. Der Korridor war absolut leer.

Okay, das war jetzt wirklich irre.

Es erinnerte mich an den verwirrenden Traum und ich versuchte die Panik, die in mir aufkam, zu verdrängen. Ich lief weiter, erreichte die Tür von Mister Wickinson's Büro und öffnete sie.

Keiner da.

Aus seinem Fenster schauend erschrak ich.

Was? Schon so dunkel?

Da ich in der Bibliothek in einer Ecke lernte, hatte ich weder ein Fenster in unmittelbarer Nähe, noch ein Zeitgefühl. Der Baum hinter dem Fenster war durch das Licht des Zimmers beleuchtet und seine Blätter wirbelten im Wind umher. Ich schaute mich um und lief auf den Bücherregal zu. Mit dem Finger las ich die Titel der Werke, als ich die Tür quietschen hörte. Ohne es vorher bemerkt zu haben, stand Mister Wickinson hinter mir. Er stand sehr, sehr dicht hinter mir.

„Genießen Sie die Kunst?"

Ich stoß einen Schrei aus und drehte mich. Er war so nah, dass ich ihn mit dem Ellbogen in die Rippen stoß.

„Ich wollte Sie nicht erschrecken, Miss Gavenar, setzen Sie sich", sagte er langsam und seine neugierigen Augen beglotzten mein Dekolleté.

Und ich hatte vergessen, wie unangenehm mir seine Anwesenheit ist.

Theatralisch klatschte er in die Hände und ein breites Grinsen spielte sich auf sein Gesicht ab. Er ließ seine Hände sprechen und wirkte wieder unglaublich hibbelig auf mich.

Antonio Caruso ~abgeschlossen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt