Kapitel 11 - Blutiges Vergnügen

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Viertel vor sechs. Ich war wach. Ich konnte nicht fassen, was gestern passiert war. Ich stand vorsichtig auf und lief das Zimmer zur Probe auf und ab.

Besser. Viel besser.

Das Laufen bereitete mir noch etwas Schmerzen, aber es war auszuhalten. Ich schaltete mein Laptop an und antwortete Niclas über die Instagramer-Webseite auf seine gestrige Nachricht.

„Gerne. Heute um sechs?"

Daniele war gestern bei mir. Er befahl mir, mit ihm mit zu kommen. Er war hier. In diesem Zimmer.

Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie verletzt er aussah, als er mich darum bat mit ihm ins Auto zu steigen. Oder wie er mir mit seinen Fingern über meine Wange strich.

Ich sollte mir überlegen, was ich anziehe, wenn ich mit Niclas raus gehe.

Augenblicklich fasste ich mir zum Gesicht. Ich schloss die Augen und stellte mir die gestrige Situation vor.

Was machst du nur mit mir, Daniele?

Mit kribbeligem Bauch lief ich in die Küche. Nach allem was gestern passiert war, wollte ich ihn sehen. Und das würde ich auch, in der Vorlesung später. Ich malte mir aus, wie er sich zu mir setzen würde, oder mich begrüßt. Für den Fall, dass er es nicht tat, würde ich ihn ansprechen und mich für seine Aktion von gestern bedanken. Er hatte sich anfangs zwar schräg und typisch-Daniele verhalten, aber irgendwie erhitzte mich diese Aggressivität hinter dem verletzten und weichen Daniele. Und der verletzte und weiche Daniele umso mehr. Ich las die Zeitung und stellte meinen Müsli auf den Tisch. Auf der Titelseite stand fett und unübersehbar:


~Blutiges Vergnügen im Cherokee National Forest~

Die Nachfrage ist überall hoch, denn Jäger gibt es in jeder Region. Der vom Aussterben bedrohte Braunbär wird niemals entkommen. So erreichte die Jagdlust auch den Cherokee National Forest in Asheville, Tennessee. Zwei Passanten hörten um 17:45 Uhr einen lauten Schuss und fanden eine Viertelstunde später einen ausgewachsenen enthaupteten Braunbär. Es wurde sofort die Polizei verständigt. Der Kopf des Bären wurde hundertfünfzig Meter entfernt aufgefunden. Vor Ort analysierten Tierärzte das Tier, unter anderem Dr. Blayford, Artenschützer und Biologe. Er behauptet, dass ein Jäger dahinter stecken muss. „Kaum ein Tier ist in diesen Wäldern stärker als der Braunbär. Es ist offensichtlich, dass ein Mensch wieder am Werk war." Dr. Blayford zufolge befinden sich die meisten Tiere des Waldes im Winterschlaf. Ob sie dann überhaupt zufinden sind? „Jäger sind Spezialisten in dem was sie tun. Sie finden die Braunbären in ihren Höhlen und versteckten Plätzen. Jagen ist heute keine Lebensnotwendigkeit mehr, es ist ein rein blutiges Vergnügen", so Blayford. Auf Nachfrage, wie viele Jäger momentan schätzungsweise an der Sache dran sind, fand er auch eine passende Antwort: „Alle Bärenmorde sind identisch, es handelt sich hier um einen einzigen Jäger."


Wie schrecklich. Und wie schmerzhaft es für das arme Tier gewesen sein muss. Wer tut so etwas?

Ich bereitete mich für die Vorlesung praktische Künste auf. Ich wollte in jedem Fall von Daniele beachtet werden. Daher entschied ich mich für ein auffälliges pink auf den Lippen und einem auffällig geschnitten Kragenpullover in grau. Ich zog eine schwarze Jeans an und nahm eine leichte Handtasche mit. Diesmal mit drei Stiften.

Die Vorlesung wurde von einem Dozenten namens Jonas Wickinson angeleitet. Er war dabei, seinen Doktortitel zu bekommen und arbeitete nebenbei für den Professor.

„Ist er nicht heiß?", sagte eine Kommilitonin neben mir zu ihrer Freundin.

„Hast du von ihm nicht gehört? Diese News kursierten sogar im Netz. Er war ursprünglich an der Oxford University, aber es gab Gerüchte, die besagten, dass er ein Verhältnis mit einer Studentin hatte. Ob das wirklich wahr ist, weiß man nicht genau. Laut den Kommilitonen war die Studentin dafür bekannt, ihre Dozenten zu erpressen. Da die Oxford University aber kein Risiko eingehen wollte, wurde die Studentin exmatrikuliert und Mister Wickinson raus geschmissen."


„Liebe Studenten und Studentinnen. Ich freue mich Sie in dem Kurs praktische Künste willkommen zu heißen. Vorab möchte ich Ihnen sagen, dass ich neu bin. Daher bitte ich Sie um ein wenig Rücksicht." Jonas Wickinson war klein und hatte eine dürre Statur. Sein Gesicht war gekennzeichnet von vielen schlaflosen Nächten. Er war hibbelig und ließ seine Hände mitsprechen.

„Ich suche einen Assistenten bzw. eine Assistentin für einen Projekt. Falls Sie Interesse haben, können Sie sich gerne dafür eintragen. Von Bewerbungen halte ich nicht viel, ich melde mich einfach für ein persönliches Gespräch bei Ihnen. Die Liste für die Anmeldung finden Sie an der Eingangstür hängen."

In diesem Moment fiel mir ein, dass ich kein Handy hatte und ebenso kaum Geld, um ein neues zu beschaffen. Mein Vater gab mir zwar einen kleinen Vorschuss, aber wenn ich diesen Job kriegen würde, könnte ich mir das Handy ohne Probleme holen. Die Gelegenheit würde ich also nutzen wollen. Während ich mir einen finanziellen Plan erstellte, schrieb Mister Wickinson einige Beispiele an die Tafel. Ich drehte mich um und suchte nach Daniele, aber ich sah ihn nicht. Die Stunde ging extrem schnell zu Ende und enttäuscht stand ich auf um den Raum zu verlassen. Plötzlich entdeckte ich Daniele, der genau zwei Reihen hinter mir saß.

Vielleicht kam er etwas später, Val.

Er trug einen dunkelbraunen Pullover mit einem weißen Hemd darunter und seine Haare waren wie üblich ordentlich nach hinten gegelt.

Ich mochte ihn gestern mit normalen Sachen mehr.

Er zog sich die Jacke über und die Ärmel etwas hoch. Ich entdeckte ein rotes Armband an ihm mit den feinen weißen Fäden.

Der Typ auf Nick's Profil in Instagram war also Daniele? Das Bild bei dem er mit einem anderen Mann mit Bier auf die neue WG anstoßt. Er trug dieses rote Armband an seinem Handgelenk. Das kann nicht sein, denn das Profil dieses Typen hieß „Toni Caruso"...Aber wie viele benutzen schon ihre richtigen Namen?

Ich lief auf Daniele zu und stand vor ihm.

„Hi."

Er hörte mich, aber zog sich erst seine Laptoptasche über die Schultern.

„Kann ich dir helfen?"

Seine Stimme klang desinteressiert und genervt.

„Du warst gestern so schnell weg. War alles okay?"

Daniele schüttelte den Kopf belustigt und legte seine Tasche auf den Tisch ab. Er lehnte sich an, knickte ein Bein an und schränkte die Arme ein.

„Warum interessiert dich das? Hast du Langeweile?"

Das erste Mal sprach er nicht nur einfach stechend. Ich hörte den Spott hinter seiner Stimme. Jedes Wort von ihm verpönte mich.

„Ich weiß nicht worauf du hinaus bist, ich wollte nur -"

„Ich bin nicht interessiert an dir."

„Deswegen bestehst du darauf, mich nach Hause zu fahren?", die Worte fielen prompt aus meinem Mund heraus. Ich hob die Braue, schränkte ebenfalls die Arme ein und legte meinen Kopf auf die Seite. Seine Augen funkelten reagierend.

„Tja", Daniele fuhr sich durch die Haare und lächelte mich vernichtend an,„Das nächste Mal wäre es dann besser, ich lasse dich dort verrotten."



Antonio Caruso ~abgeschlossen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt