Wenn man Piper am Morgen gesagt hätte, dass der gefährlichste Ort in der Bronx ausgerechnet bei einer kleinen Hütte in einem Park war, hätte sie laut gelacht. Jetzt war ihr nicht gerade zum Lachen zumute. Mallory, TJ, Blitzen und sie standen eng zusammengedrückt auf einem kleinen Flecken Asphalt. Alles um sie herum war schwarz. Sie konnte TJ zittern spüren. Und dabei hatte alles recht gut angefangen.
"Ich seh, ich seh was du nicht siehst und das ist... grün."
"Das Plakat da?"
"Nein."
"Dein T-Shirt?"
"Nein."
"Die Tasche von dem Typen da hinten?"
"Nein."
"Meine Augen schon wieder?"
"Ähm, ja."
"Ach kommt schon, ihr könnt doch nicht jedes mal meine Augen als Joker benutzen!"
"Es ist aber auch echt praktisch, dass deine Augen keine genaue Farbe haben, Piper."
Die Fahrt in die Bronx zog sich wie Kaugummi. Piper konnte es kaum erwarten, endlich nach Monstern und nicht mehr nach ihren eigenen Augen Ausschau zu halten.
"An der nächsten Station steigen wir aus", teilte Blitzen ihnen mit.
"Endlich", seufzte Piper. Sie fuhren in den Bahnhof ein. Hastig drängten sie sich durch die Menge zur Rolltreppe, um endlich wieder ans Tageslicht zu kommen. Beziehungsweise, Blitzen weniger. Er hielt sich betont im Schatten, wie Piper bemerkte, als sie sich auf den Weg machten. Nach einer Weile fragte sie: "Warum gehst du im Schatten?"
"Wenn ich in die Sonne gehe, laufe ich Gefahr, zu versteinern. Und das ist nicht so witzig", grummelte er.
"Oh", machte Piper und achtete nun darauf, keine zu sonnigen Wege zu wählen.
So durchkämmten sie die Bronx mehr oder weniger wahllos. Alles schien ruhig und nach einer Weile wurde es langweilig. Mallory begann mit ihren Messern zu spielen und TJ pfiff irgendeine Melodie, die Piper nicht kannte.
"Hey, da vorn sieht es hübsch aus", bemerkte schließlich Blitz. Er zeigte auf einen kleinen Park.
"Wir können ja mal reinschauen", meinte Piper gleichgültig. Die Bronx schien geradezu langweilig friedlich zu sein.Fünf Minuten später standen sie vor einem kleinen Häuschen. "Poe Cottage", las Mallory von einem Schild ab.
"Poe? Wie in Edgar Allan Poe?" Blitzen stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Schild besser lesen zu können.
"Hey, habt ihr schon bemerkt, wie der Rabe da uns anstarrt?", unterbrach sie plötzlich TJ.
Piper sah auf und bemerkte den Raben, der sie vom Dach des Hauses her anstarrte.
"Das ist ein Rabe, Thomas", sagte Mallory mit einer Stimme, mit der man Babys die Welt erklärt. "Die starren eben."
"Aber der da sieht ziemlich intelligent aus. Du weißt schon, wie Hugin und Munin."
Piper hatte keinen blassen Schimmer, wer oder was Hugin und Munin waren.
"Ich bin auf TJs Seite", meinte Blitzen. "Der Rabe sieht zwielichtig aus."
"Vielleicht ist er von Apollo, der uns aus irgendeinem Grund stalkt", spekulierte Piper. "Seine heiligen Vögel sind Raben."
TJ begann mit den Armen zu wedeln. "Kusch! Verpiss dich, Vogel! Kusch, kusch!"
Der Rabe schien keine Lust zu haben, sich zu verpissen. Im Gegenteil. Er kam zu ihnen heruntergeflattert. Piper wich unwillkürlich zurück. Der Vogel hatte tatsächlich etwas sehr Unheimliches an sich. "Bei Odins Augenklappe, es ist nur ein Rabe!" Mallory fuchtelte mit den Armen, doch der Rabe hüpfte nur beiseite und starrte sie weiter an. "Blöder Vogel." Nun warf Mallory eines ihrer Messer. Der Vogel ließ sich nicht stören, wich dem Messer aus und legte dann den Kopf schief, ohne sie aus den Augen zu lassen. "Gehen wir einfach", schlug Mallory vor. Sie machte auf dem Absatz kehrt. Doch bevor sie auch nur drei Schritte gemacht hatte, landete ein weiterer Rabe vor ihr. "Oh", sagte sie.
Sofort brach leichte Panik aus. Sie alle wollten hier weg. Doch es wurden immer mehr und mehr Raben. Bald schon waren die vier eng aneinander gedrängt, umgeben von endlos vielen schwarzgefiederten Vögeln mit funkelnden Augen und beängstigend scharfen Schnäbeln und Krallen. "Was tun wir?", fragte TJ. Er konnte das Zittern seiner Stimme nicht verbergen. Aber es war sowieso egal, sie waren so nah beieinander, dass sie spüren konnten, dass sie alle zitterten. Keiner von ihnen konnte einer gefühlten Trilliarde schwarzer Vögel gegenüberstehen, ohne Angst zu bekommen. Und das schlimmste: die Raben waren nun überall. Auf dem Boden, in den Bäumen, auf dem Dach der Hütte, in der Luft. Sie begannen, die vier zu umflattern. Es fühlte sich an wie ein Hurrikan aus schwarzen Federn. Mallory fluchte sehr fantasievoll. "Hat irgendjemand einen Rabenabwehrtrick in der Tasche?"
Niemand antwortete. Sie waren alle nicht großartig magisch begabt, sie hatten keine tollen Superkräfte, alles was sie anzubieten hatten waren Charmesprech, ein Bajonett, Messer, Einherjekräfte und Modebewusstsein. Was hätte Piper nun für Leos Feuer, Hazels Nebel, Percys Stürme, Jasons Blitze, Franks Gestalten oder Annabeths Gerissenheit getan... Sie wusste nicht, dass es den anderen ähnlich ging. Mallory sehnte sich nach Halbgeborens Berserkerkräften oder Magnus' Tierfähigkeiten. TJ hätte alles für Sams Walkürenkräfte oder Alex' Gestalten getan. Blitz wünschte sich Hearths Magie herbei.
"Stopp!" Pipers Stimme gellte durch den Park. Sie sprühte nur so von Charmepsrech. Sofort sahen die anderen sie an. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, ihre Augen funkelten gefährlich und Katoptris sah in ihrer Hand wie eine mächtige Waffe aus. Die Raben wirbelten noch immer um sie herum. "Ich sagte: Stopp!"
Und die Vögel gehorchten. Manche von ihnen hörten mitten im Flug auf, mit den Flügeln zu schlagen und stürzten ab, sodass sie auf die anderen am Boden fielen. Ein riesiges Chaos aus schwarzen Federn und Krächzen brach aus. "Lauft!", rief Piper. Und das taten sie. Mallory und TJ schnitten mit ihren Waffen eine Schneise durch die Vögel, Piper schrie den Vögeln Befehle zu, um sie zu verwirren und Blitzen warf mit Expando-Enten. Und endlich hatten sie es geschafft, zu entkommen. Ein letztes Mal blickten sie zurück und erkannten zu ihrer Überraschung, dass fast alle Raben weg waren. Nur ein einziger hockte auf dem Asphalt und ordnete seine Federn. Und plötzlich zerfiel er zu Staub. "Was war denn das für ein Monster?", fragte Mallory verwirrt.
"Keine Ahnung. Aber Hauptsache, es ist weg", meinte TJ.
"Ja. Übrigens, wir waren ein echt gutes Team!" Piper grinste den anderen zu und sie klatschten sich ab. Dann machten sie sich auf den Weg, die Bronx zu verlassen. Sie alle hatten Selbstbewusstsein gewonnen. Denn sie waren ja doch nicht unfähig und nutzlos. Keineswegs.Übrigens nennt man einen Schwarm Raben auf Englisch tatsächlich "an unkindness of ravens". (Und bei Krähen "a murder of crows") Fragt mich nicht, wieso.
Eure
Luna_Levesque
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New York
FanficNew York, die Stadt, die nie schläft. Und ein besonderer Magnet für das Übernatürliche. Wieso das so ist, weiß niemand, doch eines steht fest: Eine neue Gefahr breitet sich über der Stadt aus wie ein Schatten und diesmal sind alle heldenhaften und w...