29| Ritual

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Alex stand in der Mitte des Pentagramms. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit. War das nicht normalerweise ein Ort für heraufbeschworene Dämonen und derartige Unwesen? Aber scheinbar gehörte sich das so. Magnus Bane scheuchte die anderen herum, damit sie sich alle richtig hinsetzten. Sie sollten alle einen Sitzkreis bilden ("Wie im Kindergarten", hatte Sadie kommentiert.) und sich gegenseitig an den Händen nehmen. "Warum ist deine Flosse so nass?", fragte Leo Rico, der neben ihm saß.
"Fisch."
"Ich will Mallorys Hand nicht halten", jammerte Magnus. "Sie zerquetscht mir die Finger."
"Simon hat natürlich mal wieder alle Mädchen abgestaubt."
"Als ob dich das interessieren würde, Raphael."
"Nico, deine Hände sind schon wieder so kalt."
"Was soll ich machen, das hab ich von meinem Vater."
"Hades hat kalte Hände?"
"Scheint ein Totengötterding zu sein. Walts Hände fühlen sich an wie Eiswürfel."
"Ich hab Hunger."
"Können wir uns dann bitte konzentrieren?", donnerte Magnus Bane.
Sofort kehrte Stille ein. Mit Hexenmeistern legt man sich nicht an. Er wandte sich an Alex. "Alex Fierro. Bist du bereit?"
Alex nickte hastig. Magnus ließ den Blick zu den anderen wandern.
"Seid ihr, Halbgötter, Einherje, Zwerge, Alben, Magier, Pinguine, Schattenjäger, Vampire, Werwölfe, bereit?"
Im Chor antworteten sie "Ja!", als wäre das hier ein bizarres Puppentheater.
"Dann werde ich, Magnus Bane, Oberster Hexenmeister von Brooklyn, dir, Alex Fierro, weiter den Weg zum Brechen des Schwurs weisen. Aber ab jetzt wird es kein Zuckerschlecken mehr sein!"
"Dafür bin ich bereit."
"Seid ihr anderen auch bereit?"
"Ja!"
"Sir Percival, großer Hexenmeister, steh uns bei und gestatte uns, den Fluch aufzuheben!"
Nichts geschah.
"Percy, du Arsch, das ist kein Witz mehr!", rief Magnus ärgerlich
Plötzlich begann violetter Nebel sich auf dem Boden auszubreiten. Er begann, sich zu bewegen und bildete einen Wirbel, in dessen Auge Alex stand.
"Schon besser", meinte Magnus und fuhr fort. "Jetzt, Alex, heb bitte einen der Gegenstände, die wir gesammelt haben, auf."
Hastig und mit zittrigen Fingern hob sie das Automodell auf. Ihr wurde kurz schwarz vor Augen, dann sah sie plötzlich Bilder, die wie Erinnerungen in ihrem Kopf aufblitzten, selbst wenn es nicht ihre eigenen waren. Sie schien auf der Rückbank eines Autos zu sitzen, laute Musik spielte und die Fremden, die auf Fahrer- und Beifahrersitz saßen, sangen laut mit. Dann wechselte die Szene. Sie konnte ihre Hände sehen, die das Lenkrad des Autos umklammerten und den Regen hören, der gegen die Windschutzscheibe prasselte. Dann blitzte ein Licht auf und ein brennender Baum stürzte plötzlich vor ihr auf die Straße. Dann war es vorüber. Sie schnappte nach Luft, als wäre sie zu lange unter Wasser gewesen. Das erste, was sie wahrnahm war das Modell in ihren Händen, das zu violettem Rauch wurde. Dann sah sie zu den anderen, die gleichermaßen verstört wirkten wie sie sich fühlte. Hatten sie die selbe Vision gehabt?
"Der nächste Gegenstand", rief Magnus.

Sie griff kurzerhand nach der Platte. Eine neue Vision überrollte sie. Diesmal waren es nur Geräusche. Musik, aber auch Jubel, wie auf einem Konzert. Dann, Schreie, Angstschreie. Alex konnte Panik in sich aufkommen spüren, obwohl sie nicht wusste, wer das schrie oder warum. Zufällig machte sie Augenkontakt mit Hearth und dessen irritierter Blick holte sie in die Gegenwart zurück. Die Platte löste sich auf. Sofort hob sie den nächsten Gegenstand auf.

Der Jadestein war kühl in ihren Händen. Die Vision hatte wieder Bilder, allerdings waren sie viel kryptischer als zuvor. Eine Art psychedelisches Kaleidoskop schien sie einzufangen. Sie sah sich um, doch überall waren nur Formen und Farben. Plötzlich war alles weg. Nur zwei große, grüne Augen starrten sie an, als könnten sie in ihre Seele sehen. Sie war erleichtert, als der Stein sich auflöste.

Als nächstes kam der Topf mit Erde. Kinderlachen füllte schmutzige Straßen, Märchen füllten kalte Zimmer und Träume füllten leere Mägen. Dann war das Schöne wie weggewaschen. Räudige Hunde heulten in Gossen voller Fäkalien. Kälte nagte an schwachen Knochen und fuhr durch jede Ritze. Ausgemergelte Gesichter sehnten sich nach der kleinsten Brotkrume. Alex starrte noch ein paar Sekunden ins Leere, nachdem der Topf sich aufgelöst hatte. Dann machte sie Augenkontakt mit Magnus Chase und las in seinen Augen dieselben Gefühle, die in ihr aufgekommen waren und beschloss, dass es Zeit war, weiterzumachen.

Die Halskette zeigte viele kleine Schnappschüsse. Zwei junge Frauen, Freundinnen, vielleicht mehr. Immer wieder, immer wieder. Dann Blut, das an spitzen Zähnen klebte und Tränen, die über Wangen kullerten. Als Alex aus der Vision auftauchte, bemerkte sie, dass Raphael sich verstohlen mit dem Ärmel übers Gesicht wischte, wobei er darauf achtete, die Hände seiner Sitznachbarn nicht loszulassen.

Die Aloe Vera war einfach, sie brachte keine Visionen mit sich. Alex hielt sie länger fest, um ein wenig verschnaufen zu können.

Aus Neugierde versuchte sie als nächstes das Bärenhaar. Natürlich war das eine bescheuerte Idee. Zuerst kamen simple Bilder von Bären, nichts beunruhigendes. Dann plötzlich schien einer der Bären ihr sehr nahe zu kommen. Und er öffnete das Maul, entblößte seine langen, spitzen Zähne und brüllte. Alex zitterte noch, als sie den nächsten Gegenstand aufhob.

Fliegen war ein wunderbares Gefühl. Das war der erste Eindruck, den der Normalsegelapparat brachte. Wolken, kalter Wind, die Füße nicht mehr auf dem Boden. Dann ein Absturz, ein schmerzhaftes Aufkommen auf dem Boden, ein Wirrwarr aus Flugzeug- und Körperteilen und Schmerz, Schmerz und Schmerz. Sam, deren Blick Alex auffing, hatte die Lippen fest zusammengekniffen.

Alice im Wunderland zeigte ein weißes Kaninchen, eine Grinsekatze, einen verrückten Hutmacher, einen Märzhasen. Dann die Herzkönigin, düster und bedrohlich. Spielkartensoldaten, vor denen man sich am liebsten verstecken wollte. Und Weiße Rosen, von denen etwas tropfte, das verdächtig nach Blut aussah.

An diese Vision knüpfte die der Haarfarbe an. Sie war eigenartig, den im vergleich zu den anderen hatte sie keinen anfänglich schönen Teil. Sie zeigte einfach eine blutverschmierte Leiche, jedoch war das Blut grün. Alex fragte sich langsam, was diese Visionen überhaupt bezwecken sollten, außer Albträume auszulösen.

Das Bajonett brachte Erinnerungen an Zinnsoldaten, Gelächter und Abschiedsumarmungen. Dann ein Schlachtfeld. Leichen lagen überall. Gebrüll klingelte genauso laut in den Ohren wie der Knall der Schusswaffen. Einige hatten sich angesichts dieser Erinnerung versteift, waren zusammengezuckt oder hatten sogar still zu weinen begonnen.

Mit dem Gedanken, das möglichst schnell zu Ende zu führen, hob sie die Elsternfeder hoch. Ein fremder Mann grinste sie an. "Ihr denkt wohl, ihr habt es geschafft? Ein Hindernis habt ihr noch zu bewältigen. Und ich wette, das ihr das nicht schafft."

Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch war zurück. Sie hob den letzten Gegenstand auf: Eine Haarsträhne von ihr selbst. Am Anfang waren es ihre eigenen Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. An Freunde, Familie, Magnus. Doch sie roch den Braten. Da mussten noch schlimmere Erinnerungen kommen. Natürlich kamen sie. An ihren Vater, ihre Mutter, an ihre Zeit auf der Straße, an ihren eigenen Tod. Sie bemerkte gar nicht, wie sie die Arme um den Oberkörper schlang, um nicht so sehr zu zittern. Und dann kam etwas eigenartiges, das nicht zu ihren Erinnerungen gehörte. Ein Fluss. Sie sah sich um und erkannte, dass es wohl der Charles River in Boston war. Und in der selben Sekunde, in der ihr klar wurde, was das hier sein musste und sie nach oben sah, stürzten zwei Menschen vom Pier. Sie musste nicht nachdenken. Das waren Magnus und Surt. Das war Magnus' Tod. Obwohl sie nicht hinsehen wollte, beobachtete sie, wie die beiden auf dem Wasser aufschlugen. Es war ein harter Aufprall, Wasser und Blut spritzten auf. "Lass es los!", brüllte jemand. "Bitte, lass es los!"

Abrupt war die Vision vorbei. Sie erkannte, dass sie die Haarsträhne festhielt und damit scheinbar am Auflösen hinderte. Sie öffnete die Hand, die Haare wurden zu Rauch und es war vorbei. Sie konnten es alle spüren. Wie ein Seufzer, der die ganze Stadt erfüllte. Für einen Moment fragte sie sich, ob die anderen zuletzt wohl auch Magnus' Tod gesehen hatten. Doch es wirkte nicht so. Pipers Gesicht zitterte, als würde sie Tränen unterdrücken. Alec klammerte sich an Izzy. Raphaels Lippen waren noch blasser als zuvor. Sadie wischte sich mit Carters Hand Tränen von den Wangen. Rico kotzte einen Haufen Haarspangen. Sie mussten etwas anderes gesehen haben. Sie hatte jedenfalls nicht vor, nachzufragen, was es gewesen war. "Wir haben es geschafft", sagte Magnus Bane mit rauer Stimme. "Ihr könnt jetzt loslassen."
Was folgte, waren gedämpfte Unterhaltungen, Tränen und Erleichterung. "He!", rief dann plötzlich Walt. "Ein bisschen mehr Begeisterung! Wir haben es geschafft!"
Daraufhin brachen sie in Jubel aus!
"Wisst ihr was?", rief Magnus Bane. "Ich lade euch auf was zum Essen ein."
Der Jubel wurde noch lauter und schallte durch das ganze Brooklyn House. Sie hatten es geschafft.

So, langes Kapitel, aber nächste Woche folgt noch ein Epilog, dann ist das hier fertig! Wahnsinn! Danke fürs Dabeisein bis hier! Ich weiß, das Kapitel hier ist ziemlich weird und die Aussage... Es ist eine Fanfiction, okay? Lasst mir den Spaß am kreativ nach Bauchgefühl arbeiten xD
Eure 
Luna_Levesque

New YorkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt