17| What We Do in the Shadows

211 27 1
                                    

"Wohin fahren wir?"
Seit sie in der U-Bahn saßen, hatte Raphael sich in Schweigen gehüllt und langsam wurde Zia genervt. Er sah sie nicht an, während er sprach. "Manhattan. Hotel Dumort."
"Hotel wie bitte?"
"Dumort. Das Hauptquartier meines Vampirclans. Dort müsste ich Rosas Kette haben."
Sie schwiegen einen Moment lang. Ihr Auftrag war es, die Halskette einer gewissen Rosa, die mit Lily befreundet gewesen war. Aus irgendeinem Grund stimmte das Raphael ziemlich missmutig. "Wie ist das so?", versuchte Zia Smalltalk zu machen. "Vampirsein?"
"Es ist furchtbar, nicht in die Sonne zu können. Einerseits kann man tagsüber kaum unterwegs sein, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist..."
Ja, das war ihr aufgefallen. Es war ziemlich mühsam gewesen, zur U-Bahn zu kommen, ohne ins Tageslicht treten zu müssen. Aber Raphael kannte viele Schleichwege, von Unterführungen bis hin zu Kanälen. "Außerdem", fuhr er fort, "vermisse ich die Sonne. Das Licht, die Wärme, die Farben des Himmels..." Er seufzte sehnsüchtig.
Sie nickte mitleidig. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist. Ich... habe eine besondere Bindung zur Sonne. Und außerdem", sie zeichnete eine Hieroglyphe auf ihre Handfläche und ließ eine kleine Flamme darüber tanzen, "ist Feuer mein Ding."
Raphael musterte die Flamme beeindruckt, wenn auch mit merklichem Respekt. "Wow", flüsterte er.
Sie schloss die Finger und die Flamme erlosch. "Was macht dich so fertig an dieser Halskette?"
Seine Mundwinkel zuckten. "Ich kannte Rosa. Sogar noch besser als Lily. Nicht im Sinne von... also, sie war nicht meine Geliebte. Ist nicht wirklich mein Ding. Aber sie war wie eine Tochter für mich."
Zia starrte ihn irritiert an. Eine Tochter? Er sah doch aus wie höchstens 16.
"Ich bin schon länger ein Vampir."
Sie hatten ihre Haltestelle erreicht. Raphael stand auf und Zia folgte ihm. Doch anstatt den Ausgang zu nehmen, steurte Raphael den Tunnel an. Zia zögerte kurz, immerhin fuhr die U-Bahn ja, aber sie vertraute Raphael doch genug, um zu glauben, dass er wusste, was er tat. Außerdem wollte sie ein wenig mehr über ihn wissen, als er preisgab. Während sie etwas, das wohl ein Warzungstunnel war, entlanggingen, fragte sie also: "Wie lang bist du denn jetzt ein Vampir?"
Er überlegte kurz. "60 Jahre, ungefähr. Ich wurde in den 50ern gebissen. Damals hab ich mich mit ein paar Freunden als Vampirjäger aufgespielt." Er lachte bei der Erinnerung auf. "Nur wurde ich dann gebissen und in dem Rausch habe ich sie umgebracht."
Zia schlug die Hand über den Mund. "Um Horus' Willen!"
"Ich weiß. Ich hätte damals... hätte damals gern meinem Leben ein Ende gesetzt. Aber zum Glück hat Magnus mich aufgenommen und wie einen Sohn behandelt. Das hat mir das Leben gerettet. Oder eben - das was ich noch davon habe." Er lächelte müde. "Und vor ein paar Jahren wurde dann Rosa gebissen. Genau wie ich hat sie den Vampir, der sie gebissen hatte getötet und war dann ziemlich verloren. Ich habe sie auf Coney Island gefunden, wie sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt hat, weil sie den Fehler gemacht hatte, was normales zu essen. Also hab ich sie mitgenommen und mich um sie gekümmert. Wie Magnus es getan hat. Wie ein Vater."
"Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Geschichte kein gutes Ende nimmt", meinte Zia.
Sie hatten jetzt den Wartungstunnel verlassen und gingen durch den Keller irgendeines Gebäudes. "Nein, leider nicht. Die ersten paar Jahrzehnte ist alles gut gelaufen, Rosa war eine Vampirin wie jede andere, hat Freunde in der Unterwelt gefunden, darunter Lily. Aber vor ein paar Jahren hat sie sich unter die falschen Leute begeben. Sie hat begonnen, Menschen zu töten. Ich habe versucht, sie davon abzuhalten, aber - im Herzen war sie wohl immer noch ein rebellischer Teenager, der sich nicht an die Regeln der Eltern hält. Sie hat ihren eigenen Clan gegründet und ich habe die letzten Monate damit verbracht, sie wiederzufinden. Gestern habe ich es geschafft. Aber sie hatte ein paar von deinen Freunden gefangengenommen und sie ließ nicht mehr mit sich reden, also-", er brach ab, seine Stim.e war rau, "-also habe ich sie umgebracht."
Zia sah ihn mitleidig an. "Das tut mir leid", flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf. "Ist schon in Ordnung. Ist ja nicht so, als wäre das das erste Mal, dass ich jemanden verliere." Dennoch schwammen seine Augen in Tränen. "Aber ich hoffe, du verstehst jetzt, wieso mir das mit der Kette so schwer fällt."
Sie nickte. "Natürlich."
Er blieb vor einer rostigen Metalltüre stehen. "Wir betreten jetzt das Hotel Dumort. Keine Sorge, solange du bei mir bist, werden dir die anderen Vampire nichts tun. Aber ich bezweifle, dass wir überhaupt welchen begegnen werden, die pennen jetzt alle."

Der Prunk des Hotels Dumort versteckte sich unter einer dicken Staubschicht und hinter Spinnweben. Trotzdem bewunderte Zia die obskure Ästhetik dieses Ortes. Ihr Blick blieb allerdings nicht an dem ausgetreten roten Teppich oder dem schiefhängenden Luster hängen, sondern an der Treppe. Beziehungsweise an dem, was von ihr übrig war. Am oberen Ende existierten noch drei schiefhängende Stufen, der Rest war weggerissen worden. "Was zum Osiris?", murmelte sie.
Raphael lachte leise auf. "Vampire haben es nicht so mit der Barrierefreiheit für Menschen. Ich hole die Kette alleine."
Damit verwandelte er sich in eine Fledermaus und war auch schon davongeflattert. Zia schüttelte verblüfft den Kopf. Allein wie sie jetzt war, war ihr das Hotel schon ein wenig unheimlich. Sie nahm ihren Zauberstab, den sie sich um die Schultern geschnallt hatte, in die Hände. Plötzlich hörte sie ein leises Klirren und wirbelte erschrocken herum. Vor ihr im Staub lag etwas Glitzerndes. Sie bückte sich und hob es auf. Eine Halskette, golden und feingliedrig, mit einer Fledermaus als Anhänger. Eine Kette... Verwirrt richtete Zia sich auf und sah sich um. Und da, plötzlich huschte etwas in ihr Sichtfeld und... "Blargh!", rief Raphael, als er sich zurückverwandelte.
Erschrocken schrie Zia auf und sprang zurück. Er begann zu lachen. Sie schnaubte. "Das ist nicht witzig!"
"Ach ja?" Er unterdrückte merklich einen Lacher. "Ich finde schon."
Sie verdrehte die Augen, musste aber auch schmunzeln. "Das ist also die Kette?" Sie hielt die Goldkette hoch.
"Ja. Gut haben wir das gemacht."
Sie klatschten einander grinsend ab. "Zurück nach Brooklyn!"

Hab ich mal wieder einen Kapiteltitel, den 90 Prozent von euch nicht checken werden? Ja. Natürlich. Zur Erklärung: Das ist eine Mockumentary über Vampire von Taika Waititi. Sehr genial.
Eure
Luna_Levesque

New YorkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt