10| Die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft

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"Toll. Wir haben den größten Teil von New York abbekommen", grummelte Will.
"Hey, nicht so pessimistisch", murmelte Sam, die über eine Straßenkarte gebeugt war. Will fragte sich, ob Walküren auch keine Handys benutzen konnten oder ob Sam nur riesige Karten mochte.
"Ja, Will, wo ist dein innerer Optimist geblieben?", grinste Jason.
"Leute?", quiekte Private, wurde aber ignoriert.
Sie waren mit der U-Bahn von Brooklyn hierher gekommen. Nun war es zehn Uhr vormittags. Der Verkehr war rege. Eine Gruppe vermutlich französischer Touristen drängte sich an ihnen vorbei. "Lass gut sein, Jason." Er warf dem Sohn des Zeus einen giftigen Blick zu.
"Oooooh", machte Jason, als hätte er gerade die Erkenntnis der Erkenntnisse gehabt. "Du vermisst Nico! Awww! Wie süß!"
Will hoffte, dass sein Blick tödlich genug war, um Jason auf der Stelle tot umfallen zu lassen, doch er hatte Pech und er stand noch immer mit einem bescheuerten Grinsen vor ihm.
"Bei den Göttern, ich überlebe schon ein paar Stunden ohne meinen Freund, Grace. Ich vermisse ihn nicht, ich mache mir nur Sorgen. Machst du dir etwa keine Sorgen um Piper?"
Jason zuckte mit den Schultern. "Ich glaube, sie kann sich schon selbst verteidigen. Und Nico kann das sicher auch."
Will murrte.
"Mein Verlobter ist in Boston, ihr könnt euch also gern hinten anstellen mit dem Sich-Sorgen-Machen", kommentierte Sam und versuchte recht ergebnislos, die Karte zusammenzufalten.
"Du bist verlobt?", fragte Will überrascht.
"Leute", piepste Private wieder.
"Ja. Und nein, ich finde es nicht schrecklich, eine arrangierte Hochzeit zu haben. Ich mag meinen Verlobten. Sehr."
Will beschloss, sie mal um Tödliche-Blicke-Unterricht zu bitten. "Hab verstanden." Er lächelte.
"Also, wo müssen wir hin?", fragte Jason.
"LEUTE!"
Sie sahen alle zu Private hinunter. Der Pinguin sah ängstlich aus, was bei ihm aber ein Standardzustand zu sein schien.
"Was ist?"
"Jemand beobachtet uns!"
"WAS?!"
Sofort zog Jason sein Schwert. Sam nahm eine Axt von ihrem Gürtel. Will kramte den Dolch hervor, den er mitgenommen hatte. Private wieß mit einem Flügel in eine kleine Nebengasse. "Da, auf der Feuertreppe."
Will drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um einen Schatten zu sehen, der hastig von der Feuertreppe auf das Dach sprang.
"Wow, das sah nach einem Ninja oder sowas aus", kommentierte Jason.
"Was, wenn es ein Monster oder ein Spion war?", fragte Will
"Finden wir es heraus." Sam schwang sich auf die Feuertreppe und lief die Metallstufen nach oben. Will nahm Private auf den Arm und sie folgten der Walküre. Das Haus war ein relativ niedriges Wohnhaus. Das Dach war flach und sie fanden sich zwischen Rauchfängen, Satellitenschüsseln und Taubendreck wieder. Zwischen zwei Lüftungsrohren stand eine Person. Sie trug einen blau-rot gemusterten Anzug, der... "Spider-Man?"
Will musterte den Typen genauer. Er hatte sich nicht geirrt. Das Spinnen-Emblem auf der Brust, der Ganzkörperanzug, die typische Maske... War das ein Monster, das sich in fiktive Charaktere verwandelte? Bevor er einen weiteren Gedanken daran verlieren konnte, war Spider-Man schon über einen Schornstein gesprungen und schwang sich an einer Satellitenschüssel zum nächsten Dach. "Haltet ihn auf!", rief Jason.
Instinktiv warf Will den Gegenstand, den er in der Hand hielt. Private. Zu dessen Glück war Will kein schlechter Basketballspieler. Der Pinguin traf den Fliehenden in den Rücken und ließ ihn vornüber fallen. So hatten Sam, Jason und Will genug Zeit, aufzuholen. Der Gefallene rappelte sich schon wieder auf, doch Sam packte ihn mit eisernem Griff am Arm. "Wer bist du?"
"Der Junge hat es schon erkannt. Spider-Man. Oder eben..."
"... Peter Parker", beendete Will den Satz. Er hatte immerhin einen ganzen Haufen der Spider-Man-Comics gelesen.
"Woher...?" Peter Parkers Stimme rutschte in einen piepsigen Tonfall ab, so überrascht war er.
"Es gibt genug Comics und Filme über dich", erklärte Will.
"Oh. Oh. Verdammte Scheiße. Ich hab mich schon wieder im Universum geirrt."
"Im Universum? Meinst du nicht eher in der Welt?", fragte Sam. Das schien ihn nur noch mehr zu verwirren.
"Universum, Welt, was auch immer. Ich bin zuhause in ein Wurmloch geraten und stolpere jetzt von einem alternativen Universum ins nächste und finde nicht mehr zurück." Er schien traurig, auch wenn Will sein Gesicht durch die Maske nicht erkennen konnte. "In eurem Universum bin ich ein Comiccharakter? Und sind Pinguine bei euch übliche Haustiere?"
"Hey, ich bin kein Haustier!"
Peter machte einen Satz von Private weg.
"Sprechen bei euch alle Tiere?"
"Nein", meinte Jason. "Wir haben auch noch nicht durchschaut, warum wir den hier verstehen. Eigentlich dachten wir es könnte an... na ja..."
"Was meinst du mit "na ja"?"
Jason tauschte einen Blick mit Sam und Will.
"Wir sind Halbgötter. Eines unserer Elternteile ist ein antiker Gott."
"So wie Thor? Cool, den kenne ich!"
"Unser Thor ist ein wenig anders als eurer", meinte Sam und verzog beim Gedanken an den Gott den Mund.
Peter war trotzdem in Euphorie verfallen. "Also, wer sind eure Eltern?"
"Mein Dad ist Jupiter."
"Meiner ist Apollo."
"Und meiner Loki."
"Loki?" Will war sich ziemlich sicher, dass der Superheld die Augen aufriss.
"Ja. Aber reden wir über etwas anderes. Hast du in Queens irgendein Monster gesehen?"
Er schüttelte den Kopf. "Monster? Nein. War alles ziemlich ruhig."
Sie tauschten wieder Blicke. "Gut. Dann..."
"Achtung!" Wieder warnte sie Private. Er schien eindeutig ein gutes Auge für Gefahren zu haben. Über das Dach kam etwas auf sie zugekrochen. Es sah aus wie ein riesiger... Wurm?
"Da ist das Biest ja endlich!" Peter Parker schien begeistert.
"Du kennst dieses Ding?", fragte Jason überrascht.
"Ja! Das ist der blöde Wurm, in dessen Wurmloch ich gesaugt wurde!", sagte er, als wäre es die größte Selbstverständlichkeit der Welt, dass Wurmlöcher zwischen Universen von tatsächlichen Würmern verursacht wurden.
Das Wesen näherte sich einer Satellitenschüssel. Es war rosarot und seltsam schleimig. In jeder Weise erinnerte es an einen gewöhnlichen Regenwurm, nur tausende Male größer. Will hatte schon Statuen zum Leben erwachen und einen Priester sich selbst in die Luft katapultieren sehen. Er hatte gehört, wie es im Tartarus war und er hatte die seltsamsten Tricks der Hekate-Hütte erlebt. Doch trotzdem blieb ihm kurz der Atem stehen, als der Wurm seinen Weg fortsetzte und plötzlich einfach ein Loch in die Materie riss. Sein Kopf verschwand einfach in einem Loch in der Luft. "Und so geht es ins nächste Universum. Wünscht mir Glück, dass es das Richtige ist. War mir ein Vergnügen", seufzte Peter.
Und so beobachteten sie, wie der riesige Wurm in einem anderen Universum verschwand, dicht gefolgt von Spider-Man. Dann schloss sich das Loch hinter ihnen. "Wow", sagte Jason. Mehr Worte hatte keiner von ihnen dafür übrig.

Ich habe das Kapitel mittlerweile so oft gelesen, ich hab überhaupt kein Einschätzungsvermögen mehr, wie es ist. Also, fandet ihr es seltsam? Zu seltsam?
Eure
Luna_Levesque

New YorkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt