Leo musste zugeben, das Natural History Museum war kein unansehnliches Gebäude. Es erinnerte ihn irgendwie an einen Triumphbogen. Annabeth hätte sicher eine Trillion Fakten darüber zu erzählen gehabt. Aber sie war nicht dabei. Stattdessen stand er mit Magnus, dem Bostoner, der sich wohl auch nicht für New Yorker Museen interessierte, Halbgeboren, der anscheinend vor ziemlich langer Zeit gestorben war, Skipper, der, nun ja, ein Pinguin war, und Calypso, für die die ganze Welt Neuland war, vor dem Museum und sah zum Haupteingang hinauf. Er wunderte sich über seinen eigenen Wissensdurst. Vielleicht hatte es einfach etwas tröstliches, mehr über seinen potenziellen Todesort zu wissen – und er konnte nicht umhin zu denken, dass wohl überall ein potenzieller Todesort war. Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Negative Gedanken brachten nichts. „Wollt ihr noch lange hier herumstehen?", fragte Skipper genervt und watschelte voraus. Für ein so kleines, so unbeholfenes Tier hatte er ein ziemlich großes Ego. Sie folgten ihm und betraten das Museum. Leos Interesse an Museen war begrenzt, doch das T-Rex-Skelett in der Eingangshalle war eindeutig ein Bonuspunkt für dieses. Magnus übernahm die Führung, immerhin waren er und Halbgeboren die einzigen, die schon hier gewesen waren, und brachte sie zum Empfangstresen. Dahinter saß eine junge Frau. „Wie kann ich euch helfen?", fragte sie freundlich lächelnd. Leo fragte sich, ob Skipper vom Nebel versteckt wurde. Wahrscheinlich. Sonst hätte garantiert schon jemand etwas gesagt. Pinguine waren nun wirklich keine alltäglichen Museumsbesucher.
„Wir suchen Larry Daley, den Nachtwächter. Wissen sie zufällig, ob er hier ist?"
„Normalerweise ist er tagsüber nicht hier, aber heute habe ich seinen Sohn gesehen. Ihr könnt ihn bei den Indianern finden. 3. Etage, ist alles beschildert."
„Danke, Miss", sagte Magnus höflich.Sie machten sich also auf in die 3. Etage und fanden den Sohn des Nachtwächters auf einer Bank. Neben ihm lag ein Stapel Bücher und er kritzelte konzentriert in ein Notizbuch. Sie stellten sich vor ihm auf. Magnus räusperte sich. „Nick?"
Der Junge sah auf. Sein Blick huschte von Magnus zu Halbgeboren, über Leo und Calypso und blieb an Skipper hängen. „Was zum Geier macht dieser Pinguin hier?"
„Oh, ähm, er ist ein Freund von uns. Lange Geschichte", erklärte Magnus schnell.
Leo war überrascht, dass Nick allen Anscheins nach durch den Nebel sehen konnte. Skipper schien aber nicht das einzige zu sein, das ihn irritierte. Er deutete auf Leo und Calypso. „Mein Personengedächtnis ist ja nicht das Beste, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr beide gestern nicht da wart."
„Das stimmt." Magnus schein die Sprecherrolle übernommen zu haben. Leo war das nur recht. Er hätte keine Ahnung gehabt, was er hätte sagen sollen. „Das sind Leo und Calypso. Wir haben ein paar Freunde zusammengetrommelt, weil, na ja, die Sache mit der Kiste scheint größer zu sein, als wir dachten. Es sind mehr Monster entkommen, und sie treiben sich jetzt in New York sein. Die anderen sind also schon dabei, sie zu erledigen, aber wir sind zurückgekommen, um mehr über die Kiste herauszufinden."
„Ich verstehe", meinte Nick. „Na ja, da seid ihr nicht die einzigen." Er klopfte auf den Stapel Bücher neben sich. „Aber das seltsame ist... Ich kann nicht einmal herausfinden, wie die Kiste hierhergekommen ist. Sie ist nirgends verzeichnet. Es gibt keine Informationen, absolut gar nichts. Es ist fast so, als wäre sie einfach aus dem Nichts hier in der Indianerausstellung aufgetaucht."
Leo zuckte mit den Schultern. „Sowas passiert uns ständig. Gibt es wirklich gar keine Anhaltspunkte?"
„Keine, die ich gefunden hätte. Aber seht sie euch vielleicht selbst nochmal an."
Er deutete auf eine harmlose Holzkiste, die in einer Ecke auf einem Sockel stand.
„Ihr macht Witze. Das ist dieses Teil?" Leo sah die Kiste an.
„Absolut", meinte Halbgeboren.
Leo ging zu der Kiste hinüber und begutachtete sie näher. „Stinklangweilg", stellte er fest. Die Kiste war aus einfachem Holz. Irgendwann einmal war sie wohl mit Blattgold verziert gewesen, doch bis auf ein paar spärliche Überreste war davon nichts mehr zu erkennen.
„Warte mal." Calypso war neben ihm aufgetaucht. „Da steht was."
Leo folgte ihrem Blick. Tatsächlich. Das Blattgold war nicht zufällig verteilt gewesen, sondern hatte Buchstaben gebildet. Griechische Buchstaben. Er versuchte, sie zu entziffern, doch Calypso hatte das bereits geschafft. „Arodnap", las sie vor.„Was um Hades' Willen soll das heißen?", fragte Leo niemanden bestimmten.
Die anderen hatten sich auch bei der Kiste versammelt.
„Vielleicht ist es irgendeine andere Sprache", schlug Magnus vor.
„Aber das ergibt doch keinen Sinn. Es sind altgriechische Buchstaben. Und ich spreche fließend Altgriechisch. Also müsste ich es doch kennen", warf Calypso ein.
„Wir können es ja mal nachprüfen." Nick holte sein Handy heraus und tippte kurz darauf herum. „Fehlanzeige. Das heißt gar nichts."
„Aber das kann doch nicht sein", behauptete Magnus.
„Was, wenn doch?", überlegte Halbgeboren.
„Es könnte ja für eine Zahlenkombination stehen", schlug Skipper vor. „Ihr wisst schon: A für 1, R für 18 und so weiter."
„Und was bringt uns diese Kombination dann? 1-18-15-4-14-1-16. Das ist ja nichts."
Ratlos standen sie alle um die Kiste herum. Leos Hirn tat diese überaus hilfreiche Sache, bei der es ein Wort, diesmal Arodnap, sooft wiederholte, bis es gar keinen Sinn mehr ergab.
„Es ist ein Palindrom!", rief da plötzlich Nick. „Ihr wisst schon, wenn man ein Wort von hinten und vorne lesen kann und es ergibt beides Sinn. Wobei – hier ergibt es nur von hinten Sinn. Pandora."
„Und was soll Pandora sein?", fragte Skipper.
„Aus der griechischen Mythologie! Die Büchse der Pandora! Pandora war eine Sterbliche, die aus Neugier eine Büchse, die ihr die Götter gegeben hatten, geöffnet hat und Übel in die Welt gebracht hat." Nicks Augen glitzerten und Leo konnte seinen Enthusiasmus verstehen. Er hatte das Rätsel geknackt.
„Also bedeutet das, das hier war die Büchse der Pandora?", fragte Calypso.
„Eher etwas, das daran angelehnt war. Sie enthielt ja scheinbar ausschließlich Monster", meinte Nick.
„Und Alex ist Pandora", fügte Magnus nachdenklich hinzu.
„In gewisser Weise, ja. Sie war neugierig und hat die Kiste geöffnet."
Magnus schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das nur Neugier war. Ich kenne Alex gut genug. Ich meine, sie war schon Tage davor schlechter gelaunt als sonst und viel zu besorgt. Sie hat das irgendwie kommen gespürt. Und als sie die Kiste geöffnet hat... Sie war nicht sie selbst." Er sah ernsthaft besorgt aus.
Halbgeboren legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich glaube nicht, dass du dir noch Sorgen machen musst. Alex ist wieder so wie immer. Was auch immer da mit ihr los war, jetzt ist es weg."
„Wir sollten trotzdem herausfinden, wie die ganze Sache von Statten gegangen ist und wie das mit Alex zusammenhängt", meinte Leo.
„Und wie?", fragte Calypso.
Darauf wusste niemand so recht eine Antwort.
„Wir könnten Hearthstone die Kiste zeigen. Wenn irgendein Zauber darauf lag, ist er derjenige, der uns das am ehesten sagen kann", schlug Magnus vor.
„Aber wir können sie ja nicht einfach mitnehmen. Das würde nach Diebstahl aussehen", warf Halbgeboren ein.
„Also gut. Wir gehen zu den anderen zurück und geben mal unsere bisherigen Erkenntnisse bekannt. Dann können wir alles weitere besprechen", meinte Calypso.
„Also zurück nach Brooklyn."
"Zurück nach Brooklyn."Irgendwie schaffe ich es ausgerechnet bei Leo immer, eine düstere Note reinzubringen.
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New York
FanfictionNew York, die Stadt, die nie schläft. Und ein besonderer Magnet für das Übernatürliche. Wieso das so ist, weiß niemand, doch eines steht fest: Eine neue Gefahr breitet sich über der Stadt aus wie ein Schatten und diesmal sind alle heldenhaften und w...