"Was ist mit dem Fettsack hier", fragt einer der Piraten seinen Kapitän. "Bitte! Habt erbarmen! Ich flehe euch an, gnädige Frau!" Nur langsam erwacht Elisabeth wieder. Der Schlag auf ihren Kopf hatte gesessen. Kurz überkommt sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen, zusätzlich zu den Kreislaufbeschwerden, welche sie gerade plagen. Nur verschwommen erkennt sie links von sich zwei Männer, welche gefesselt vor dieser Anné knien. Sie selbst liegt noch auf dem Boden und muss den Duft von Blut, Schweiß und Schießpulver in ihrer Nase riechen. Das hasste sie an Fahrten auf der See am meisten. Piraten und Gestank von Kämpfen. In ihrem Königshaus muss sie solch eine Last nicht ertragen. Ein Schuss ertönt, welcher ihr klare Gedanken schafft und das Übelkeitsgefühl verschwinden lässt. Einer der Männer sackt nach hinten weg. Ein Loch ist an seiner Stirn, was wohl durch jene Frau verursacht wurde, welche ihren Patenonkel tötete. Anné. Allein der Gedanke an diese Frau lässt ihren Hass brodeln. Sie würde diese elende Vogelfreie in Jamaika pfählen lassen, als Zeichen, dass sich niemand mit dem großen, britischen Imperium anzulegen hat. Ein weiter Schuss reißt sie aus ihren Dreispitz. Der Mann neben ihr fällt tot nach hinten. Smith war der Bootsmann des Schiffes. Ein etwas ulkiger Kerl, an dessen linker Hand der Ringfinger fehlt. Elisabeth hatte ab und an mit ihm gesprochen. Er war halbwegs gebildeter Natur, aber im Gegensatz zu ihr immer noch ungebildet. Schließlich ist sie die Erbfolge Englands! Laute Schritte von schwarzen Stiefeln auf dem Holz des Schiffes sind zu hören. Schwarze, enge Hosen trägt sie sowie ein schwarzes Hemd, welche sie durchaus gepflegt und gebildet wirken lassen. Der Dreispitz und die Augenklappe sind das Markenzeichen der blassen Frau, die mehr tot als lebendig wirkt. "Was starrst du mich von oben herab an, minderwertiger! Bring es schon hinter dich und unterlassen wir diese Spielchen der Macht!" Anné nimmt die Beleidigung gelassen hin, als interessiere es sie nicht wirklich, ob ihre Ehre gekränkt wurde oder nicht. "Sieh mal einer an. Die Thronerbin Englands geht uns ins Netz. Ihr seid eine hübsche Frau, Elisabeth. Nur leider wird euch das hier nicht viel nützen." Ihre versammelte Mannschaft lacht. Halsabschneider. Verbrecher. Mörder. Diebe. Meuterer. Es gibt noch dutzende Bezeichnungen mehr, welche Elisabeth für Abschaum wie diese einfallen würden. "Bevor ich sterbe, habe ich eine Frage. Wie habt ihr zwei Kriegsschiffe und unser Schiff überlebt? Warum seid ihr nicht tot? Euch hat ein Schwert durchbohrt!" Wieder lacht die Mannschaft auf, als sie eine der wichtigsten Personen Englands fraglich drein blicken sehen. So viel Macht trägt die Erbin in sich und doch ist sie unglaublich machtlos. "Die Flying Dutchman ist nicht umsonst unter meinem Namen so gefürchtet. Und diese Fragen werde ich nicht beantworten, da die Position von euch nicht wirklich befugt ist, Antworten zu erhalten. Euer Titel bringt euch hier gar nichts und auch die Flotte Englands würde euch keinen Schritt der Freiheit näher bringen. Wenn ihr keine besseren Argumente bringt, muss ich euch leider meinem Urteil unterstellen." Elisabeth hasst diese Frau wie die Pest. Dennoch ist sie beeindruckt von der Wortwahl der Frau vor ihr, welche sich als Drahtzieherin allen Übels herausstellt. Natürlich weiß sie, dass Kapitäne durchaus intelligent sind, aber etwas sagt ihr, dass Anné einen anderen Stand der Bildung hat. Hatte sie möglicherweise ein anderes Leben vor diesem schrecklichen Leben als Absteigerin auf einem Kutter, der Piraten als zu Hause dient? Elisabeth schweigt dann aber doch, statt zu fragen oder Parolie zu bieten. Diese Frau hatte sie eindeutig beeindruckt. Eine Aura, die einem das fürchten lehrt, die einen schweigen lässt und einen dazu bringt, die Waffen niederzulegen und panisch zu fliehen, statt seinen Leib sowie sein Leben zu schützen. "Ich höre keinen Widerstand oder Argumente, wie ich es erwartet hatte. Keine Sorge, kleine Prinzessin. Es liegt mir fern, euch zu töten. England wird sicher ein Lösegeld zahlen, wenn wir euch an sie verkaufen. Um den Preis nach oben zu treiben, müsst ihr leider erst den Schrecken unserer Gastfreundschaft kennen lernen." Ein paar lachen wieder auf, einige lecken sich gierig über die Lippen. Einer mit schiefen Gesicht lacht besonders scheußlich auf. Elisabeth kann sehr wohl einschätzen, weshalb diese Männer lachen. Vergewaltigung würde wohl sie die nächsten Wochen begleiten. "Schnauze", raunt Anné und schießt dem Mann mit dem schiefen Gesicht direkt in den Kopf, ohne wirklich hinzusehen. Natürlich fällt er wie erwartet um und bleibt reglos liegen. "Wenn sie jemand anrührt, übergebe ich euch der See, dass das klar und verständlich ist. Auch für dich, Thompson. Hast du mich verstanden?" Elisabeth schaut erst zu der gruseligen Frau, ehe ihr Blick auf den gerade erschossenen fällt, der einfach wieder aufsteht. Das Loch, welches sich in seinem Kopf befinden müsste, scheint nicht da zu sein, als wäre nie ein Schuss abgefeuert worden. "Verzeihung, Kapitän. Ich habe verstanden", antwortet er zittrig. Die ganze Mannschaft steht still da, als hätte diese Drohung alle zum schweigen gebracht. Elisabeth findet es gruselig und faszinierend zugleich. Eine Frau hat eine ganze Bande von wilden Piraten unter Kontrolle, welche sie schon so lange Zeit steuert, wenn man den Legenden glauben schenkt. Schlimmer allerdings brennen die Gedanken in ihrem Kopf, dass anscheinend niemand sterben kann. Selbst jene, die in der Schlacht erstochen wurden, stehen wieder an Ort und Stelle, als wäre es ein wunderschöner Sonntag Morgen, an welchem sich eine Tasse Tee auf dem Balkon anbieten würde. Wie sehr Elisabeth doch plötzlich die See gegen diesen kleinen Luxus eintauschen würde. Gegen ihr zu Hause, hinter sicheren Mauern und einer Garnison aus disziplinierten, englischen Soldaten. "Dann wäre dies geklärt. Prinzessin? Ihr werdet mit mir kommen und in meiner Kabine nächtigen. Sollte Euch dies missfallen, kann ich für keinen Schutz garantieren, wenn ihr versteht, euer Hoheit." Anné grinst verrucht auf und blickt Elisabeth an. Die Mannschaft lacht wieder, allerdings werden diese nicht bestraft, da der Effekt von ihrem Kapitän beabsichtigt war. Also steht die Thronerbin zwischen einer Entscheidung. Unter Aufsicht von Anné sein oder der Mannschaft zum Opfer fallen. Bei ihrer Mannschaft würde sie sicherlich missbraucht werden. Bei Anné hätte sie laut ihrer Aussage Ruhe, zumindest überwiegend. "Dann werde ich mich wohl bei euch einquartieren müssen", grummelt Elisabeth, die wohl keine andere Wahl hat. Es käme nicht in Frage, sich bei ihrer Mannschaft in Gefahr zu wissen, als bei Anné. "Bootsmann? Die feine Dame hat gesprochen. Ab in meine Kabine mit ihr. Der Rest von euch plündert alles, was wir benötigen, dann reisen wir ab. Vorwärts! Bewegt euch!" Alle schwärmen auf den Befehl auseinander. Das ganze wirkt wie ein Ameisenhaufen. Alle werden von der Königin gesteuert, welcher sie treu ergeben sind. Der Bootsmann packt sie im Nacken und zieht sie über das englische Schiff auf eines der Rettungsboote zu, um sie darüber zum Schiff von Anné zu bringen. "Willkommen an Bord der Dutchman, euer Hoheit", gibt er verächtlich von sich. Elisabeth schließt die Augen und versucht ihre Angst zu unterdrücken. Sie war gefangen auf dem Schiff voller unsterblicher. Es gab kein entkommen für sie.
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Der Schrecken der Karibik | girlxgirl
FantasyWenn der Nebel über der Karibik aufzieht, ist der Tod nah. Kein Licht lässt den Nebel aufklaren, kein Schrei dringt heraus und jede Hilfe wird zu spät sein. Willkommen auf der Flying Dutchman. Piraten siedeln sich zunehmend in der Karibik an, vor al...